Der Preacher predigt wieder – und sein Wille geschehe

by Geschichtenerzähler Adrian

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1995 schickt Garth Ennis in sei­ner Comic­reihe „Preacher“ den Pre­di­ger Jesse Cus­ter auf eine etwas andere Pil­ger­reise. Zusam­men mit sei­ner schieß­wü­ti­gen Ex-Freun­din Tulip O’Hare und dem iri­schen Vam­pir Pro­in­sias Cas­sidy, macht die­ser sich auf die Suche nach Gott. Jedoch nicht, um den Sinn des Lebens zu ergrün­den, son­dern um die­sem gehö­rig in den Arsch zu tre­ten. Was es mit die­ser kom­plett selt­sa­men Geschichte auf sich hat und ob die gerade ange­lau­fene, gleich­na­mige Serie mit den Comics mit­hal­ten kann, werde ich euch hier ver­ra­ten. – Von Geschich­ten­er­zäh­ler Adrian

Was tust du, wenn sich ein all­mäch­ti­ges Wesen in dei­nem Kör­per ein­ge­nis­tet hat und dir die Macht ver­leiht, mit Wor­ten ande­ren dei­nen Wil­len auf­zu­zwin­gen? Genau vor die­ser Frage steht der des­il­lu­sio­nierte, texa­ni­sche Klein­stadt­pre­di­ger Jesse Cus­ter aus Annville.
Nach­dem das Geschöpf Gene­sis, das Ergeb­nis einer ver­bo­te­nen Ver­bin­dung zwi­schen Engel und Dämon aus dem Him­mel ent­kom­men und in ihn gefah­ren ist, ver­wan­delte es die kom­plette Gemeinde von Jesse Cus­ter in einen Hau­fen aus Trüm­mern und Gebei­nen. In eben die­sem Kno­chen­hau­fen fin­det ihn seine Ex-Freun­din Tulip O’Hare, wel­che noch einige Stun­den zuvor einen Auf­trags­mord ver­mas­selt hat und in das Auto des Vam­pirs Cas­sidy floh. Zu dritt machen sie sich auf den Weg, um das Geheim­nis um Gene­sis zu ergründen.

Der Aus­bruch von Gene­sis bleibt jedoch nicht lange ohne Fol­gen, denn schnell wird dem Him­mel klar, was für eine Macht sich in Men­schen­hand befin­det. Die Ade­phim, ein Teil der himm­li­schen Heer­scha­ren, die eigent­lich damit betraut waren, auf Gene­sis auf­zu­pas­sen, wer­den von den Sera­phim gezwun­gen zu han­deln. Mit leich­ten Zwei­feln erwe­cken sie den Hei­li­gen der Kil­ler, eine unauf­halt­same Kil­ler­ma­schine, geklei­det in Staub­man­tel und Cow­boy­hut. Die­ser jagt sei­nem Befreier sogleich eine Kugel in den Kopf, was das himm­li­sche Wesen nicht davon abhält, ihm noch den Auf­trag zu geben, Jesse Cus­ter zur Stre­cke zu brin­gen und Gene­sis zurück in den Him­mel zu bringen.
Als es jedoch zum ers­ten Auf­ein­an­der­tref­fen zwi­schen dem „Hei­li­gen der Kil­ler“ und der irdi­schen Gewalt in Form des She­riff-Depart­ments unter der Füh­rung des ras­sis­ti­schen She­riff Root kommt, endet dies schnell in einem Mas­sa­ker, wel­ches nur der She­riff selbst überlebt.

