Der Osterhase

by Wortklauberin Erika

„Mama!“ Felix‘ Ruf ist laut, doch seine Stimme bricht und der Vier­zehn­jäh­rige fühlt sich nicht wenig von der Puber­tät ver­arscht dafür, dass er nicht über Nacht zu einem Ado­nis wird. Er hat schon das Gefühl, dass er über Nacht in die Höhe geschos­sen ist wie der Schnitt­lauch im Gar­ten sei­nes Groß­va­ters, den er gerade im Blick hat. Sein Kör­per ver­wei­gert es aller­dings, ohne wei­tere Anstren­gun­gen Mus­kel­masse anzu­set­zen. Ado­nis? Pah! Er fühlt sich eher wie ein Lauch.

Seine Mut­ter wer­kelt in der Küche, ihr fällt ein Gegen­stand schep­pernd zu Boden, aber sie reagiert nicht auf sei­nen Ruf. Sie hat ihn wohl nicht gehört. Er schaut auf die Kis­ten rund um sich, dann auf sei­nen Fund. Er holt erneut Luft. „Mamaaa“, ruft Felix noch­mal. Es klingt absurd schrill in sei­nen Ohren. Er hört ein wei­te­res Schep­pern und ein Geräusch, das seine Mut­ter immer macht, wenn sie flucht, aber sich im letz­ten Moment auf die Zunge beißt.

Dann taucht ihr blon­der Kopf mit den kur­zen, wusche­li­gen Haa­ren, die Felix auch hat, in der Tür auf. „Was ist?“

Felix beob­ach­tet, wie sie den Blick durch den Raum schwei­fen lässt. „Schau mal, was ich gefun­den habe“, er hält grin­send das Uralt-Nokia in die Höhe, das er in der Schub­lade der Wohn­wand neben dem Fern­se­her gefun­den hat, der min­des­tens dop­pelt so alt ist wie Felix. In sei­nem Bauch sitzt ein auf­ge­reg­tes Krib­beln. Er ver­sucht, das Grin­sen in sei­nen Mund­win­keln ein­zu­fan­gen, aber der Fund kommt ein­fach zu gele­gen. Seine Mut­ter tritt zu ihm, die Arme ver­schränkt. „Und was ist damit?“

„Kann ich es haben?“, Felix ver­renkt den Kopf, um zu sei­ner Mut­ter aufzusehen.

Sie zieht eine Augen­braue in die Höhe. „Wozu?“, erwi­dert sie. Felix weiß, dass gerade nicht der beste Moment ist, um diese Dis­kus­sion anzu­fan­gen. Egal.

„Weil… weil es mich an Opa erin­nert?“, ant­wor­tet er schwach. „Oder eher weil du ein Handy willst?“, seine Mut­ter durch­schaut die Lüge natür­lich sofort. Sie nimmt ihm das Handy aus der Hand und eine Grün­li­lie vom Tisch, dann noch eine. Sie drückt ihm die Pflan­zen in die Hand. „Nimm lie­ber das Par­tei­gras mit run­ter zum Auto, und noch zwei Müll­sä­cke“, erklärt sie. „Wir müs­sen so lang­sam mal mit dem Aus­räu­men fer­tig werden.“

Felix öff­net den Mund und schließt ihn wie­der. Sie hat ja recht. Er tut grum­melnd, wie ihm gehei­ßen, stellt die Grün­li­lie neben den Hasen­stall sei­nes Groß­va­ters, wo der Müm­mel­mann, den sein Groß­va­ter krea­tiv „Oster“ genannt hat, hoppelt.

Seine Mut­ter ist gleich hin­ter ihm, Säcke für die Klei­der­samm­lung in der Hand. Sie blickt zu Felix, dann zum Hasen. „Ver­füt­terst du gerade die Grün­li­lie an den Osterhasen?“

Text: Wort­klau­be­rin Erika
Foto: pixabay​.com

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