Die Entlarvung #BKUmwelt

by Bücherstadt Kurier

Isa Moreno saß an einem Tisch vor einem Café an der Plaza Mayor des Ortes Espe­r­anza und schaute sich um. Die paar Leute auf der Plaza saßen im Schat­ten, die heiße Sonne an die­sem frü­hen Nach­mit­tag wurde gemieden.

Isa fühlte sich fremd, war aber fas­zi­niert von den weiß­ge­kalk­ten Gebäu­den und der süd­li­chen Atmo­sphäre hier in Anda­lu­sien. Zwar war sie zum Teil spa­ni­scher Abstam­mung, aber ihr Groß­va­ter väter­li­cher­seits stammte aus Gali­zien am Atlan­tik im Nord­wes­ten Spa­ni­ens. Dort war es ganz anders als hier im son­ni­gen Süden, dachte Isa, oft reg­ne­risch, an der Küste stür­misch und irgend­wie nörd­lich. Doch auch hier gab es Grün, wie sie in den ver­gan­ge­nen Tagen fest­ge­stellt hatte.

Isa war Ham­bur­ge­rin, Jour­na­lis­tin, Ende 20, mit brü­net­tem Pfer­de­schwanz, auf Umwelt­the­men spezialisiert.

Drei Tage war sie hier in Anda­lu­sien gewan­dert, mit Luis, einem drah­ti­gen Umwelt­ak­ti­vis­ten mit leicht ergrau­tem Stop­pel­bart. Län­gere Zeit hat­ten sie sich dabei in einen Kork­ei­chen­wald auf­ge­hal­ten. Der Kork diente als Roh­ma­te­rial für Wein­kor­ken und Boden­be­läge, seine Nut­zung war aber umwelt­freund­lich. Der größte zusam­men­hän­gende Wald Süd­eu­ro­pas war das, davon hatte Isa vor­her nicht gewusst. Auch Stein­ei­chen gab es, Farne, Blu­men und Kräu­ter. Über­haupt wirkte vie­les sehr natur­be­las­sen hier in Süd­an­da­lu­sien, sel­ten waren Men­schen zu sehen, auch außer­halb der Wald­zone, wo es Land­wirt­schaft gab. Ges­tern waren sie einem Rei­ter begeg­net, wie aus ande­rer Zeit: der Hut auf dem Kopf, einen lan­gen höl­zer­nen Stab mit sich füh­rend wie eine Lanze. „Gegen die Stiere, die dort wei­den. Sie sind nicht unge­fähr­lich“, hatte Luis erläu­tert, und in der Tat hat­ten sie in eini­ger Ent­fer­nung die behörn­ten Tiere inmit­ten einer gro­ßen umzäun­ten Frei­flä­che gese­hen, auf die der Rei­ter zuge­rit­ten war. „Ich sel­ber mag den Stier­kampf auch nicht“, so Luis, „aber die Apo­lo­ge­ten die­ses uralten, aber grau­sa­men Brau­ches ver­wei­sen dar­auf, dass die Stiere es, bevor sie in der Arena kämp­fen, viel bes­ser haben als die Rin­der in der Mas­sen­tier­hal­tung des Nor­dens, bevor sie geschlach­tet werden.“

Spä­ter waren sie an einen klei­nen wil­den Fluss gekom­men, wo Luis mit einem Schmun­zeln ange­merkt hatte, dass die Wirt­schafts­krise Spa­ni­ens auch Posi­ti­ves mit sich brachte. Denn eigent­lich hatte hier ein Stau­damm ent­ste­hen sol­len, aber durch die Krise war die Beein­träch­ti­gung der intak­ten Natur ver­hin­dert wor­den. Das lebens­not­wen­dige Was­ser hätte man sonst zur Bewäs­se­rung von Golf­plät­zen ver­wen­det, auf denen die Tou­ris­ten aus dem Nor­den mit klei­nen wei­ßen Bäl­len gespielt hätten ...