Den Ade­phim wird schnell klar, was für eine Natur­ge­walt sie dort frei­ge­las­sen haben, und sie tre­ten an Jesse Cus­ter heran. Mit des­sen Macht wäre der Pre­di­ger der ein­zige, der die Mög­lich­keit haben könnte, das alles hin­zu­bie­gen. Sie wei­hen ihn in das größte Geheim­nis des Him­mels ein: „Gott, unser Herr, hat’s geschmis­sen.“ Denn kurz nach der Zeu­gung von Gene­sis ver­ließ Gott den Him­mel und über­ließ seine Schöp­fung sich selbst.
Mit dem Ziel, Gott wie­der­zu­fin­den und ihn für sein Ver­ge­hen zur Rechen­schaft zu zie­hen, machen sich Jesse, Tulip und Cas­sidy auf zu einem Road-Trip quer durch die USA.
Jedoch müs­sen sie bald fest­stel­len, dass kei­ner vor sei­ner Ver­gan­gen­heit davon­lau­fen kann. Auf der Reise war­ten nicht nur alte Freunde der drei, son­dern auch alte Feinde. Und als hät­ten sich davon nicht genug ange­sam­melt, wird auch „Der Gral“ eine uralte und mäch­tige Geheim­or­ga­ni­sa­tion auf Jesse Cus­ter und seine Fähig­kei­ten auf­merk­sam. Allen voran der macht­hung­rige und skru­pel­lose „Herr Star“.

Preacher3Wer kommt denn auf so eine Idee?

Nach­dem Garth Ennis und Steve Dil­lon ihre Arbeit an „John Con­stan­tine: Hell­bla­zer“ 1994 been­det hatte, war dies jedoch nicht das Ende der Zusam­men­ar­beit zweier gran­dio­ser Comic-Künst­ler. So erschie­nen von 1995 bis ins Jahr 2000 ins­ge­samt 66 Aus­ga­ben des Comics um den namens­ge­ben­den Pre­di­ger. Hinzu kamen noch einige One-Shots und Kurz­ge­schich­ten, wel­che einen Blick in die Ver­gan­gen­heit oder auf klei­nere Aben­teuer ein­zel­ner Cha­rak­tere wer­fen. In Deutsch­land ist „Preacher“ in neun Hard-Cover-Bän­den zu erwerben.

Wie schon in „Hell­bla­zer“ oder „Judge Dredd“ bleib der Ire Garth Ennis sei­nem Stil treu: Sehr schwar­zer, bei­ßen­der Humor, eine aus­gie­bige Gewalt­dar­stel­lung und recht harte Spra­che. „Preacher“ zeich­net sich außer­dem durch seine stark aus­ge­ar­bei­te­ten Cha­rak­tere sowie einer anfangs zwar leicht kon­fu­sen, doch tief­grün­di­gen und mit­rei­ßen­den Geschichte aus. Was zuerst scheint wie eine Gewalt­or­gie aus Belei­di­gun­gen, Schlä­ge­reien und Schie­ße­reien ent­wi­ckelt sich Stück für Stück zu einer Geschichte, wel­che die Figu­ren immer wie­der vor die Frage stellt, was sie eigent­lich antreibt; warum tun sie das alles eigent­lich, oder für wen?

Figu­ren mit Charakter

Eine der prä­gnan­tes­ten Figu­ren aus den Preacher-Comics tritt erst nur als Neben­cha­rak­ter auf und trägt den eher unglück­li­chen Namen „Ars­e­face“ (zu Deutsch „Arsch­ge­sicht“). Auf­ge­wach­sen als Sohn von She­riff Root, eiferte er sei­nem gro­ßen Idol Kurt Cubain nach und ver­sucht sich eben­falls mit einer Waffe den Kopf weg­zu­schie­ßen. Der Ver­such schei­tert und lässt „Ars­e­face“ ent­stellt zurück. Nach den Ereig­nis­sen im ers­ten Teil der Comic­reihe begibt er sich auf einen Rache­feld­zug, wird schließ­lich Musi­ker und zum Idol einer gan­zen Genera­tion, gerät an einen Tief­punkt, doch fin­det schließ­lich sein Glück.

