Deutsch, Deutscher, Finsterworld

by Bücherstadt Kurier

Das 2013 erschie­nene Drama „Fins­ter­world“ setzt der deut­schen Gesell­schaft scho­nungs­los den Spie­gel vor die Nase. Neben Sor­gen, Kom­ple­xen und heim­li­chen Gelüs­ten der Deut­schen, the­ma­ti­siert es auch deren gestör­ten Umgang mit dem dun­kels­ten Kapi­tel des Lan­des. Bücher­städ­ter Flo­rian Fab­ozzi hat sich in diese fins­tere Welt hineingewagt.

Ein klei­ner Feld­weg an einer ver­las­se­nen Land­straße irgendwo in der deut­schen Ein­öde. Zwi­schen dem Schü­ler Domi­nik und dem Geschäfts­mann Georg Sand­berg kommt es zu einem Streit. Georg wirft dem Jun­gen vor, seine Frau klamm­heim­lich bei der Ver­rich­tung des klei­nen Geschäfts beob­ach­tet zu haben. Vor Neid erblasst, schlägt er den Jun­gen fast blu­tig. Doch es ver­ge­hen nur wenige Minu­ten, bis sich beide Prot­ago­nis­ten ange­regt unter­hal­ten. Dar­über wie unäs­the­tisch die deut­sche Flagge sei und das Feh­len von Vor­bil­dern in die­sem Land. Deut­sche Befind­lich­kei­ten als gemein­sa­mer Nen­ner, der alle per­sön­li­chen Feind­lich­kei­ten in Win­des­eile ver­ges­sen lässt? Das ist Rea­li­tät in „Fins­ter­world“. Deut­sche lie­ben das Meckern und Nör­geln, am liebs­ten jedoch nör­geln sie über das eigene Land. „Fins­ter­world“ ist ein Film über die Deut­schen und das gestörte Ver­hält­nis zu ihrem Land und all des­sen Eigenarten.

Ver­wo­bene Handlungsstränge

Der Film von Frauke Fins­ter­wal­der und Chris­tian Kracht ist epi­so­disch auf­ge­baut und beglei­tet unter­schied­li­che Prot­ago­nis­ten in par­al­lel ver­lau­fen­den Hand­lungs­strän­gen: Claude Peters­dorf, ein Fuß­pfle­ger, der sich rüh­rend um das Wohl­erge­hen sei­ner 85-jäh­ri­gen Pati­en­tin küm­mert. Der besagte Schü­ler Domi­nik, der auf einem Schul­aus­flug zu einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger die Mit­schü­le­rin Nata­lie umwirbt, dabei aber vom arro­gan­ten Maxi­mi­lian aus­ge­bremst wird. Das unglei­che Paar Fran­ziska und Tom, eine erfolg­lose Film­re­gis­seu­rin und ein Poli­zist. Dazu das wohl­ha­bende, deutsch­land­feind­li­che Ehe­paar Georg und Inga Sand­berg, das sich auf Geschäfts­reise begibt. Abge­run­det wird das bunte Auf­ge­bot von einem namen­lo­sen Ein­sied­ler, der in einer Wald­hütte lebt und einen klei­nen Vogel pflegt.

Erst im Laufe des Fil­mes ver­knüp­fen sich die ein­zel­nen Hand­lungs­stränge – es wird offen­bart, wie die Prot­ago­nis­ten zuein­an­der ste­hen. Was folgt ist eine Ket­ten­re­ak­tion von Hand­lun­gen, deren Kon­se­quen­zen sich auf jeweils andere Hand­lungs­stränge aus­wir­ken und so eine unvor­her­seh­bare Dyna­mik ent­wi­ckeln. Es gip­felt in einem Ende, das die Vor­stel­lung von Moral auf den Kopf stellt. Nicht immer ist das Glück bei den Guten.

Von Fuß­fe­ti­schis­ten und Tierkostümliebhabern

„Fins­ter­world“ möchte keine glatt­ge­bü­gel­ten Kata­log­men­schen, son­dern die Deut­schen mit all ihren Ecken und Kan­ten dar­stel­len – dazu gehö­ren auch tiefste Begeh­ren und skur­rile Hob­bys. So offen­bart Pfle­ger Claude sei­nen Fuß­fe­tisch in der unap­pe­tit­lichs­ten Art und Weise, Poli­zist Tom ist Teil der Furry-Szene, in der sich Men­schen als Kuschel­tiere ver­klei­den. Mit ihren Vor­lie­ben und Inter­es­sen stel­len sie ihre Mit­men­schen auf die Tole­ranz­probe. Am Ende ent­la­den sich dabei viele zwi­schen­mensch­li­che und mora­li­sche Kon­flikte, die unter­schwel­lig schon lange vor­herrsch­ten, doch nie­mals zur Spra­che kamen.

