Die Illusion von Nah und Fern

by Zeichensetzerin Alexa

Als ich „Die Illu­sion des Getrennt­seins“ von Simon van Booy das erste Mal in einer Buch­hand­lung sah, war es wie Liebe auf den ers­ten Blick. Das Cover­bild, so leicht und schwe­bend wie das Motiv, die Far­ben so ange­nehm, der Titel beein­dru­ckend. Manch­mal täuscht uns die Auf­ma­chung eines Buches, sei es die Gestal­tung des Covers oder der rei­ße­ri­sche Klap­pen­text. Bei „Die Illu­sion des Getrennt­seins“ war der Ein­druck aller­dings alles andere als nur eine Illusion…

Die Hand­lung spielt mit­ten im Zwei­ten Welt­krieg, erzählt wird sie aus der Sicht ver­schie­de­ner Men­schen unter­schied­li­chen Alters. Das Beson­dere daran: Die Kapi­tel wech­seln nicht nur zwi­schen den Prot­ago­nis­ten, son­dern auch in der Erzähl­per­spek­tive (Ich‑, Personaler‑, All­wis­sen­der Erzäh­ler), dem Hand­lungs­ort und der Zeit. Wäh­rend des Lesens wird man ange­regt, stets mit­zu­den­ken und die Erzähl­stränge selbst zu ver­knüp­fen. Eine Her­aus­for­de­rung, wenn man bedenkt, dass nur wenige Hin­weise gege­ben und die Namen der Betei­lig­ten nicht immer von allen aus­ge­spro­chen werden.
Der Ein­druck, der durch das Cover geweckt wurde, bleibt einem auch beim Lesen erhal­ten. Locker­leicht, schwe­bend, poe­tisch, phi­lo­so­phisch, ange­nehm, lie­be­voll – so könnte man den Schreib­stil des Autors beschrei­ben. „Er stellte sich die Kämpfe jen­seits des Mee­res vor. Das Auf­blit­zen und die Schreie. Er konnte sie in sei­nem Mund schme­cken. Und als er da stand, ohne sich zu rüh­ren, öff­nete sich sein Herz den vie­len Fel­dern vol­ler Toter, die den Helm noch auf dem Kopf tru­gen, ihre Augen schein­bar sehend geöff­net. Liebe ist auch eine Ver­let­zung und kann nicht unge­sche­hen gemacht wer­den.“ (S. 101)

Man wird hin­ein­ge­zo­gen in ein wir­res Durch­ein­an­der von Schick­sa­len ver­schie­de­ner Men­schen, die alle auf irgend­eine Weise mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Wie genau, das erschließt sich einem nach und nach beim Lesen, die end­gül­tige Auf­lö­sung gibt es am Ende. Aber auch dann lässt einen die Geschichte nicht los. Man möchte die Welt, die Simon Van Booy erschaf­fen hat, nicht so schnell wie­der ver­las­sen, grü­belt über die Gescheh­nisse nach, über Worte, die geäu­ßert wur­den, über die Moral, die einem ver­mit­telt wurde: Dass selbst die kleinste Ent­schei­dung über das Schick­sal vie­ler Men­schen bestimmt, dass man durch sein eige­nes Han­deln Gro­ßes bewir­ken kann. Ein Kreis­lauf, der sich erst am Ende eines Lebens schließt.

„Die Illu­sion des Getrennt­seins“ hat mich auf eine stille, leichte Weise berührt wie es noch kein Buch zuvor getan hat. Wie ein ange­neh­mes Lied klingt die Geschichte in mei­nem Kopf noch nach und erin­nert immer wie­der daran, wie nah die Men­schen ein­an­der doch sind, auch wenn sie es nicht glau­ben. Denn schluss­end­lich ist das Getrennt­sein nur ein Gedanke in unse­rem Kopf und nichts wei­ter als eine Illusion.

Alexa

Die Illu­sion des Getrennt­seins, Simon Van Booy, Clau­dia Feld­mann, Insel Ver­lag, 2014

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buzzaldrinsblog 30. September 2014 - 17:41

Auch ich habe das Buch ganz gerne gele­sen, muss aber geste­hen, dass ich mir auf­grund des Klap­pen­tex­tes dann doch eine ganz andere Geschichte ver­spro­chen hatte. Den­noch ist das Buch in der Tat ein inter­es­san­tes Leseerlebnis!

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Bücherstadt Kurier 30. September 2014 - 18:21

Ich muss geste­hen, ich habe den Klap­pen­text nur kurz über­flo­gen, um mir einen ers­ten Ein­druck zu schaf­fen, und ihn dann wie­der ver­ges­sen. Da mich schon oft Klap­pen­texte getäuscht oder mir zu viel von der Geschichte ver­ra­ten haben, über­fliege ich sie nur, nehme sie in den sel­tens­ten Fäl­len ernst. Man­che Bücher kaufe ich mir sogar, ohne mir den Klap­pen­text durch­ge­le­sen zu haben, allein aus einem Gefühl her­aus. Und dann lese ich das Buch zu Ende und ver­glei­che meine Zusam­men­fas­sung mit dem Klap­pen­text – das ist so herr­lich span­nend! Wie stehst du zu Klappentexten? 🙂

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