Ennis schafft es, dass jeder Cha­rak­ter, mit mehr als einer Sprech­blase eine Bedeu­tung für die Leser bekommt. Fast schon drängt sich die Frage „Warum er?“ auf, wenn der Unter­of­fi­zier stirbt, der vor weni­gen Sei­ten sei­nen ers­ten Auf­tritt hatte. Figu­ren, mit denen man zuerst mit­ge­fie­bert hat, lernt man zu has­sen und schließ­lich zu ver­ste­hen. Kein Böse­wicht ist ein­fach nur böse (abge­se­hen von „Herr Starr“, denn der ist ein rich­ti­ger Drecks­sack, aber ein ver­dammt guter) und kei­ner der „Guten“ ist ein Hei­li­ger, sie sind sogar sehr weit davon entfernt.
In Steve Dil­lion scheint Ennis dabei einen sehr guten Ver­bün­de­ten gefun­den zu haben, denn zeich­ne­risch kon­zen­triert sich Dil­lon sehr auf die Figu­ren. Wer male­ri­sche und hoch­de­tail­lierte Land­schaf­ten erwar­tet, wird bei „Preacher“ nicht wirk­lich fün­dig wer­den. Doch gerade das ist es, was „Preacher“ so lesens­wert macht. Es bedarf kei­ner gro­ßen Pan­ora­men, um die Geschichte zu erzäh­len, denn diese lebt durch ihre Cha­rak­tere, ihre Mimik, ihre Ges­tik und die Dialoge.

Preacher

Jetzt auch auf der klei­nen Lein­wand zu genießen

Seit dem 25. Mai 2016 wird auf dem ame­ri­ka­ni­schen Sen­der AMC, wel­cher schon mit „The Wal­king Dead“ einen gro­ßen Seri­en­erfolg zu ver­zeich­nen hat, eine gleich­na­mige Serie aus­ge­strahlt. In Deutsch­land kann sie seit dem 30. Mai auch auf Ama­zon-Prime mit deut­scher Sprach­aus­gabe ange­schaut werden.
Die Serie folgt der Grund­story der Comics: Jesse Cus­ter, gespielt von Domi­nic Coo­per (Marvel’s Agent Car­ter, Abra­ham Lin­coln: Vam­pir­jä­ger), wird von Gene­sis aus­er­wählt und begibt sich auf die Suche nach Gott. Jedoch scheint die Serie einen län­ge­ren Weg gehen zu wol­len als die Comics, ver­mut­lich, um der Suche nach Gott mehr als eine Staf­fel zu widmen.

Auch hier wird der Pre­di­ger von Cas­sidy (Joseph Gil­gun) und Tulip O’Hare beglei­tet, die von der äthio­pisch-iri­schen Schau­spie­le­rin Ruth Negga gespielt wird. Dies sorgte bei Bekannt­gabe für einige Ver­wun­de­rung unter den Fans. Warum sollte eine eigent­lich weiße Figur nun von einer dun­kel­häu­ti­gen Frau gespielt wer­den? Auch ich stelle mir diese Frage, denn – bis­her zumin­dest – sehe ich dafür kei­nen wirk­li­chen Anlass; jedoch ist es auch kein Grund, sich dar­über auf­zu­re­gen, da es der Rolle kei­ner­lei Abbruch tut. Ich könnte mir sogar vor­stel­len, dass ihre Beset­zung in einer Haupt­rolle den Ras­sis­mus, wel­cher in den Comics immer wie­der the­ma­ti­siert wird, noch mal einen prä­gnan­te­ren Aus­druck ver­leiht. Gerade, da die USA heut­zu­tage immer noch mit schwe­ren Ras­sis­mus-Vor­wür­fen zu kämp­fen hat.
Eher der erste Auf­tritt könnte bei Ken­nern der Figur für Stirn­run­zeln sor­gen. Ver­patzt Tulip ihr Atten­tat im Comic auf­grund von Gewis­sens­bis­sen, tötet sie in der Serie gleich in ihrer ers­ten Szene drei Män­ner in einem Auto und holt dann einen Hub­schrau­ber mit einer aus Blech­do­sen und schwarz­ge­brann­tem Alko­hol selbst­ge­bau­ten Bazooka vom Himmel.