Die Dia­loge trei­ben in den sel­tens­ten Fäl­len die Hand­lung voran – sie reflek­tie­ren banale und all­täg­li­che Gedan­ken der Prot­ago­nis­ten. Doch die Bana­li­tät der Dia­loge ist eine Stärke des Films, denn sie bie­tet eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­flä­che. Wenn Claude sich über die Sinn­lo­sig­keit des Wor­tes „Fider­al­lala“ im Volks­lied „Die Vogel­hoch­zeit“ ärgert, ist das nicht welt­be­we­gend – und doch bie­tet es dem Zuschauer Gedan­ken­fut­ter. Auch Gesell­schafts- und Sys­tem­kri­tik, vor allem auf Deutsch­land bezo­gen, kommt in den Dia­lo­gen natür­lich immer wie­der zum Vorschein.

Frei nach Godwin’s Law geht der Dia­logstrom oft zum Thema Natio­nal­so­zia­lis­mus über. Bei­spiel­haft sei das Ehe­paar Georg und Inga Sand­berg genannt, die pau­schal alle deut­schen Autos als „Nazi­au­tos“ titu­lie­ren. Dann ist da Domi­nik, der in Adolf Hit­ler die ein­zige inter­na­tio­nal berühmte deut­sche Per­son sieht. Seine Schul­klasse reist der­weil zu einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Dort ver­sucht der Leh­rer den Schü­lern in aller Pene­tranz den Ernst die­ses Aus­flu­ges und sei­ner his­to­ri­schen Bedeu­tung zu ver­mit­teln – und stößt auf taube Ohren.

Ein­flüsse aus der Popliteratur

Hier lässt sich ein Bogen zum Dreh­buch­au­toren Chris­tian Kracht span­nen. Kracht kri­ti­sierte einst, dass der Natio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land nie rich­tig auf­ge­ar­bei­tet, son­dern nur ver­drängt und ver­ges­sen wor­den sei. Nur eine von vie­len gewag­ten Aus­sa­gen des umstrit­te­nen Schwei­zer Autors, des­sen pro­vo­ka­tive und kon­tro­verse Außen­dar­stel­lung berüch­tigt ist. Wegen sei­nes Romans „Impe­rium“ wurde ihm gar selbst ein ras­sis­ti­sches Welt­bild unterstellt.

Krachts Talent ist indes unbe­strit­ten und er gehört zu den füh­ren­den deut­schen Ver­tre­tern der Pop­li­te­ra­tur. Seine Hand­schrift lässt sich zum Teil in „Fins­ter­world“ wie­der­fin­den. Romane der Pop­li­te­ra­tur sind geprägt von einer Ziel­lo­sig­keit, der Absti­nenz eines tie­fe­ren Sin­nes. Es geht vor­nehm­lich um Pro­zesse und Beob­ach­tun­gen der All­tags, die rea­li­täts­ge­treu abge­bil­det wer­den sol­len. Ein­sam­keit und die Suche nach der eige­nen Iden­ti­tät sind beliebte The­men, pop­kul­tu­relle Refe­ren­zen und Kon­sum sind ebenso kenn­zeich­nend. All das fin­det der auf­merk­same Zuschauer – mal mehr, mal weni­ger aus­ge­prägt – auch in „Fins­ter­world“.

Selbst die Sozio­pa­thie, eine nicht unty­pi­sche pop­li­te­ra­ri­sche Cha­rak­ter­ei­gen­schaft, wird in den Per­so­nen des Ein­sied­lers sowie des Schü­lers Maxi­mil­lan unver­blümt zur Schau gestellt.

So gin­gen die sprich­wört­li­chen Lor­bee­ren, von denen es für „Fins­ter­world“ viele gab, pri­mär an Chris­tian Kracht. Die reife und rou­ti­nierte Leis­tung der Regis­seu­rin Frauke Fins­ter­wal­der rückt dabei zeit­wei­len in den Hin­ter­grund. Spe­ku­liert wurde, ob die bis dahin eher unbe­kannte Regis­seu­rin sich im Film selbst ver­ewigt hat – in Per­son von Fran­ziska, einer glück- und erfolg­lo­sen Filmemacherin.
Selbst wenn es nun so inten­diert war: Seit dem Erfolg „Fins­ter­worlds“ ist eine solch pes­si­mis­ti­sche Selbst­dar­stel­lung hinfällig.

Fins­ter­world. Regie: Frauke Fins­ter­wal­der. Dreh­buch: Chris­tian Kracht. Dar­stel­ler: Michael Maer­tens, San­dra Hül­ler. Wal­ker + Worm Film. Deutsch­land, 2013. FSK 12.

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