Nun aber war­tete Isa bei ihrem Milch­kaf­fee dar­auf, dass Luis von der Rezep­tion der klei­nen Her­berge nebenan den Schlüs­sel für das Zim­mer brachte, das sie hier gebucht hatte. Er hin­ge­gen würde bei ande­ren Akti­vis­ten übernachten.

Der Ort Espe­r­anza war der End­punkt ihrer Wan­de­rung, wo Isa ihrer Arbeit nach­ge­hen wollte, denn sie war dabei, eine Umwelt­re­por­tage zu schrei­ben. Hier in der Nähe war Lithium ent­deckt wor­den, ein wich­ti­ger Roh­stoff für Elek­tro­bat­te­rien und Mobil­te­le­fone. Ein inter­na­tio­na­ler Kon­zern, die Deer­man Mining Com­pany, plante den Abbau. Gut fürs Geschäft, doch was würde mit den Rück­stän­den gesche­hen? Der Ver­dacht lag nahe, dass Gift in die Umwelt gelan­gen würde, was auf das Geld fixierte Ein­hei­mi­sche ebenso in Kauf neh­men wür­den wie die äußerst prag­ma­ti­schen Unter­neh­mer aus dem Aus­land und ihre Ange­stell­ten. Es gab ja über­all Prä­ze­denz­fälle von Umwelt­zer­stö­rung – die Abläufe waren immer gleich!

Am über­nächs­ten Tisch saß unter einem Son­nen­schirm eine viel­leicht drei­ßig­jäh­rige blonde Frau, geschäfts­mä­ßig geklei­det, mit fla­chen Schu­hen, schwar­zem Rock und wei­ßer Bluse. Vor ihr auf dem Tisch befand sich ein Lap­top. Gerade als sie in eng­li­scher Spra­che einen Kaf­fee bestellte, tauchte Luis auf und setzte sich zu Isa. Er reichte ihr den Schlüs­sel und hatte außer­dem für sich ein Bier und für die Jour­na­lis­tin ein Was­ser dabei. Da über­querte ein bebrill­ter Mitt­vier­zi­ger mit Halb­glatze und Bart die Plaza, nach­dem er sein Auto gegen­über geparkt hatte. Trotz der Sonne trug er ein Sakko über Hemd und Kra­watte. „Das ist Buknatz, einer der Bosse von Deer­man“, erklärte Isa mit lei­ser Stimme, fast flüs­ternd. Sie und Luis beob­ach­te­ten aus den Augen­win­keln, wäh­rend sie nur auf die Plaza zu schauen schie­nen, wie Buknatz, Pro­to­typ des Bie­der­manns, sich zu der Blon­den setzte. Auf Eng­lisch fragte er: „Die Prä­sen­ta­tion steht, Miss Jones?“ Die Blonde nickte und ent­nahm ihrer klei­nen Hand­ta­sche einen gän­gi­gen USB-Stick. Sie klappte den Lap­top auf, star­tete ihn und schloss den Stick an. Isa und Luis ver­folg­ten das ver­stoh­len, wäh­rend sie taten, als ob sie das Gesche­hen am Tisch der bei­den ande­ren nichts anginge. Zudem konn­ten sie den Moni­tor des Lap­tops nicht sehen. Doch Isa hatte schon genug regis­triert. Mor­gen sollte eine Ver­an­stal­tung in der Casa de Cul­tura von Espe­r­anza statt­fin­den. Dort wollte die Deer­man Com­pany für posi­tive Stim­mung sor­gen. Dem sollte wohl die Prä­sen­ta­tion auf dem USB-Stick die­nen, die Buknatz eben erwähnt hatte. Sehr inter­es­sant, dachte Isa, wäh­rend sie einen Schluck Was­ser trank.

