Die Filmerzählerin

by Zeichensetzerin Alexa

„Die Film­erzäh­le­rin“ ist eine trau­rig-schöne Geschichte, die Kino im Kopf ver­ur­sacht – mit Bil­dern, die einen so schnell nicht wie­der loslassen.

Erzähl­künst­le­rin

„Wie in jeder Sal­pe­ter­sied­lung in der Wüste, so konnte man auch in unse­rer an der Behau­sung gleich erken­nen, zu wel­cher der drei sozia­len Klas­sen die Bewoh­ner gehör­ten: In den Well­blech­häu­sern leb­ten die Arbei­ter, in den Häu­sern aus Lehm­zie­geln die Ange­stell­ten, in den Vil­len mit Holz­ve­randa die Gringos.“

María Mar­ga­rita ist zehn Jahre alt und lebt mit ihrem Vater und ihren fünf Brü­dern in einer Sied­lung der chi­le­ni­schen Ata­cama-Wüste. Dort ist Kino das Span­nendste, das es gibt und für die­je­ni­gen, die es sich leis­ten kön­nen, ein wah­res Erleb­nis. Marías Fami­lie gehört zu den Armen in der Sied­lung, der Vater sitzt seit sei­nem Arbeits­un­fall im Roll­stuhl und bekommt eine so karge Rente, dass es gerade noch fürs Essen reicht. Das Haus kön­nen sie allein des­halb bewoh­nen, weil der Vater ein vor­bild­li­cher Arbei­ter gewe­sen ist und kei­nen Tag auf der Arbeit gefehlt hat. Da er jedoch ein gro­ßer Film­lieb­ha­ber ist, legt er monat­lich etwas Geld bei­seite, damit sich einige sei­ner Kin­der einen Kino­be­such leis­ten kön­nen. Deren Auf­gabe ist es anschlie­ßend, den Film so detail­iert wie mög­lich nach­zu­er­zäh­len, damit die ande­ren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen auch etwas davon haben. Bis María eines Tages beweist, dass sie eine Erzähl­künst­le­rin ist und fortan jeden Film schauen darf, um ihr Kön­nen als Film­erzäh­le­rin per­fek­tio­nie­ren zu kön­nen. Schnell ver­brei­tet sich die Nach­richt im Dorf, María könne einen Film so bild­haft nach­er­zäh­len, dass es noch schö­ner sei als ein Besuch im Kino. Und so neh­men die Dinge ihren Lauf…

Hernán Rivera Lete­lier hat einen sehr leich­ten, locke­ren Schreib­stil. Auf­grund der Ich-Per­spek­tive kann man die Gedan­ken- und Gefühls­welt der Prot­ago­nis­tin erle­ben und man emp­fin­det auf Anhieb Sym­pa­thie. Es ist ein Mäd­chen, das vor Selbst­be­wusst­sein strahlt, das mit Ener­gie und Enthu­si­as­mus an das Erzäh­len von Fil­men her­an­geht. Umso erschre­cken­der sind die Schat­ten­sei­ten, die auf­ge­zeigt wer­den. Denn es ist längst nicht alles so schön wie es anfangs noch scheint, so unbe­fan­gen und locker. Zum Ende hin legt sich eine bedrü­ckende Trau­rig­keit auf die Sei­ten, hält einen fest zwi­schen den Zei­len, wo sich noch so vie­les mehr befin­det. All das, was in den 107 Sei­ten nicht hätte unter­ge­bracht wer­den können.

„Die Film­erzäh­le­rin“ ist eine trau­rig-schöne Geschichte, die Kino im Kopf ver­ur­sacht – mit Bil­dern, die einen so schnell nicht wie­der loslassen.

Alexa

Titel: Die Film­erzäh­le­rin; Autor: Hernán Rivera Lete­lier; Über­set­ze­rin: Svenja Becker; Ver­lag: Insel Ver­lag; Erschei­nungs­jahr: 2012

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr