Konsum gegen die innere Leere – für Kinder? „Der Wal, der immer mehr wollte“

by Satzhüterin Pia

Die Autorin Rachel Bright und der Illus­tra­tor Jim Field bil­den seit eini­ger Zeit ein erfolg­rei­ches Duo. Nach Büchern wie „Die Streit­hörn­chen“ oder „Der Löwe in dir“ kam die­sen Som­mer ein wei­te­rer tie­ri­scher Titel in die Buch­lä­den: „Der Wal, der immer mehr wollte“. Satz­hü­te­rin Pia kann das wun­der­schöne Bil­der­buch nicht unbe­dingt für Klein­kin­der empfehlen.

Wir tau­chen ab, in eine dunkle, blau­grüne, von tan­zen­den Son­nen­strah­len durch­netzte Unter­was­ser­welt, und tref­fen auf einen sanf­ten Rie­sen: den Wal Wen­de­lin. So weit, so nor­mal. Doch Wen­de­lin schleppt sehr viele Dinge mit sich herum, scheint einen aus­ge­präg­ten Sam­mel­d­rang zu haben. Sein ein­sa­mes und rast­lo­ses Umher­schwim­men und Anhäu­fen eines nutz­lo­sen Sam­mel­su­ri­ums sind in der Mee­res­welt schein­bar wohl­be­kannt. Als er näm­lich zu einem in allen Far­ben des Regen­bo­gens schim­mern­den Riff kommt, bemerkt ihn die scharf­sin­nige Krabbe Krissy und warnt die Fische: „Schaut hin und gebt acht! Der Wal, der immer mehr will, die Runde hier macht!“

Die Riff-Bewohner:innen jedoch bemer­ken in ihrem Zank um Platz auf engem Raum weder den Wal noch die War­nung und die Krabbe allein stellt sich dem bedroh­lich wir­ken­den Wal ent­ge­gen. Sie erkennt das Unglück Wen­de­lins und schafft es, ihn mit einem ein­dring­li­chen Rat zum Nach­den­ken zu bewe­gen. Diese schnelle The­ra­pierunde genügt, um Wen­de­lin seine wah­ren Wün­sche erken­nen zu las­sen. Das Lied, das ihm hilft, reicht auch aus, um alle Lebe­we­sen des Riffs das Ver­ständ­nis und die Liebe wie­der spü­ren zu las­sen, was für das har­mo­ni­sche Zusam­men­le­ben auf so engem Raum wich­tig ist.

Kind­ge­recht?

Das Thema scheint nicht voll­ends kind­ge­recht gera­ten zu sein. Die innere Leere durch das Sam­meln nutz­lo­ser Kon­sum­gü­ter fül­len zu wol­len, ist doch eher ein Thema für den einen oder ande­ren Erwach­se­nen und so wirkt die Auf­ar­bei­tung arg kon­stru­iert. Even­tu­ell durch die ande­ren Titel der Reihe – viel­leicht sollte „Der Wal, der immer mehr wollte“ zwin­gend hierzu pas­sen? Jeden­falls scheint es kein Buch zu sein, mit dem man gut über das Anhäu­fen von Spiel­sa­chen bei (Klein)Kindern spre­chen kann. Der Ver­lag emp­fiehlt das Buch ab 3 Jah­ren, was ich bei den The­men für unrea­lis­tisch halte. Es scheint wei­ter­hin frag­lich, ob Klein­kin­der über die­ses Buch die Freude am Geben ent­wi­ckeln kön­nen oder ver­ste­hen, bei zu engem Raum Ver­ständ­nis und Liebe für die Mitbewohner:innen zu entwickeln.

