Die Zukunft auf Knopfdruck

by Worteweberin Annika

Schon der Titel „Ab mor­gen ein Leben lang“ ver­spricht seichte Unter­hal­tung. Warum Gre­gory Sherls Roman mehr als das auch nicht ist, hat Worte­we­be­rin Annika nachgelesen.

Wir befin­den uns einige Jahre in der Zukunft: Eine neue Tech­no­lo­gie wurde ent­wi­ckelt, mit der ein Blick in die Zukunft mög­lich wird – wohl­ge­merkt nur in die roman­ti­sche Zukunft. Das sind die soge­nann­ten Ver­ge­gen­wär­ti­gun­gen. Eve­lyn steht kurz davor, süch­tig nach die­ser Tech­nik zu wer­den. Stän­dig über­prüft sie die Män­ner in ihrem Bekann­ten­kreis dar­auf, ob mit ihnen eine glück­li­che Zukunft bevor­ste­hen könnte. Die Bezie­hung mit ihrem (noch) Freund Adam scheint laut Ver­ge­gen­wär­ti­gung auf einen Streit über Käse und Hawaii­hem­den hin­aus­zu­lau­fen. Grund genug für Eve­lyn, Schluss zu machen.
Dage­gen scheint es, dass sich die Zufalls­be­kannt­schaft God­frey als deut­lich viel­ver­spre­chen­der ent­pup­pen könnte. Der jedoch kommt in die Ver­ge­gen­wär­ti­gungs­pra­xis, um sich die Zukunft mit sei­ner (noch) Ver­lob­ten vor­aus­sa­gen zu las­sen. Auch diese Bezie­hung kri­selt, sodass Gre­gory eine Ver­ge­gen­wär­ti­gung und einen Streit spä­ter vor Eve­lyns Woh­nung steht und Stein­chen gegen ihr Fens­ter wirft. Viel­leicht ist das der Beginn einer wun­der­ba­ren Zukunft. Aber: Im Falle von „wah­rer Liebe“ kann es zu Sys­tem­feh­lern kom­men – und natür­lich läuft auch bei Eve­lyn und Gre­gory nicht direkt alles rund.

Die Figu­ren in Sherls Roman las­sen sich sehr schnell beschrei­ben: Eve­lyn zeich­net sich dadurch aus, dass sie in einer Biblio­thek arbei­tet, des­we­gen schlaue Sprü­che zitiert (mit denen sie den Roman ver­suchs­weise im Anspruch ver­an­kern soll). Außer­dem steht sie im Schat­ten ihrer toten Schwes­ter. Natür­lich hat sie eine sehr lus­tige Freun­din, deren zwei­ter Cha­rak­ter­zug darin besteht, dass sie gerne klaut. Und Gre­gory ist ver­gess­lich und hat Angst, so ani­ma­lisch zu sein wie sein leib­li­cher Vater. Das alles ist ein­di­men­sio­nal, ober­fläch­lich und vor­her­seh­bar. Und zu guter Letzt ver­lie­ben sich auch noch die bei­den Ver­las­se­nen inein­an­der und fin­den so ihr Glück, natür­lich. Diese Kri­tik­punkte bedie­nen ande­rer­seits genau das, was viele Lese­rIn­nen wahr­schein­lich von roman­ti­scher Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur erwar­ten. Wenn man sich dar­auf ein­lässt und ver­mei­det, zu viel über die Hand­lung nach­zu­den­ken, ist „Ab mor­gen ein Leben lang“ unterhaltsam.

Die Vor­stel­lung, prak­tisch per Knopf­druck in die Zukunft sehen zu kön­nen, ist ein span­nen­des Gedan­ken­ex­pe­ri­ment. Würde man wirk­lich wis­sen wol­len, was einer Bezie­hung noch bevor­steht oder ver­schenkte Gele­gen­hei­ten im Nach­hin­ein über­prü­fen wol­len? Wagt man den Blick in die Zukunft? Und wie ver­än­dert sich die Zukunft, wenn man schon heute von ihr weiß? All das sind phi­lo­so­phi­sche Fra­gen, die beim Lesen aus­ge­löst wer­den kön­nen, vom Roman aber eigent­lich kaum gestellt wer­den. So bie­ten sich zwei Wege an, „Ab mor­gen ein Leben lang“ zu lesen: ein­zig als kit­schige Lie­bes­ge­schichte, oder eher als Fut­ter für tie­fer gehende Überlegungen.

Ab mor­gen ein Leben lang. Gre­gory Sherl. Über­set­zung: Ste­fa­nie Jacobs & Simone Jakob. Dumont. 2014.

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