Ein paar Minu­ten schau­ten die Jones und Buknatz kon­zen­triert auf den Moni­tor, bis die Bedie­nung den Kaf­fee für die Frau brachte. Da ver­ab­schie­dete Buknatz sich und machte sich zu sei­nem Wagen auf, Miss Jones blieb mit dem Lap­top und dem Stick zurück. Die trank in Ruhe ihren Kaf­fee und ging schließ­lich nach dem Bezah­len hin­über zur Her­berge, wo sie offen­bar auch abge­stie­gen war.

Isa und Luis hin­ge­ben blie­ben noch sit­zen, dies und jenes bere­dend. Doch als die Schat­ten immer län­ger wur­den, suchte die Jour­na­lis­tin eben­falls die Her­berge auf und der Umwelt­ak­ti­vist machte sich auf den Weg zu sei­nen Freun­den. Abends woll­ten sie zusam­men dort essen.

Kurz nach 23 Uhr. Isa strebte wie­der ihrer Unter­kunft ent­ge­gen. Obwohl es ein schö­ner lauer Abend war, gab es diese Unruhe in ihr, auch weil zwangs­läu­fig in den Gesprä­chen mit den Umwelt­ak­ti­vis­ten immer wie­der der mor­gige Tag und die Pres­se­kon­fe­renz eine Rolle gespielt hatten.

Jetzt blickte Isa zu ihrer Her­berge hin­über. Sie hatte mit­ge­kriegt, dass die Mit­ar­bei­te­rin von Buknatz das Zim­mer neben ihr bewohnte, wäh­rend er wohl irgendwo anders unter­ge­bracht war. Auf ein­mal stutzte sie. Gerade ver­ließ Miss Jones die Her­berge und ging zu dem Café. Was sie dort wohl wollte? Isa war neu­gie­rig. Ah, die blonde Frau setzte sich allein an einen Tisch, mit einem Glas Rot­wein, wollte wohl entspannen.

Das brachte Isa zum Han­deln. Die ganze Zeit hatte sie das mit dem Stick in ihrem Kopf mit sich her­um­ge­tra­gen. Jetzt eilte sie in die Her­berge, auf ihr Zim­mer, und zu ihrem Ruck­sack. Dort hatte sie zwei Sticks, den einen hatte sie eigent­lich für die Umwelt­ak­ti­vis­ten gedacht und die Dateien des ande­ren dar­auf kopiert. Schnell nahm sie das Dupli­kat mit den Deer­berg-Umwelt­sün­den und blickte zu ihrem klei­nen Bal­kon. Der befand sich an der Rück­seite der Her­berge, zur ande­ren Seite der Plaza gewandt, im Halb­dun­kel. Erneut schaute Isa sich den Stick an, wie­der wan­derte ihr Blick zur geöff­ne­ten Bal­kon­tür. Dann stand sie auf und trat hin­aus. Der Nach­bar­bal­kon war viel­leicht einen Meter entfernt ...

Unten auf der Plaza trank Miss Jones wäh­rend­des­sen ihren Rot­wein aus und zahlte.

Isa hin­ge­gen hatte sich lang­sam das Gelän­der des ande­ren Bal­kons hoch­ge­zo­gen. Ihr Atem raste, Schweiß lief ihr übers Gesicht. Sie betrat gerade das Zim­mer, als sie den Schlüs­sel im Schloss hörte. Rasch unters Bett!

Da betrat Miss Jones den Raum, ging aber glück­li­cher­weise ins Bad und schloss die Tür hin­ter sich. Blitz­schnell kam Isa unter dem Bett her­vor und ließ die Bli­cke schwei­fen. Wäh­rend im Bad die Dusche anging, zog sie den Stick aus ihrer Jeanstasche ...

