„Die Katze und der General“ Schuld und Sühne von Kriegsverbrechen

by Satzhüterin Pia

Niro Hara­ti­sch­wili hat mit ihrem aktu­el­len Roman „Die Katze und der Gene­ral“ ein enor­mes Buch geschaf­fen – gehalt­voll und umfang­reich. Über 750 Sei­ten umfasst der Roman, der mit Schuld und Sühne von Kriegs­ver­bre­chen des Tsche­tsche­ni­en­kriegs auf­war­tet. Über die Quan­ti­tät lässt sich nicht strei­ten, wohl aber über die Qua­li­tät, fin­det Satz­hü­te­rin Pia.

„Die Katze und der Gene­ral“ star­tet mit einem star­ken Pro­log, wird irgend­wann jedoch zu viel und zu lang. Bereits nach 200 Sei­ten haben wir Leser mehr Infor­ma­tio­nen zu ver­ar­bei­ten, als wir even­tu­ell ver­mö­gen. Dabei macht der Roman lange Spaß – mir jeden­falls. In jedem Kapi­tel kommt eine Figur zu Wort, dabei wer­den die Erzähl­wei­sen gewech­selt, die Ein­bli­cke gehen tief. Viel­leicht zu tief? Der Roman ist stark kon­stru­iert, anders könn­ten die vie­len (Neben)Figuren nicht koexis­tie­ren. Die Ver­äs­te­lun­gen ver­lo­cken dazu, das Woll­knäuel ent­wir­ren zu wol­len, die vie­len Stränge und mög­li­che Ver­bin­dun­gen zu den ande­ren Figu­ren zu erken­nen und zu durch­schauen. Doch nicht jede Vita einer jeden Neben­fi­gur braucht diese tie­fen Ein­bli­cke und so wird der Ein­druck von ein­fühl­sa­men Cha­rak­ter­ent­wick­lun­gen ab einem gewis­sen Punkt zu unnö­ti­gen Lebens­ge­schich­ten. Man erkennt, dass die Autorin zu oft ihren eige­nen Erzähl­fluss verlässt.

„Wie schmeckte das Glück andern­orts? Wie schmeckte das west­li­che Glück?“ (S. 270)

Die Geschichte dabei auf ein Mini­mum zu redu­zie­ren, fällt (mir) eini­ger­ma­ßen schwer. Erzählt wird aus sowje­ti­scher wie rus­si­scher Geschichte zwi­schen den 1990er Jah­ren und 2016. Wir begin­nen mit Nura, einer jugend­li­chen Tsche­tsche­nin, in deren Dorf der Krieg ein­zieht. Wir ler­nen Orlow ken­nen – wie er anfangs in die zu gro­ßen Fuß­stap­fen sei­nes Kriegs­hel­den-Vaters tre­ten muss und zum Ein­zug in den Krieg gezwun­gen wird – und wie er spä­ter, zum Olig­ar­chen auf­ge­stie­gen, nur noch „der Gene­ral“ genannt wird. Die Ver­bin­dung von Orlow zu Nura und spä­ter zum Jour­na­lis­ten Onno und der „Katze“, einer eigen­wil­li­gen Schau­spie­le­rin, führt schon zu weit in die Geschichte hinein.

Die Spra­che ist einer­seits wuch­tig und meta­phern­reich, ande­rer­seits aber auch reich an Phra­sen und hol­pert an der einen oder ande­ren Stelle. So „kul­lern“ die Trä­nen, Figu­ren agie­ren „wie fern­ge­steu­ert“, oder dich­ter Nebel „lullt“ sie ein. Die wech­seln­den Erzäh­ler und Erzäh­ler­stim­men machen die Geschichte durch­aus inter­es­sant und abwechs­lungs­reich – ab einem gewis­sen Punkt kippt dies und die Geschichte wirkt über­la­den. Dabei hilft es nicht, dass die Figu­ren zwar tiefe Ein­bli­cke gewäh­ren und durch­aus wir­kungs­voll gezeich­net wer­den, oft jedoch scha­blo­nen­haft wir­ken und ihnen ihre indi­vi­du­elle Vita irgend­wie auf­ge­drückt scheint. Über die gesamte Länge funk­tio­niert die­ser Stil lei­der weni­ger gut.

Der Short­list-Kan­di­dat für den Deut­schen Buch­preis 2018 ist nicht ganz unver­dient auf der Liste gelan­det, doch die ganze Distanz hält er wie­derum zu Recht nicht durch. „Wie in einem Zau­ber­wür­fel dre­hen sich die Schick­sale der Figu­ren inein­an­der, um eine ver­bor­gene Achse aus Liebe und Schuld. Sie alle sind Teil eines töd­li­chen Spiels, in dem sie mit der Wucht einer klas­si­schen Tra­gö­die auf­ein­an­der­pral­len“, heißt es auf der Ver­lags­seite der Frank­fur­ter Ver­lags­an­stalt. Der Ver­gleich mit dem Rubik’s Cube, dem berühmt-berüch­tig­ten Zau­ber­wür­fel, ist nahe­lie­gend und durch­aus pas­send (auch weil er sowohl auf dem Cover abge­bil­det ist, als auch in der Geschichte am Rande vor­kommt): Die Schick­sale grei­fen inein­an­der, wie die Far­ben des Zau­ber­wür­fels am Ende ein auf­ge­räum­tes Bild erge­ben. Doch genauso frus­trie­rend, wie es für die meis­ten Men­schen wohl ist, die den Wür­fel ohne die Kennt­nis der Algo­rith­men zu lösen ver­su­chen, mag auch der Roman auf viele Leser zu unge­ord­net und über­la­den wirken.

Die in Ham­burg lebende Nino Hara­ti­sch­wili stammt selbst aus Geor­gien. Neben vie­len Thea­ter­stü­cken wurde sie beson­ders mit ihrem drit­ten Roman „Das achte Leben (für Brilka)“ (2014, Frank­fur­ter Ver­lags­an­stalt) in Deutsch­land bekannt. Auch hier hat sie die Geschichte der Ver­sehr­ten aufgearbeitet.

Die Katze und der Gene­ral. Niro Hara­ti­sch­wili. Frank­fur­ter Ver­lags­an­stalt. 2018.

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