Die Wesen des Waldes

by Worteweberin Annika

Feen, Kobolde und andere fan­tas­ti­sche Wesen haben in der Welt der meis­ten Erwach­se­nen kei­nen Platz, in der von Kin­dern aber schon. Im Bil­der­buch „Die Feen von Cot­ting­ley“ behan­delt Ana Sen­der das Thema am Bei­spiel eines bekann­ten Fal­les. Worte­we­be­rin Annika hat das Buch mit Begeis­te­rung gelesen.

Die Zahn­fee, Prin­zes­sin Lil­li­fee, Melu­sine, die Feen bei Dorn­rös­chen, Tin­ker Bell… Diese meist klei­nen, geflü­gel­ten Wesen haben nicht nur in heu­ti­ger Lite­ra­tur und Kul­tur einen Platz, son­dern waren auch schon im Mit­tel­al­ter bekannt. Wahr­schein­lich gehen sie sogar auf die kel­ti­sche Mytho­lo­gie zurück. Doch mit der Zeit hat der Glaube an Feen im Gleich­schritt mit dem Fort­schritt der Wis­sen­schaf­ten immer mehr abge­nom­men. Beweise dafür, dass es Feen gibt, feh­len – oder etwa nicht?

Ein Guck­loch ins Feenreich

Als gegen 1920 Fotos auf­tauch­ten, die die Cou­si­nen Elsie und Fran­ces beim Spie­len mit klei­nen Feen im Wald zeig­ten, waren sich viele Men­schen plötz­lich nicht mehr sicher. Arthur Conan Doyle, der Kri­mi­au­tor, der nach dem Tod eines sei­ner Kin­der Spi­ri­tist gewor­den war, glaubte fest an die Echt­heit der Fotos und so mach­ten diese die Runde. Die Exper­ten­mei­nun­gen gin­gen aus­ein­an­der und erst 1981 kam man der Ent­ste­hungs­ge­schichte der Bil­der auf den Grund, als sich die Cou­si­nen im Inter­view äußer­ten. Wie es damals zuge­gan­gen sein könnte, das erzählt Ana Sen­der in „Die Feen von Cottingley“.

Als kleine Mäd­chen spie­len Elsie und Fran­ces in jeder freien Minute im Wald, gemein­sam mit den „Geschöp­fen des Wal­des“. Ihr Leben ist unbe­schwert und das möch­ten sie gerne mit den Erwach­se­nen teilen.

„Die Erwach­se­nen leb­ten in einer ganz ande­ren Welt. Die war hart und böse, und unsere Welt sahen sie nicht. ‚Ach, könn­ten sie doch sehen, was wir sehen!‘ ‚Durch den Vor­hang…‘ ‚Oder durch ein Guck­loch…‘ ‚Durch ein Fens­ter…‘ ‚Fotos machen ist wie Fens­ter öff­nen‘, sagte Elsie. Und das mach­ten wir.“

Das Pro­blem dabei sind die eigen­sin­ni­gen Feen, die sich nicht foto­gra­fie­ren las­sen wol­len, und so müs­sen Papier, Bunt­stifte und Sche­ren her­hal­ten. Die dadurch ent­stan­de­nen Fotos wer­den ein viel grö­ße­rer Erfolg, als die Mäd­chen erwar­tet hät­ten – mit der Folge, dass der Wald bald völ­lig über­lau­fen ist. Die Feen zei­gen sich im Gewühl nicht mehr, also müs­sen die Kin­der die Erwach­se­nen wie­der loswerden.

„Die einen wie die ande­ren hat es wirk­lich gegeben.“

Fran­ces erzählt die Geschichte der Feen in die­sem Bil­der­buch rück­bli­ckend. Als alte Frau mit grauen Haa­ren und einer Geh­hilfe steht sie am Fens­ter, betrach­tet die Nach­bar­häu­ser und ertränkt dabei ihre Zim­mer­pflan­zen. Sie weiß nicht mehr genau, woran sie sich wirk­lich erin­nert, was aus­ge­dacht ist und was tat­säch­lich pas­sierte in ihrem Leben, doch sie ist sich sicher, dass es die Feen tat­säch­lich gege­ben hat.

„Viele Jahre sind seit­dem ver­gan­gen. Fast alles ist anders gewor­den, und manch­mal fällt es mir schwer, meine Erin­ne­run­gen von mei­nen Träu­men zu unterscheiden.“

Durch diese Erzähl­weise behält die Geschichte der zwei Cou­si­nen und ihrer Feen den Glanz des Fan­tas­ti­schen, den Sta­tus des Unsi­che­ren. Ob es Feen gibt oder nicht ist eine Frage des Glau­bens an die Magie in unse­rer Welt. Das ist eine schöne Bot­schaft und ver­leiht „Die Feen von Cot­ting­ley“ deut­lich mehr Sub­stanz, als man sie in den meis­ten heu­ti­gen, rosaglit­zern­den Feen­ge­schich­ten fin­det, ohne dass das Bil­der­buch für junge Lese­rIn­nen weni­ger inter­es­sant wäre.

Nach einer wah­ren Geschichte

Ganz pas­send dazu fol­gen die Bil­der von Ana Sen­der nicht dem Trend ins knal­lige Reich des Rosa und Pink, son­dern sind sehr schlicht gehal­ten. Die Bunt­stift­zeich­nun­gen haben meist Schwarzweiß‑, Sepia- und Blau­töne mit eini­gen bun­ten Ele­men­ten. Dadurch bleibt viel Raum für die eigene Fan­ta­sie und es ent­steht auch im Bild der Ein­druck von Erin­ne­run­gen. Die Wesen des Wal­des, aber auch die Men­schen, sind außer­dem sehr nied­lich anzusehen.

Auf der letz­ten Seite des Bil­der­bu­ches wird die Geschichte der ech­ten Cou­si­nen erzählt, an der sich die Autorin ori­en­tiert hat. Nur der Zeit­punkt des Geständ­nis­ses von Fran­ces und Elsie weicht im Bil­der­buch von den wah­ren Bege­ben­hei­ten ab. Hier wird auch direkt ange­spro­chen, dass der „berühmte Schrift­stel­ler namens Arthur“ mit den Sher­lock Hol­mes Büchern auf dem Schreib­tisch natür­lich Arthur Conan Doyle war – ein Fakt, der für Kin­der nicht sehr inter­es­sant sein dürfte und des­we­gen aus der erzähl­ten Geschichte auch nur für Erwach­sene her­vor­geht. Im Zen­trum die­ser Erzäh­lung ste­hen die Mäd­chen und die Wesen des Wal­des. Wer im Inter­net recher­chiert, kann sich übri­gens selbst über­zeu­gen und dort die Fotos fin­den, die die Mäd­chen damals gemacht haben.

Die Feen von Cot­ting­ley. Ana Sen­der. Aus dem Spa­ni­schen von Mari­anne Gareis. Nord­Süd. 2019.

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