In dem Film „Alle Far­ben des Lebens“ von Regis­seu­rin Gaby Dellal leben drei Genera­tio­nen – Groß­müt­ter, Mut­ter und Sohn – unter einem Dach zusam­men. Dabei steht the­ma­tisch im Fokus, dass der 16-jäh­rige Ray noch im Kör­per eines Mäd­chens lebt und eine geschlechts­an­glei­chende Ope­ra­tion möchte. Geschich­ten­zeich­ne­rin Celina hat sich die­sen Film angesehen.

Der Film steigt sofort in die The­ma­tik ein. Die erste Szene behan­delt, dass alle drei Genera­tio­nen beim Psych­ia­ter sind und klar geäu­ßert wird, dass Ray, gespielt von Elle Fan­ning, im fal­schen Kör­per lebt. Seine Mut­ter Mag­gie, ver­kör­pert von Naomi Watts, bekommt eine Ein­ver­ständ­nis­er­klä­rung in die Hand gedrückt, wo sie per Unter­schrift ihre Zustim­mung zur Geschlechts­an­glei­chung geben soll, da Ray noch nicht voll­jäh­rig ist. Dar­auf­hin kommt die erste Kom­pli­ka­tion auf, da nicht nur sie, son­dern auch der Vater des Kin­des unter­schrei­ben soll. Mag­gie ist aber allein­er­zie­hend und hat den Vater seit 10 Jah­ren nicht gesehen.

Es ver­ge­hen Tage und sie ver­sucht, mit den Behör­den zu spre­chen, doch es hilft nichts, sie muss den Vater auf­su­chen. Auch Groß­mutter Dolly, dar­ge­stellt von Susan Saran­don, ver­sucht, sie davon zu über­zeu­gen, zum Vater hin­zu­fah­ren. Fran­ces, gespielt von Linda Emond, ist als wei­tere Groß­mutter und Frau von Dolly auch besorgt, ver­sucht sich aber mehr aus den Dis­kus­sio­nen her­aus­zu­hal­ten. In all den bis­he­ri­gen Kin­der- und Jugend­jah­ren wusste Ray nichts von sei­nem Vater. Auch dass nun von ihm eine Unter­schrift benö­tigt wird, erfährt er erst nach einem ver­zwei­fel­ten Zusam­men­bruch sei­ner Mut­ter. Was tun? Und wie damit umgehen?

So viel auf einmal

In „Alle Far­ben des Lebens“, wobei der eng­li­sche Titel „Three Genera­ti­ons“ bes­ser gewählt ist, wer­den den Zuschau­ern beson­de­res drei Iden­ti­fi­ka­ti­ons­per­so­nen eröff­net: der jugend­li­che Ray, die Mut­ter und die zwei Groß­müt­ter. Dadurch wird das Thema Trans­gen­der aus meh­re­ren Per­spek­ti­ven beleuch­tet und weit­rei­chend auf­ge­grif­fen. Hinzu kommt, dass alle Prot­ago­nis­ten eine Ent­wick­lung durch­le­ben, was den Inhalt des Films recht kom­plex wer­den lässt. Dies ist per se sinn­voll und gut, jedoch scheint es so, als hätte man sich für einen 89-Minu­ten-Film zu viel vorgenommen.

Es wirkt, als musste man das Dreh­buch auf­grund der Film­länge kür­zen. Es feh­len Teil­aspekte, wie zum Bei­spiel: Warum ist die Mut­ter erst so hin- und her­ge­ris­sen zu unter­schrei­ben? Man kann sich den­ken, dass es even­tu­ell darum geht, dass Ray hef­tige Ope­ra­tio­nen bevor­ste­hen und sie sich um ihr Kind sorgt, aber gesagt oder genauer the­ma­ti­siert wird es nicht. Auch feh­len hier Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen. So erscheint man­ches nicht ganz nach­voll­zieh­bar. Es wäre, wegen des wirk­lich guten Grund­kon­zepts, schön gewe­sen, diese kom­ple­xen Inhalte in einer Art Mini­se­rie zu prä­sen­tie­ren. So hätte das ganze Poten­zial mehr aus­ge­schöpft wer­den können.

Um das Dreh­buch herumgespielt

Die Schau­spie­le­rin­nen der Haupt­cha­rak­tere las­sen ihre Rol­len, soweit wie das Dreh­buch zulässt, authen­tisch wir­ken. Elle Fan­ning bringt als Ray einen kaum empha­ti­schen, recht lau­ni­schen und stu­ren Teen­ager zum Aus­druck. Naomi Watts schafft es, die sich sor­gende, teils lei­dende und zwie­ge­spal­tene Mut­ter Mag­gie authen­tisch dar­zu­stel­len. Susan Saran­don meis­tert ihre Rolle als selbst­si­chere, gestan­dene und lie­bens­werte Groß­mutter Dolly, die meist einen flot­ten Spruch auf Lager hat. Gene­rell brin­gen die bei­den les­bi­schen Groß­müt­ter durch ihr Auf­tre­ten mehr Locke­rung in den sonst recht erns­ten Film. Trotz die­ser enor­men schau­spie­le­ri­schen Leis­tun­gen liegt es am Dreh­buch, dass einige Lücken ent­ste­hen oder man­che Hand­lun­gen nicht ganz schlüs­sig sind.

Ästhe­tik der Filmsprache

Beson­de­res fällt auf, dass auch Film­auf­nah­men von Handkameras/Smartphones mit­ein­be­zo­gen wer­den, die Ray im Film selbst zu dre­hen scheint. Es sind bei­spiels­weise ver­wa­ckelte Sze­nen auf dem Skate­board oder Nah­auf­nah­men ans Gesicht zu sehen. Diese Auf­nah­men schnei­det sich Ray eigens für eine Art Doku­men­ta­tion zusam­men. Aller­dings wird dabei öfters das glei­che Mate­rial benutzt und die Groß­müt­ter, mit denen er unter einem Dach lebt, sind nicht zu sehen.

Zudem fragt man sich als Zuschauer, warum Ray diese Zusam­men­schnitte anfer­tigt und wieso dann trotz­dem kaum älte­res Mate­rial zu sehen ist, wel­ches den Zuschau­ern mehr ver­gan­gene Aspekte hätte näher brin­gen kön­nen. Viel­leicht ist es für Ray eine Art The­ra­pie oder Hilfe zur Bewäl­ti­gung der Situa­tion, aber man weiß es nicht genau. Als Stil­mit­tel ist es eine durch­aus posi­tive Art, eine Nähe zum Prot­ago­nis­ten auf­zu­bauen, aller­dings hätte dies noch wei­ter aus­ge­schöpft wer­den können.

Das wäre schön: der Film als Miniserie

Die Ansätze und das Grund­kon­zept des Films haben ein gro­ßes Poten­zial. Alle Sicht- und Lebens­wei­sen der Genera­tio­nen Groß­müt­ter, Mut­ter und Sohn sind span­nend in Szene gesetzt, auch wenn lei­der hier und da eini­ges zu kurz kommt. Man gewinnt einen Ein­blick in deren Lebens­welt, aber dar­über hin­aus wäre es schön gewe­sen, noch mehr zu erfah­ren. Die­ser Film ist eine Dramö­die, was die Kom­pli­ka­tio­nen der Bezie­hun­gen, aber auch die locke­ren Momente miteinbezieht.

„Alle Far­ben des Lebens“ kann laut FSK ab 6 Jah­ren gese­hen wer­den. Es wäre aller­dings auch wün­schens­wert gewe­sen, heik­lere The­men wie etwa die Ope­ra­tio­nen, die bevor­ste­hen, ein­zu­brin­gen und den Film dann ab 12 Jah­ren her­aus­zu­brin­gen. So wer­den zwar einige auf­klä­re­ri­sche Aspekte ein­ge­bracht, aber man­che andere kom­men zu kurz.

Alle Far­ben des Lebens. Regie: Gaby Dellal. Schau­spie­ler: Elle Fan­ning, Naomi Watts, Susan Saran­don u.a. WVG Medien GmbH. 2017.

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