Die Gestaltwandlerin und der Massenmörder

by Bücherstadt Kurier

Octa­via E. But­ler gilt als eine Vor­rei­te­rin der Schwar­zen Sci­ence Fic­tion. Mit „Wilde Saat” ist der Klas­si­ker von 1980 in einer Neu­aus­gabe erschie­nen. Das Buch, das Gen­re­gren­zen aus­lo­tet, hat Bücher­städ­te­rin Vera mit vie­len Fra­gen zurückgelassen.

Wilde Saat von Octa­via E Butler

West­afrika, 1690: Zwei unwahr­schein­lich mäch­tige Wesen tref­fen auf­ein­an­der. Doro ist uralt, er springt von Men­schen­kör­per zu Men­schen­kör­per, um sich am Leben zu erhal­ten, und tötet dabei ohne Reue jeden Wirts­kör­per. Er züch­tet Men­schen­völ­ker nach sei­nen Vor­stel­lun­gen, und da kommt ihm Any­anwu gerade recht. Die 300 Jahre alte Gestalt­wand­le­rin könnte seine Zucht­vor­ha­ben auf den rich­ti­gen Weg füh­ren. Doch viel­leicht muss er sie auch töten, denn im Gegen­satz zu „sei­nen” Völ­kern ver­göt­tert sie ihn nicht. Zwi­schen Abscheu und Anzie­hung beginnt eine Reise durch die Jahr­hun­derte, die eng mit der Kolo­ni­al­ge­schichte und Skla­ve­rei der USA ver­bun­den ist.

„In mei­nem Volk ist nur eins gegen die Natur: Unge­hor­sam gegen mei­nen Wil­len.” (S. 208)

„Wilde Saat” lebt durch die bei­den Haupt­fi­gu­ren Doro und Any­anwu. But­ler gelingt es, mit Doro einen ver­ab­scheu­ungs­wür­di­gen Prot­ago­nis­ten zu erschaf­fen: Die­ses Jahr­tau­sende alte Wesen hat auf der Welt nur das Ziel, Men­schen mit über­na­tür­li­chen Fähig­kei­ten zu züch­ten und selek­tiert dabei skru­pel­los. Für ihn sind Men­schen­le­ben nur Res­sour­cen. Er schwingt sich zum Gott auf und erlaubt nichts als abso­lu­ten Gehor­sam. Ihm gegen­über­ge­stellt ist die viel­schichte und schein­bar wider­sprüch­li­che Any­anwu, eine Hei­le­rin, die Doro ent­ge­gen­tritt, wo sie nur kann, und sich ihm fügt, wo es nicht anders geht. Für Doro ist sie die titel­ge­bende „wilde Saat”, ein über­na­tür­li­ches Wesen, dass außer­halb sei­ner Zucht ent­stan­den ist, doch „[w]ilde Saat musste letzt­end­lich immer ver­nich­tet wer­den” (S. 156). Kann sie ihm entfliehen?

Das lang­same Erzähl­tempo und die Zeit­sprünge zie­hen die Lek­türe in die Länge; an But­lers Schreib­stil muss man sich erst gewöh­nen. Der Roman ist auch inhalt­lich kein leicht zugäng­li­ches Buch. Neben dem offen­sicht­li­chen Thema der Skla­ve­rei und des Ras­sis­mus‘ las­sen unter ande­rem auch Gewalt und Inzest die Lek­türe zu einer gewis­sen Her­aus­for­de­rung wer­den. But­ler spielt jedoch gekonnt mit race, kul­tu­rel­ler und geschlecht­li­cher Iden­ti­tät, denn ihre Haupt­fi­gu­ren kön­nen sich deren Gren­zen ent­zie­hen, wenn sie es wol­len. Genau wie Doro von Kör­per zu Kör­per sprin­gen kann, kann Any­anwu als Frau, Mann, als Tier leben. Doch was bedeu­tet das für ihre Mensch­lich­keit und ihre Nach­kom­men? Sind sie über­haupt Menschen?

„Sie hatte erkannt, dass die­ser Mann noch anders­ar­ti­ger war als sie selbst. Die­ser Mann war gar kein Mann.” (S. 26)

Wer beim Genre Sci­ence-Fic­tion Raum­schiffe, fremde Pla­ne­ten, unglaub­li­che Tech­nik oder Ali­ens erwar­tet, wird bei „Wilde Saat” zwangs­läu­fig ent­täuscht sein. „Wilde Saat” gehört zur „Patternist”-Reihe und bil­det chro­no­lo­gisch den Auf­takt, kann jedoch auch unab­hän­gig gele­sen wer­den. Der Roman lotet aus Schwar­zer Per­spek­tive meh­rere Gen­re­gren­zen aus – die Autorin ver­webt Sci­ence-Fic­tion, Fan­tasy, His­to­ri­schen Roman und Fami­li­en­saga mit west­afri­ka­ni­schen Mythen. Würde man das Buch heute viel­leicht auch in das Genre Afri­can­fu­tu­rism ein­ord­nen, so wie Nnedi Oko­ra­fors Romane der letz­ten Jahre? Oko­ra­for arbei­tet gerade als Dreh­buch­au­torin für die geplante Serienverfilmung.

Keine leichte Som­mer­lek­türe, fin­det Bücher­städ­te­rin Vera. Den­noch hat sie noch nie ein ver­gleich­ba­res Buch gele­sen, das sie inhalt­lich gleich­zei­tig so fas­zi­niert und abge­schreckt hat.

Wilde Saat. Octa­via But­ler. Aus dem Ame­ri­ka­ni­schen von Will Plat­ten. Heyne. 2021.

Zum Wei­ter­le­sen:

Nnedi Oko­ra­for: Lagune – Was­ser ist Leben – auch Außerirdisches

Nnedi Oko­ra­for: Das Buch des Phö­nix – Wenn sie brennt, brennt die Welt mit ihr

Nnedi Oko­ra­for: Sie fürch­tet den Tod nicht – Sie fürch­tet den Tod nicht

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