Am nächs­ten Mor­gen, gegen elf Uhr, war die Sala de Cul­tura prop­pen­voll. Vorne sprach Buknatz mit Hilfe einer Spa­nie­rin, die für Deer­man arbei­tete, ein paar ein­lei­tende Worte. Wei­ter hin­ten im Saal ver­suchte Miss Jones indes­sen, alle Vor­keh­run­gen zu tref­fen, um die Prä­sen­ta­tion auf eine Lein­wand pro­ji­zie­ren zu kön­nen. Sie war spät dran, denn meh­rere Umwelt­ak­ti­vis­ten waren ihr drau­ßen im Weg gewe­sen, dann aber von Poli­zis­ten abge­drängt wor­den. So hatte sie keine Zeit gehabt, sich in Ruhe vor­zu­be­rei­ten. Die bei­den Frauen mit dem ent­schlos­se­nen Gesichts­aus­druck hin­ter ihr nahm sie nicht wahr, als sie sich auf den bereit­ge­stell­ten Büro­stuhl setzte. Auch Luis und Isa ent­gin­gen ihr, die in der Nähe war­te­ten. Vorne auf der Bühne wurde bereits begon­nen, nach­dem Buknatz einen generv­ten Blick in Rich­tung von Miss Jones gewor­fen hatte, die nichts hatte tes­ten kön­nen. Jetzt führte sie den Stick ein, wäh­rend die Beleuch­tung wie im Kino aus­ging, was für ein schum­me­ri­ges Halb­dun­kel sorgte ... Da tra­ten die bei­den Frauen in Aktion und zogen die voll­kom­men über­raschte Miss Jones auf dem Büro­stuhl nach hin­ten, wäh­rend sich eine Hand auf ihren Mund legte, um sie am Schreien zu hin­dern. Dann betä­tigte der Zei­ge­fin­ger einer behand­schuh­ten Hand die Enter­taste, um die Prä­sen­ta­tion zu starten ...

Zur glei­chen Zeit schien vorne alles ganz nor­mal zu sein, doch schnell wurde klar, dass es sich bei den gezeig­ten Inhal­ten nicht um einen Wer­be­film han­delte. Statt­des­sen waren in schnel­ler Folge Bil­der von gif­ti­gen Rück­stän­den an allen mög­li­chen Stand­or­ten zu sehen, beglei­tet von einem Kom­men­tar, der die Deer­man Mining Com­pany förm­lich anklagte.

Dann brach die Hölle los: Geschrei, Geran­gel, ein wah­rer Tumult ...

Eine Woche spä­ter. Isa Moreno war zurück im Ham­bur­ger Schmud­del­wet­ter und tele­fo­nierte mit Luis. „Ach, wir leben doch nicht mehr zu Fran­cos Zei­ten. Außer­dem sind Carla und Ana uner­kannt ent­kom­men, nach­dem sie die Jones weg­ge­zo­gen haben. Die Anwälte kön­nen uns mal“, beru­higte Luis die Jour­na­lis­tin und lachte: „Das war ein Spaß! Schlechte Publi­city für Deer­man! Komm bald wie­der, wir zah­len alles und fei­ern eine Woche!“ Da musste Isa schmun­zeln. Vor ihrem inne­ren Auge tauchte auf ein­mal der Wald mit den Kork­ei­chen auf, beschie­nen von der süd­li­chen Sonne.

Text: Jür­gen Rösch-Brassovan

Jür­gen Rösch-Brassovan
*1966, Stu­dium Geschichte/Politik, ver­hei­ra­tet, ein Sohn
Ver­öf­fent­li­chun­gen im Inter­net (u.a.): Bücher­stadt Kurier – Lite­ra­ri­scher Advent 2016, 2017, 2018, 2019 // 1001buch – Lite­ra­ri­scher Advent 2014 (Audio­ver­sion einer Kurzgeschichte)
Ver­öf­fent­li­chun­gen in gedruck­ter Form: Kurz­ge­schich­ten in diver­sen Antho­lo­gien (z.B. „Es geschah zu Hal­lo­ween“, net-Ver­lag, erschie­nen 2019)
E‑Mail: roesch-​brass@​gmx.​de
Ein Bei­trag zum Spe­cial #BKUm­welt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

Foto: Pixaby // Illus­tra­tion: Satz­hü­te­rin Pia

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