Die Wand

by Zeichensetzerin Alexa

„Um wei­ter zu sprin­gen, muss man einen Schritt zurück­tre­ten“, sagt er freund­lich. „So lau­tet ein fran­zö­si­sches Sprichwort.“

Illus­tra­tion © Aaron Sprawe

Kennst du das?

Lange Zeit trai­nierst du hart, übst, lernst, machst dir Stress, weil du gewin­nen willst, weil du ein Ziel vor Augen hast, das du mit allen Mit­teln errei­chen willst. Moti­viert läufst du los und strengst dich an, auch wenn jeder Schritt viel Mühe und Kraft kos­tet. Dein Herz rast, bald fällt es dir schwer regel­mä­ßig zu atmen, denn du hast Angst zu ver­sa­gen. Dann legst du einen Zahn zu und sprin­test kurz vor dem Ziel los. Doch plötz­lich taucht wie aus dem Nichts eine Wand vor dir auf und du prallst an ihr ab. Das Ziel, das so nahe erschie­nen war, der Erfolg, den du fast gespürt hät­test, sind nun so uner­reich­bar weit. Jeg­li­che Hoff­nung ist ver­schwun­den, die Moti­va­tion gesun­ken. Du ver­suchst auf­zu­ste­hen, aber dann stol­perst du und fällst, und dann siehst du wie andere mühe­los an dir vorbeilaufen…

Du brichst zusam­men, deine Augen fül­len sich mit Trä­nen und du denkst nur noch daran, wie unge­recht das Leben ist. Inner­lich ver­fluchst du alle um dich herum und bist wütend, doch du hast keine Kraft, um die Wut aus dir her­aus­zu­las­sen. Bit­tere Ent­täu­schung läuft deine Wan­gen her­un­ter. Du ver­suchst, sie zu unter­drü­cken, sie weg­zu­wi­schen, aber es klappt nicht. Ver­zwei­felt ballst du die Fäuste zusam­men, du wehrst dich gegen den Gedan­ken, ver­lo­ren zu haben, aber er kommt immer wieder…

Doch dann hörst du Schritte hin­ter dir und eine Stimme bit­tet dich auf­zu­ste­hen. Lächelnd hält der Fremde dir die Hand hin, aber du bist wie ver­stei­nert. Ver­un­si­chert nimmst du schließ­lich seine Hand, du ver­gisst sogar für einen Moment, was gerade eben erst gesche­hen war. „Um wei­ter zu sprin­gen, muss man einen Schritt zurück­tre­ten“, sagt er freund­lich. „So lau­tet ein fran­zö­si­sches Sprich­wort.“ Lächelnd greift er deine Hand fes­ter, geht einige Schritte zurück und läuft los. Kurz vor der Wand springt ihr ab und wie durch ein Wun­der lan­det ihr auf der ande­ren Seite. Dein Ziel ist erreicht, aber das ist dir in die­sem Augen­blick gar nicht mehr wich­tig. Auf dei­nem Gesicht erscheint ein glück­li­ches Lächeln und dein neu gewon­ne­ner Freund lächelt zurück…

Alexa

Weiterlesen

1 comment

Elvira 15. April 2014 - 12:32

Oh! Wenn doch immer eine sol­che Hand da wäre, die über diese Wände hilft. Und wenn ich doch immer nur erken­nen könnte, wann jemand meine Hand bräuchte, da ich des­sen Wand viel­leicht nicht sehe. Wie wun­der­bar geschrieben!

Reply

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr