Diversität ist mehr als Hautfarbe und sexuelle Orientierung #Kunterbunt

by Bücherstadt Kurier

Stadt­be­su­che­rin Anne macht sich Gedan­ken über die mediale Reprä­sen­ta­tion von Men­schen, die nicht der Norm ent­spre­chen. Ein Plä­doyer für mehr Authen­ti­zi­tät und eine Mischung an unper­fek­ten Cha­rak­te­ren in Fil­men, Serien und Büchern.

Es ist eine Tat­sa­che, dass wir noch viel mehr Reprä­sen­ta­tion von groß­ar­ti­gen Frau­en­fi­gu­ren und Per­so­nen jeg­li­cher Eth­ni­zi­tät und sexu­el­ler Ori­en­tie­rung brau­chen. Das ist uns allen bewusst und etwas, auf das ich hier nur bedingt ein­ge­hen möchte. Wer mag, kann da gerne bei mei­ner Super­hel­din­nen Nerd­wo­che nach­le­sen, in der es u.a. darum geht, warum wir Super­hel­din­nen brau­chen und wie wenige rein weib­li­che Teams es gibt. Statt­des­sen soll das Augen­merk die­ses Bei­trags auf etwas gelenkt wer­den, das für mich selbst­ver­ständ­lich ist, in unse­rer Medi­en­kul­tur aller­dings noch undenk­bar: Die posi­tive Reprä­sen­ta­tion von Leu­ten, die anders sind als die Norm.

Vor einer Weile habe ich auf mei­nem Blog über die Abset­zung eini­ger Serien geschrie­ben und was ich dahin­ter ver­mute, denn alle hat­ten etwas gemein­sam: Sie waren anders. In den Serien gab es groß­ar­tige weib­li­che Cha­rak­tere („Agent Car­ter“, „Girl­boss“), eine bunte, queere Mischung an Cha­rak­te­ren („Sense8“, „Shadowh­un­ters“), über­ge­wich­tige Jugend­li­che, die sich mit ihren Pfun­den wohl fühl­ten („Huge“), unge­wöhn­li­che Erzähl­stile („Gala­vant“), und und und … Trotz­dem wurde ihnen ein jähes Ende gesetzt. Selbst Publi­kums­lieb­linge wie „Luci­fer“ stan­den kurz­zei­tig vor dem Aus und ich ver­mute, das Ver­hält­nis von 6 Frauen zu 3 ½ Män­nern spielt hier eine nicht unbe­deu­tende Rolle.

Was ist also so schlimm daran, genau diese Geschich­ten zu erzäh­len? Warum muss eine Geschichte über jeman­den im Roll­stuhl immer eine Tra­gi­ko­mö­die sein („Ziem­lich beste Freunde“, „Ein gan­zes hal­bes Jahr“)? Wieso brau­chen Men­schen, die nicht der Norm ent­spre­chen, immer ein Make-Over, um sich bes­ser zu füh­len („Der Teu­fel trägt Prada“ und ton­nen­weise ande­rer „Chick-Flicks” – und wieso hei­ßen die über­haupt Chick-Flicks, wenn es auch Män­ner gibt, die sie gerne gucken?)? Warum kön­nen nicht ein­fach mal Geschich­ten von rea­lis­ti­schen Men­schen erzählt wer­den, so wie es in diver­sen (meist SP-) Büchern bereits der Fall ist (wie z.B. in „Die Super­ma­mas“)?

Ich schaue mir gerne andere Pro­jekte von Schauspieler*innen an, die mir in einer Serie oder einem Film gefal­len haben. Kürz­lich habe ich „Got­ham“ „gebin­ged“ und mich über den Schau­spie­ler Anthony Carri­gan infor­miert. Dabei ist mir auf­ge­fal­len, dass sein Aus­se­hen in der Serie nicht kos­me­tisch ist, son­dern er an Alo­pe­cia areata erkrankt ist, einer Auto­im­mun­krank­heit, durch die er sämt­li­che Gesichts­be­haa­rung (Haare, Bart, Augen­brauen und Wim­pern) ver­lo­ren hat. Mir ist nicht mal auf­ge­fal­len, dass er keine Augen­brauen und Wim­pern hat, also nicht bewusst, bis ich dar­auf geach­tet habe...

Wor­auf ich hin­aus will: Auf You­Tube habe ich ein Inter­view mit ihm gese­hen, des­sen Grund­aus­sage mich nicht los­ge­las­sen hat: Als er noch Haare hatte, wurde er auf die „Pretty Boy“ Rolle fest­ge­legt, ohne Haare wer­den ihm weni­ger und fast nur noch Böse­wicht-Rol­len ange­bo­ten. Ein Ange­bot einer roman­ti­schen Haupt­rolle würde ihn posi­tiv überraschen.

Und mein Kopf fängt hier sofort an zu rat­tern. Warum? Was ist so schlimm daran, einem groß­ar­ti­gen Schau­spie­ler keine sol­chen Rol­len mehr zu geben, nur weil ihm die Gesichts­be­haa­rung fehlt?

Ohne län­ger dar­über nach­zu­den­ken, wür­den mir meh­rere Set­tings ein­fal­len, in denen es funk­tio­nie­ren könnte – und kei­nes davon wäre auf der Krank­heits- oder Nazischiene.

Als Mit­glied der Metal- und Nerd­szene ist es mir ein­fach unbe­greif­lich, dass keine Skripte geschrie­ben wer­den, die eine sol­che Rolle für ihn ermög­li­chen wür­den – und es juckt mir in den Fin­gern, die Plot­bun­nys dich­ter kom­men zu las­sen, die mich schon aus der Ferne lau­ernd anstar­ren. Schließ­lich tref­fen sich in der Szene Leute, die das glei­che Hobby haben und weil es dort (ober­fläch­lich) allein darum geht und nicht darum, wie jemand aussieht.

Um ein voll­stän­di­ges Bild zu bekom­men, habe ich mir die (eben­falls abge­setzte) Serie „The For­got­ten“ ange­se­hen, in der Carri­gan die Rolle des char­man­ten semi-Play­boys (aka des „Pretty Boy”) hatte. Zu der Zeit noch mit Wuschel­haa­ren und dezen­tem Bar­t­an­satz. Und immer wie­der erwi­sche ich mich bei der Frage: Würde die Figur auch ohne Haare funk­tio­nie­ren? Ein Teil von mir sagt nein, denn die Figur ist auf eben die­ses Schema aus­ge­legt. Der andere Teil, der die glatz­köp­fi­gen, gut­her­zi­gen Metal­ler und kurzhaarigen/lichten Infor­ma­ti­ker im ech­ten Leben kennt, sagt: natür­lich, wenn die Rolle authen­tisch gespielt wird, ist es wurscht, ob das mit ohne Haare ist.

Ein wei­te­rer Aspekt, auf den ich beim Schauen geach­tet habe, war sei­ner eige­nen Aus­sage geschul­det, dass er dadurch ein bes­se­rer Schau­spie­ler gewor­den sei, dass er seine Krank­heit akzep­tiert habe. Und da muss ich zustim­men. Seine Prä­senz als Tyler Davies hat abso­lut nichts von der Genia­li­tät, die er in Rol­len wie „Gotham“’s Vic­tor Zsasz oder „Barry“’s NoHo Hank ein­bringt. Irgend­wie merkt man ihm an, dass er sich nicht ganz wohl fühlte.

Es sollte an die­ser Stelle nie­man­den mehr wun­dern, dass man kahl­köp­fige Hel­den eher sel­ten fin­det. „Luke Cage“ und Capheus aus „Sense8“ sind da wohl neben „Kojak“ und dem „Kri­mi­na­lis­ten“ noch die bekann­te­ren Beispiele.