Hol­ter­die­pol­ter, alle glücklich

Am Ende wirkt auch die schnelle Auf­lö­sung und platte „Moral von der Geschicht‘“ stark kon­stru­iert – des­we­gen ist sie sicher­lich nicht weni­ger wahr, aber zumin­dest könnte das galan­ter gestal­tet sein, als so hol­ter­die­pol­ter über eine schnelle Erkennt­nis und ein Lied auf­ge­löst zu wer­den. Und, um zu einem letz­ten Kri­tik­punkt zu kom­men: Wo ist der Zusam­men­hang, die Über­lei­tung bei­der The­men? Auf der einen Seite haben wir einen ein­sa­men, rast­lo­sen Wal, der sich erfüllt und glück­lich füh­len möchte, dies über das Ansam­meln von nutz­lo­sem Kram aber nicht erreicht. Auf der ande­ren Seite haben wir ein Riff mit vie­len Bewohner:innen, die sich des begrenz­tem Rau­mes wegen in den Schup­pen (oder Zan­gen und Ten­ta­keln) lie­gen. Der Zusam­men­hang dürfte das Lied sein, das Wen­de­lin einst von sei­ner Mut­ter lernte, das er der Ein­sam­keit wegen selbst aber nicht wei­ter­ge­ben konnte. Indem er das Lied den Riff-Fischen schenkt, kann er Erfül­lung und Glück fin­den und die Riff-Bewohner:innen wie­der Ver­ständ­nis und Liebe emp­fin­den. Auch hier wie­der eine Ver­bin­dung, die künst­lich wirkt, eher weit her­ge­holt als stimmig.

Far­ben, Lich­ter, Per­spek­ti­ven: fan­tas­tisch illustriert

Die wun­der­schö­nen Bil­der einer mal dunk­len, mal bun­ten Unter­was­ser­welt sind groß­ar­tig. Die über­wie­gend groß­flä­chi­gen Illus­tra­tio­nen wir­ken, im Gegen­satz zu dem voll­be­pack­ten Wal Wen­de­lin, nicht über­la­den und ent­fal­ten eine starke Bild­kraft. Die Farb­wir­kung ist sehr gelun­gen mit den schil­lern­den Blau- und Grün­tö­nen und den dunk­len Grau- und Schwarz­tö­nen, durch die die Son­nen­strah­len tan­zen. Kon­trast­reich leuch­ten die herr­li­chen Far­ben des Regen­bo­gens her­vor, wenn das Riff dar­ge­stellt wird.

Beson­ders beein­dru­ckend sind auch die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven: Den Wal als Bedro­hung wahr­zu­neh­men, funk­tio­niert sehr gut, wenn er als rie­si­ger dunk­ler Schat­ten über das Riff glei­tet, das von der Sonne abge­schirmt nun eine schwarze Sil­hou­ette bil­det. Von der Seite, von hin­ten, mit ihm hin­ab­schau­end, zu ihm hoch­bli­ckend oder im close-up sein trä­nen­er­füll­tes Auge betrach­tend – es ist stets der Wal, der einen dyna­mi­schen Mit­tel­punkt bil­det. Über Licht­spiele bekom­men die Bil­der im Buch eine beson­dere Bewe­gung und die gesamte Dar­stel­lung eine stim­mungs­volle Atmosphäre.

Emo­tio­nen wer­den über die Gesich­ter trans­por­tiert und das funk­tio­niert auch sehr kind­ge­recht. Das Unglück und die Ver­zweif­lung des ein­sa­men Wals sind ihm anzu­se­hen, der Unmut der Riff-Bewohner:innen die­sen deut­lich ins Gesicht geschrieben.

Und mein Fazit?

Das Buch auf­grund mei­ner Kri­tik­punkte als „miss­lun­gen“ abzu­stem­peln, würde zu kurz grei­fen. Die Moral ist wich­tig und rich­tig, die Umset­zung wirkt ledig­lich kon­stru­iert und nicht zwin­gend stim­mig, was bei Kin­der­bü­chern aber durch­aus häu­fi­ger vor­kommt. Wich­ti­ger scheint mir zu sein, dass die The­men nicht unbe­dingt klein­kind­ge­recht sind, aber auch hier kommt es wohl auf die Kin­der an. Dafür sind die Illus­tra­tio­nen groß­ar­tig und bezau­bernd. Auch hier eher etwas für ältere Kin­der als die Ver­lags­emp­feh­lung, denn manch­mal wir­ken der dunkle Schat­ten und der böse Blick des unglück­li­chen Wals durch­aus bedroh­lich und sind somit mög­li­cher­weise nicht für jedes Klein­kind etwas.

Das Buch stellt damit das wohl schwächste des Duos Bright und Field dar, ist aber immer noch ein bes­se­res Bil­der­buch für Kin­der als so man­che ande­ren Titel.

Der Wal, der immer mehr wollte. Rachel Bright. Illus­tra­tio­nen: Jim Field. Magel­lan. Über­set­zung: Pia Jün­gert. 2021. BK-Alters­emp­feh­lung: Ab 5 Jahren.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr