„Die Schwalbe entflieht den Bösewichtern“

by Buchstaplerin Maike

Mar­ga­ret Atwoods dys­to­pi­scher Roman „Der Report der Magd“ ist aus dem Jahr 1985. Umso erschre­cken­der, wie aktu­ell oder gar pro­phe­tisch er im Jahr 2017 wirkt. Buch­stap­le­rin Maike fin­det: unbe­dingt lesen!

Nord­ame­rika, Ende des 20. Jahr­hun­derts: Ato­mare Ver­seu­chung und Krank­hei­ten haben die Men­schen größ­ten­teils unfrucht­bar gemacht. Gift­müll ver­seucht das Land. Die USA gibt es nicht mehr. Nach einem Anschlag, der isla­mis­ti­schen Ter­ro­ris­ten in die Schuhe gescho­ben wird, errich­ten die Put­schis­ten an ihrer Stelle den Staat Gilead.
Es ist ein tota­li­tä­res Sys­tem auf der Grund­lage christ­li­chen Fun­da­men­ta­lis­mus. Die Frauen wer­den ent­rech­tet. Unbe­queme wer­den zur Zwangs­ar­beit depor­tiert. Die­je­ni­gen, die noch Kin­der gebä­ren kön­nen, wer­den den hoch­ran­gi­gen Kom­man­dan­ten Gileads als Mägde unter­stellt: Leih­müt­ter, die für die ernied­ri­gen­den Prak­ti­ken auch noch dank­bar sein sol­len. Eine von ihnen ist Des­f­red. Noch erin­nert sie sich an die Zeit vor Gilead und ver­sucht, sich nicht kom­plett unter­zu­ord­nen. Freies Den­ken und freies Han­deln sind jedoch ver­bo­ten, aber Des­f­red erkennt, dass es auch in einem Sys­tem wie die­sem Schlupf­lö­cher und Aus­wege geben muss …

„Nichts ver­än­dert sich auf einen Schlag: In einer nach und nach immer hei­ßer wer­den­den Bade­wanne wäre man tot­ge­kocht, ehe man es merkt.“

Die Ich-Erzäh­le­rin des Buches ist „Des­f­red“ – als Magd erhält sie den Namen des Kom­man­dan­ten, dem sie zuge­teilt wird. Ihre eigene Iden­ti­tät wird aus­ge­löscht, ihren rich­ti­gen Namen ver­rät sie nie. So scheint sie exem­pla­risch für alle Mägde zu ste­hen, deren Erfah­run­gen sie teilt. Ihre Erzäh­lung teilt sich in Berichte aus ihrem All­tag als Magd, der von Grau­sam­keit und Miss­trauen geprägt ist, und Rück­blen­den, in denen sie von ihrem Leben vor dem Umbruch erzählt, von Frei­hei­ten, die ihr selbst­ver­ständ­lich erschie­nen, und von beun­ru­hi­gen­den gesell­schaft­li­chen Ten­den­zen, die sie erst im Nach­hin­ein bemerkt. Ihre Gedan­ken­welt nimmt viel Raum ein: Sie sin­niert über Herr­schaft und Macht, Geschlecht und Schein­hei­lig­keit, aber auch über win­zige Momente des Widerstands.

Durch die Erzäh­le­rin wird deut­lich, wie lange sich der Wan­del abzeich­net und wie schnell es dann geht, selbst in den Sog zu gera­ten. Denn egal, wie viele Frei­hei­ten und Rechte sie ver­liert, ist da immer die Gewiss­heit, dass es schlim­mer sein könnte, wenn sie sich wehrt. Es ist die Angst vor Stra­fen, die die Men­schen klein­hält, aber auch die Hoff­nung. So wird das Man­tra „Die Hoff­nung stirbt zuletzt“ zu einer Gefahr, denn auf diese Weise fügen sich die meis­ten ihrem neuen Schick­sal, auch Des­f­red: Ihr Mann oder ihre Toch­ter könn­ten ja noch da drau­ßen sein und auf sie warten.

Erschre­ckend aktuell

Es ist bei­nahe unmög­lich, bei der Lek­türe von „Der Report der Magd“ keine Par­al­le­len zum Zeit­ge­sche­hen zu zie­hen. Wer den aktu­el­len Nach­rich­ten folgt, wird unwei­ger­lich Ten­den­zen zu reli­giö­sem Fun­da­men­ta­lis­mus und Dik­ta­tu­ren erken­nen. Es scheint, als hätte Mar­ga­ret Atwood geahnt, dass die Zukunft nicht zwangs­läu­fig rosig sein würde.
Letzt­end­lich sind es jedoch auch The­men der 1970er und 80er, die ver­ar­bei­tet wer­den und ihren Ein­fluss bis heute haben: Umwelt­ka­ta­stro­phen, Epi­de­mien, mili­tä­ri­sche Kon­flikte, Unter­drü­ckung und Bestre­bun­gen nach mehr Frau­en­rech­ten, ins­be­son­dere repro­duk­ti­ver Rechte. Das macht den Roman nicht weni­ger beängs­ti­gend, im Gegen­teil. Des­f­reds Geschichte wird zu einer Para­bel, scheint es, die den Lese­rIn­nen den Spie­gel vor­hält und den Blick aus dem Roman in die Nach­rich­ten ein­zu­for­dern scheint.

Dass „Der Report der Magd“ für die heu­tige Zeit aktu­ell ist, zeigt sich auch daran, dass momen­tan eine US-ame­ri­ka­ni­sche Seri­en­pro­duk­tion von Hulu aus­ge­strahlt wird. Ange­sichts des­sen hätte ich mir von Piper eine zeit­ge­nös­si­sche Neu­über­set­zung – womit immer auch ein Stück weit eine Inter­pre­ta­tion ein­her­geht – gewünscht. Denn obwohl die Über­set­zung von Helga Pfetsch aus dem Jahr 1987 noch immer gut les­bar ist, merkt man ihr das Alter an.

Ins­ge­samt ist „Der Report der Magd“ ein im wahrs­ten Sinne des Wor­tes erschre­cken­des Buch. Nichts wird geschönt. Die Grau­sam­kei­ten, zu denen Men­schen unter dem Deck­man­tel einer Ideo­lo­gie bereit sind, wer­den wie eine War­nung aus­ge­stellt. So klingt Atwoods Roman noch lange nach und ist lesens­wert – auch gerade wegen sei­nes schwer ver­dau­li­chen Inhalts.

Der Report der Magd. Mar­ga­ret Atwood. Aus dem kana­di­schen Eng­lisch von Helga Pfetsch. Piper. 2017.

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