Die Wissenschaft der Drachen

by Zeilenschwimmerin Ronja

Vor eini­gen Mona­ten tauchte Marie Brenn­ans „Die Natur­ge­schichte der Dra­chen“ wie aus dem Nichts vor Zei­len­schwim­me­rin Ronja auf und riss sie gleich mit weg. Jetzt konnte sie natür­lich die Hände nicht vom zwei­ten Teil der Reihe lassen.

Im die­sem Band ihrer Memoi­ren nimmt Lady Trent ihre Leser­schaft auf eine wei­tere For­schungs­reise mit. Neben den Gewis­sens­bis­sen, die ihr die gesell­schaft­li­chen Zwänge ihrer Hei­mat berei­ten, wird sie in der Hitze von Bay­embe noch von eini­gen ande­ren Unan­nehm­lich­kei­ten geplagt. Aber nichts wird Lady Trent, zu die­sem Zeit­punkt noch Mrs. Cam­herst, von den Dra­chen fern­hal­ten, für deren Erfor­schung sie eine so weite Reise auf sich genom­men hat. Um jedoch über­haupt in die gefürch­te­ten Sümpfe von Mou­leen und zu den Mouli­schen Sumpf­wyr­men zu gelan­gen, muss sie sich aller­dings erst mit Diplo­ma­tie abmü­hen. Als sie end­lich die Wäl­der von Mou­leen betritt, ahnt sie weder, wel­che bahn­bre­chen­den Ent­de­ckun­gen sie machen wird, noch wel­che poli­ti­schen Ver­stri­ckun­gen sie erwarten.

Was „Lady Trents Memoi­ren“ so packend macht, sind nicht vor­der­grün­dig die zahl­rei­chen gefähr­li­chen Situa­tio­nen, in die sie gerät, son­dern vor allem Brenn­ans tro­cken-humor­volle Art, davon zu berich­ten und ganz neben­bei auch noch ganze Kul­tu­ren und Gesell­schafts­struk­tu­ren und natür­lich die Natur, ins­be­son­dere Dra­chen, zu beschrei­ben. Lady Trent als Ich-Erzäh­le­rin spart nicht mit Selbst­kri­tik, ist erqui­ckend offen und legt neben ihrer gren­zen­lo­sen Begeis­te­rung für Dra­chen auch erfreu­li­chen Respekt gegen­über ande­ren Kul­tu­ren an den Tag. Sie ist ein wirk­lich star­ker, weib­li­cher Cha­rak­ter: Sie weiß, was sie will und wie sie es am bes­ten erreicht, in gefähr­li­chen Situa­tio­nen kann sie sich sehr gut selbst hel­fen (auch ohne Gewalt), und wider­setzt sich gesell­schaft­li­chen Nor­men, wenn sie sie für unsin­nig hält. Den­noch ist sie – und das ist ihr sehr wohl bewusst – nicht frei von ihrer Erzie­hung oder den Erwar­tun­gen ihrer Fami­lie und der Gesell­schaft. Die Aus­wir­kun­gen des­sen spürt sie durch diese Expe­di­tion ganz besonders.

„Weil ich noch nicht damit fer­tig bin, meine Memoi­ren zusam­men­zu­stel­len, kann ich nicht sicher sagen, ob dies, der zweite Band in der Reihe, der mit dem meis­ten Klatsch von allen wird. […] Aber die­ser Band kann es damit auf­neh­men, weil es wäh­rend jener Jahre war, dass ich mit einer Anschul­di­gung der Unzucht und des Hoch­ver­rats und dem Sta­tus als schlech­teste Mut­ter in ganz Scir­land wider­fand. Das ist eini­ges mehr, als den meis­ten Frauen in ihrem Leben gelingt, und ich gebe zu, dass ich auf eine abar­tige Art stolz auf diese Leis­tung bin.“ (S. 8)

Der Auf­bau der Welt ist geprägt von einer kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Her­an­ge­hens­weise. In all den Details, den Beson­der­hei­ten der ver­schie­de­nen Kul­tu­ren und Reli­gio­nen, den sozia­len und poli­ti­schen Struk­tu­ren, den Erwäh­nun­gen ver­schie­de­ner Sach­bü­cher – die (inner­halb der lite­ra­ri­schen Welt) zu ver­schie­dens­ten The­men erschie­nen sind –, und Hin­wei­sen auf eine lange His­to­rie, las­sen sich die Begeis­te­rung, das Fach­wis­sen und der Rea­lis­mus erken­nen, mit der Brennan die Welt von Lady Trent errich­tet hat. Die Infor­ma­ti­ons­bro­cken wer­den jedoch nie zu viel oder gar lang­wei­lig, son­dern wecken im Gegen­teil eher Neugier.

Eben­falls ein gro­ßer Plus­punkt ist die Art, wie Fremd­spra­chen hier dar­ge­stellt wer­den. Wie­der­holt ver­weist Lady Trent dar­auf, dass sie selbst­ver­ständ­lich in einer ande­ren Spra­che und wesent­lich gebro­che­ner gespro­chen habe, als es hier wie­der­ge­ge­ben sei. Damit umgeht Brennan nicht nur geschickt alle Schwie­rig­kei­ten, die sich mit aus­ge­dach­ten Spra­chen erge­ben (Stö­rung des Lese­flus­ses und Unsi­cher­hei­ten bezüg­lich der Aus­spra­che), son­dern greift damit auch auf ein sti­lis­ti­sches Mit­tel zurück, das zur zeit­li­chen Ver­or­tung von „Lady Trents Memoi­ren“ passt. Diese ent­spricht näm­lich – eine schöne Abwechs­lung im Genre Fan­tasy – dem, was in der Rea­li­tät die Kolo­ni­al­zeit ist.

Par­al­lel zu den Expe­di­tio­nen, die Lady Trent bis­her gemacht hat, ent­wi­ckelt sich auch ein roman­über­grei­fen­des Rät­sel, viel­leicht auch eher eine Ver­schwö­rung, das lässt sich momen­tan noch nicht sagen. Lady Trents Leben ist jeden­falls bis zu die­sem Zeit­punkt schon span­nend und ver­spricht, den Andeu­tun­gen in die­sem Band nach, auch wei­ter­hin span­nend zu blei­ben. Als klei­nen Bonus gibt es auch noch ein paar wun­der­schöne Illus­tra­tio­nen zu sehen.

Auch wenn die Hand­lung ohne Vor­kennt­nisse ver­ständ­lich ist, ist es unbe­dingt emp­feh­lens­wert, zuvor „Die Natur­ge­schichte der Dra­chen“ gele­sen zu haben. Und das nicht nur, weil der erste Teil genauso gefäl­lig geschrie­ben ist wie dieser.

„Aber ich ver­si­chere Ihnen, dass ich all diese Dinge über­lebt habe. Wahr­schein­lich wer­den Sie es auch über­le­ben von ihnen zu lesen.“ (S. 8)

Der dritte Band von Lady Trents Memoi­ren erscheint schon im Juli und trägt den Titel „Die Reise der Basilisk“.

Der Wen­de­kreis der Schlan­gen – Lady Trents Memoi­ren 2. Marie Brennan. Über­set­zung: Andrea Blendl. Cross Cult. 2018. Erhält­lich in der Buch­hand­lung eures Vertrauens.

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