Auf den ers­ten Blick scheint die Serie einen etwas ande­ren Weg zu gehen als die Comics. Auch dadurch, dass die Macher die Seri­en­hand­lung ins 21. Jahr­hun­dert ver­setzt haben, wo Tablets und Smart­pho­nes keine Sel­ten­heit sind. Nichts davon würde ich jedoch als schlecht anse­hen, denn ich fühlte mich allein von der Pilot­folge gran­dios unter­hal­ten. Man könnte es eher als eine neue Inter­pre­ta­tion der Grund­ge­schichte sehen, wel­che auf jeden Fall einen Blick wert ist.
Ich setze große Hoff­nung in diese Serie, nicht zuletzt, da Garth Ennis per­sön­lich an der Geschichte mit­ar­bei­tet. Zudem freut es mich, jeman­den wie Seth Rogen in der Pro­du­zen­ten­riege zu haben, der schon mit dem Film „The Inter­view“ zeigte, dass er nicht vor Kon­tro­ver­sen zurückschreckt.

Als Anmer­kung sei noch gesagt: Wer die Serie im O‑Ton Preacher4schauen will, sollte recht gute Eng­lisch­kennt­nisse haben, denn weder das texa­ni­sche­Süd­staa­teneng­lisch, noch das iri­sche Eng­lisch sind wirk­lich ein­stei­ger­freund­lich. Allen ande­ren kön­nen auch mit der deut­schen Syn­chron-Fas­sung ihren Spaß haben.

Ist das etwas für mich?

Wel­ches Genre „Preacher“ jetzt genau ist, ist schwer zu sagen, denn es beinhal­tet Ele­mente aus vie­len ver­schie­de­nen Sti­len. Wie bei einem Road-Trip muss sich die Haupt­fi­gur (hier: die Haupt­fi­gu­ren) schließ­lich dem Ergeb­nis des­sen stel­len, was sie mit dem Antritt ihrer Reise immer wei­ter her­auf­be­schwo­ren hat. Es ist eine Rache­ge­schichte, aber auch eine spi­ri­tu­elle Suche. Auch für Wes­tern-Fans hat der Comic einige High­lights zu bie­ten, unter ande­rem gegen Ende ein Duell im Morgengrauen.
Jedoch wirkt die Geschichte dadurch nicht über­la­den, ganz im Gegen­teil, sie wird durch jedes Ele­ment wei­ter berei­chert. Garth Ennis meis­tert die­sen Genre-Mix mit Bra­vour und schöpft das ganze Poten­tial aus, wel­ches ihm der Ver­tigo-Ver­lag, der kleine aber erwach­se­nere Bru­der von DC, ermöglicht.

Es ist ver­ständ­lich, dass „Preacher“ nicht jeder­manns Geschmack trifft. Allein die sehr bru­tale Bild­spra­che kann anfangs abschre­ckend wir­ken. Wer es schafft, die ers­ten Zwei­fel zu über­win­den oder sich von so etwas gar nicht erst abhal­ten lässt, bekommt eine Geschichte vol­ler aus­ge­ar­bei­te­ter und ein­zig­ar­ti­ger Cha­rak­tere, sowie eine gut erzählte und packende Hand­lung. „Preacher“ ist etwa mit Scho­ko­lade zu ver­glei­chen: Zwar ist es pure Sünde, doch wie kann Sün­di­gen böse sein, wenn es so gut ist?

Preacher 1–9. Autor: Garth Ennis. Zeich­ner: Steve Dil­lon (Band 4: Ste­ve­Pugh, Car­los Esquerra, Richard Case; Band 6: Steve Dil­lon, Peter Sne­jb­jerg). Über­set­zung: Fred Fliege & The wild bunch (Band 6: Clau­dia Fliege). Erschei­nungs­jahr: 1995 – 2000 bei Vertigo.
Preacher (Serie). Idee: Seth Rogen, Evan Gold­berg, Sam Cat­lin. Dar­stel­ler: Domi­nic Coo­per, Ruth Negga, Joseph Gil­gun. Sen­der: AMC (in Deutsch­land: Ama­zon-Prime). Erst­aus­strah­lung: Mai 2016.

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