Der Schneesturm

by Zeichensetzerin Alexa

Vla­di­mir Soro­kin, gebo­ren 1955 in Bykowo, ist ein bedeu­ten­der rus­si­scher Schrift­stel­ler. Bekannt gewor­den ist er mit sei­nen Wer­ken „Der him­mel­blaue Speck“, „Der Tag des Oprit­sch­niks“ und „Der Zucker­kreml“. Er schreibt über Russ­land, kri­ti­siert die Poli­tik – nicht nur in Büchern. So fin­det sich der ein oder andere Gast­bei­trag in den Medien, z.B. auf Faz​.net.

Soro­kin schreibt, was er denkt, und das auf eine sehr unmiss­ver­ständ­li­che, klare Weise. In einem Inter­view vom 11. Okto­ber 2003 sagt er auf Spie​gel​.de: „Es war schon immer gefähr­lich, ein rus­si­scher Schrift­stel­ler zu sein. Alle unsere Klas­si­ker waren im Kon­flikt mit der Obrig­keit. Fast ohne Aus­nahme. In der Sowjet­zeit wur­den sie phy­sisch ver­nich­tet. Heute wird ihr Schrei­ben ver­nich­tet. Der rus­si­sche Staat hat eine pani­sche Angst vor Schrift­stel­lern, warum auch immer. Das gilt eben auch für mich. Ich bin nicht sicher, ob es die letzte Aktion gegen mich war. In Russ­land bricht ein neuer poli­ti­scher Win­ter an. Die Über­macht der Büro­kra­tie wächst wie­der, und eine neue kon­ser­va­tive Peri­ode beginnt. In sol­chen Peri­oden befasst man sich immer viel genauer mit Schrift­stel­lern. Russ­land ist ein Land, über das man keine Pro­gno­sen tref­fen kann. Ich weiß nicht genau, was da kommt. Aber es kommt etwas auf uns zu. […] Die Mas­sen­me­dien wer­den schon vom Staat kon­trol­liert, wir haben kei­nen unab­hän­gi­gen Fern­seh­sen­der mehr. Die Büro­kra­tie hat schon abso­lute Macht. Reicht das nicht? Aber das, was wir jetzt sehen, ist nur der erste Schnee­fall, eines lan­gen Winters.“

Um Schnee­fälle, Schnee­stürme und einen lan­gen, bit­ter­kal­ten Win­ter geht es auch in sei­nem 2012 im Kie­pen­heuer & Witsch Ver­lag erschie­ne­nen Buch „Der Schnee­sturm“. Der Prot­ago­nist Pla­ton Iljitsch Garin ist Land­arzt und befin­det sich zu Beginn der Geschichte in Auf­bruchs­stim­mung, aller­dings in kei­ner guten. Denn er muss sich spu­ten, den Impf­stoff so schnell wie mög­lich nach Dol­goje zu brin­gen. Dort ver­brei­tet sich näm­lich eine unbe­kannte Krank­heit, die Men­schen in Zom­bies verwandelt.
Es hört sich nach einer rus­si­schen Fan­ta­sy­ge­schichte an und auch die selt­sa­men Bege­ben­hei­ten und Gegen­stände schei­nen die­sen Ein­druck zu bestä­ti­gen. Ein Radio mit „leben­di­gen“ Bil­dern? Eine Paste, die Filz „wach­sen“ lässt? Man wird ent­führt in eine Welt, die schein­bar in der Ver­gan­gen­heit exis­tiert, und doch so weit ent­wi­ckelt ist, dass sie kei­nem bestimm­ten Zeit­raum ein­zu­ord­nen ist. Im Klap­pen­text liest man von Zwer­gen und Rie­sen, doch so rich­tig tau­chen sie in der Geschichte nicht auf – zumin­dest nicht so, wie wir sie aus unzäh­li­gen Fan­ta­sy­ro­ma­nen kennen.
Garin, beglei­tet von sei­nem Freund Krächz, ist auf dem Weg und gerät in einen hef­ti­gen Schnee­sturm. Wer so einen Schnee­sturm schon ein­mal erlebt hat, wird wis­sen, dass eine Wei­ter­fahrt schier unmög­lich ist. Und so ras­ten die bei­den, war­ten, fah­ren doch wie­der weiter.

„Gegen den Wind zu Felde zie­hen! Alle Fähr­nisse über­win­den, allen Wahn­witz und Wider­sinn. Nichts und nie­man­den fürch­ten, unbe­irrt sei­nen Weg gehen, wie das Schick­sal es will. Eisern, stand­haft, gera­de­aus. Darin liegt der Sinn unse­res Lebens! ... So dachte der Dok­tor.“ (S. 132)

In „Der Schnee­sturm“ schafft Soro­kin ein Uni­ver­sum, in dem Gesell­schafts­kri­tik, hohe Tech­no­lo­gie, Fan­tasy- und Mär­chen­welt ver­mischt wer­den. Eine zeit­lose Par­al­lel­welt, die erfüllt wird mit der rus­si­schen Seele; Wodka, phi­lo­so­phie­rende Män­ner und eine gewisse Prise Schwer­mut. Es ist ein Werk, das erzäh­le­risch an große Schrift­stel­ler wie Gogol und Tol­stoi erin­nert, und doch wie­derum nicht ver­gleich­bar ist. Ein­zu­ord­nen ist die­ses Werk jeden­falls nicht.

Heute lebt der Autor in Ber­lin und wid­met sich der Kunst. Die Male­rei sei eine schöne Sache, sagt er in einem Inter­view vom 15. Novem­ber 2014 auf Zeit​.de. In Mos­kau konnte er kei­nen Zugang fin­den, in Ber­lin sei es ihm gelun­gen. Außer­dem ver­rät er: „Ich habe ein Buch geschrie­ben, das heißt „Tel­lu­rium“. Es ist nicht nur ein Buch über Russ­lands Zukunft, son­dern über die Zukunft Euro­pas und Eura­si­ens. Es geht um euro­päi­sche Ängste. Die­ses Buch wird jetzt ins Deut­sche über­setzt. Seit­her habe ich nichts mehr geschrieben.“

Im Novem­ber 2014 ist die Taschen­buch­aus­gabe von „Der Schnee­sturm“ erschie­nen, eben­falls im Kie­pen­heuer & Witsch Ver­lag.

Alexa

Der Schnee­sturm, Vla­di­mir Soro­kin, Andreas Tret­ner (Über­set­zer),
Kie­pen­heuer & Witsch, 2012; Ein Bei­trag zum Lese­pro­jekt “Rus­si­sche Literatur”.

„Der Schnee­sturm“ auch auf: lite​ra​tou​ris​mus​.net

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