Bei Frauen ist das natür­lich ganz was Ande­res. Die ein­zi­gen glatz­köp­fi­gen Frauen, an die ich mich in den letz­ten Jah­ren erin­nern kann, waren meist Krebs-Pati­en­tin­nen und nur Miss Rosa aus „Orange is the New Black“ hat davon eine ver­nünf­tige (ziem­lich coole) Cha­rak­te­ri­sie­rung außer­halb ihrer Krank­heit bekom­men. Und das ist ein­fach nur ver­schwen­de­tes Poten­tial. In jeg­li­che Richtung …

Aber auch mit Haa­ren kann man schnell an frag­wür­dige Rol­len gera­ten. Der eben­falls durch „Got­ham“ bekannt gewor­dene Robin Lord Tay­lor hat mit sei­ner gran­dio­sen Dar­stel­lung von Oswald „Pen­guin“ Cob­ble­pot einige Zei­chen gesetzt. Die Figur wird unter Fans als schwule Ikone bezeich­net (ich selbst sehe ihn eher als asexuell/demiromantisch, aber das ist ein ande­res Thema), darf exzen­trisch im fell­be­setz­ten Man­tel und mit auf­wen­dig gestyl­ten Haa­ren auf­tre­ten und hat eine fas­zi­nie­rende Tiefe. Gefühlt ein Rit­ter­schlag für den quee­ren Schauspieler.

Einige Sta­tio­nen sei­ner Kar­riere las­sen jedoch ganz ande­res ver­mu­ten. In diver­sen Poli­zei­d­ra­men waren seine Figu­ren ange­klagt wegen tät­li­chen Über­grif­fen auf Frauen und Schwule. Der zyni­sche Teil von mir ver­mu­tet, dass er diese Rol­len auf­grund sei­ner hel­len Augen und (nor­ma­ler­weise) blon­den Haare bekam. Ihr wisst schon: Das (andere) Nazi-Klischee…

Ich finde es schade, dass Main­stream-Medien immer wie­der auf den glei­chen Kli­schees pochen und damit ande­ren wich­ti­gen Pro­jek­ten, die Schritte in moderne Rich­tun­gen wagen, schon früh den Wind aus den Segeln neh­men. Da bin ich allen Selfpublisher*innen dank­bar, die ein Buch her­aus­brin­gen, in dem ein*e Außenseiter*in die Titel­rolle hat. Ganz beson­ders fal­len mir hier die Mär­chen­ad­ap­tio­nen der Mär­chen­spin­ne­rei ein, in denen vor allem auch die sonst tot­ge­schwie­ge­nen The­men Mob­bing, Sui­zid, Miss­brauch, PTBS und noch vie­les mehr behan­delt wer­den. Oder die unzäh­li­gen Web­co­mics, die eben­falls sol­che The­men auf­fas­sen („Strong Female Prot­ago­nist“, „Names­ake“ …) oder Web­se­rien wie „The Gamers“, die den Nerds die­ser Welt eine Platt­form bieten.

Wir brau­chen mehr davon. Mehr davon in Bücher­re­ga­len und Serien. Das Leben ist nicht per­fekt, also soll­ten wir auf­hö­ren, die­sen Trug­bil­dern hin­ter­her­ja­gen zu wol­len. Das Leben bringt dich in den Roll­stuhl, lässt dir die Haare aus­fal­len oder sie an unbe­que­men Stel­len wach­sen. Es sorgt dafür, dass du spin­del­dürr oder kugel­rund bist, dass es dir gut geht oder du psy­chi­sche Betreu­ung brauchst. Egal, in wel­cher Vari­ante es dich trifft, vor allem aber sorgt es dafür, dass du du bist und das sollte man auch fik­ti­ven Cha­rak­te­ren gönnen.

Denn unper­fekte Cha­rak­tere machen doch viel mehr Spaß.

Anne / Poi­Son­PaiN­ter
Illus­tra­tion: Satz­hü­te­rin Pia

P.S. Bei der Erstel­lung die­ses Bei­trags kamen keine Plot­bun­nys zu Scha­den. Sie haben aus­rei­chend Abstand gehalten.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Kun­ter­bunt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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Leipziger Buchmesse 2019: Der Bücherfrühling wurde eingeläutet – Bücherstadt Kurier 28. März 2019 - 16:03

[…] sexu­elle Ori­en­tie­rung und Haut­farbe“. Zum glei­chen Thema erschien letz­tes Jahr ein Bei­trag von Anne Zandt im Rah­men unse­res Kunterbunt-Specials, ein „Plä­doyer für mehr […]

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