Drei wundersame Wesen – Ein Modärchen

by Zeichensetzerin Alexa

Drei wundersame Wesen

„Es war ein­mal…“ So begin­nen wohl alle Mär­chen. Wie auch die­ses. Nur: Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Mär­chen ist. Viel­leicht ist es auch eine reale Geschichte, nur etwas aus­ge­schmückt. Nun also: Es war ein­mal an einem stür­mi­schen Abend…

Der Regen schlug so wild gegen die Fens­ter­scheibe, dass ich fürch­tete, er könne sie ein­schla­gen. Ein Sau­sen und Brau­sen, ein Äste­kna­cken. Die Bäume ver­bo­gen sich, laut brummte der Wind vor sich hin. Auf dem Bal­kon rollte ein Eimer hin und her, bewegt vom Wüten des Stur­mes. Doch auch wenn mir das stän­dige Pol­tern auf die Ner­ven ging, so traute ich mich nicht vor die Tür. Der Wind würde mich noch weg­fe­gen, so dünn und klein wie ich war. Also schloss ich mich in mei­nem Schlaf­zim­mer ein, ver­kroch mich ins Bett und war­tete, bis das Chaos vor­über war. Doch so ein­fach wollte der Sturm sich nicht geschla­gen geben.

An die­sem Abend begab es sich, dass mich drei wun­der­same Wesen besuch­ten. Wun­der­sam mag zwar nach Wun­der klin­gen, aber Wun­der voll­brin­gen – wie etwa den Sturm zum Schwei­gen zu brin­gen – das ver­mochte kei­nes von ihnen. Das erste jeden­falls klopfte gegen 19.34 Uhr an meine Haustür.
Ich erin­nere mich noch genau an die Zeit, denn ich hatte ver­wun­dert auf meine Uhr geschaut, weil ich dachte, es sei schon zu spät für Besuch. Aller­dings beeilte ich mich nicht, die Tür zu öff­nen. Lang­sam schlich ich durch meine Woh­nung und spähte durch das Guck­loch. Mein Besu­cher war von so hoher Sta­tur, dass ich aus dem Guck­loch her­aus nur seine Brust erbli­cken konnte. Ein wei­te­res Klop­fen sei­ner­seits ließ mich auf­schre­cken, so laut war es vor mir. Zit­ternd über­legte ich, ob ich die Tür öff­nen sollte. Wer war die­ser Riese? Ich beschloss, meine Ängste zu über­win­den und die Tür zu öff­nen. Einen Spalt breit zunächst, sodass ich einen flüch­ti­gen Blick erha­schen konnte. So könnte ich immer noch schnell die Tür zuknal­len, wenn er mir nicht geheuer war.
„Hallo?“, fragte ich leise.
„Haaaaallo“, ant­wor­tete der Riese mit dunk­ler Stimme. So kli­schee­haft. Wie in jedem ande­ren Mär­chen. Rie­sen hat­ten immer eine tiefe Stimme.
Mein Blick fiel auf seine klatsch­nasse Klei­dung und den klei­nen See unter sei­nen Füßen. Erst dann wagte ich, ihm ins Gesicht zu sehen. Sicher­lich könnt ihr euch vor­stel­len, wie er aus­sah. Wie ein Riese eben. Nur mit freund­li­chen Gesichts­zü­gen. Aber wer kann schon sagen, ob Rie­sen gut oder böse sind, wenn man das denn über­haupt so ein­tei­len kann. Ich glaube, es gibt weder Gutes noch Böses auf der Welt. Man muss ein­fach bei­des in einem sehen: gut­böse. Oder: böse­gut. Bei dem Gedan­ken musste ich grin­sen, erin­nerte mich dann aber plötz­lich an die Anwe­sen­heit des Frem­den und wurde schlag­ar­tig wie­der ernst.
„Wer sind Sie?“, fragte ich. Meine Stimme klang dies­mal viel siche­rer, was mich stolz machte. Ich kann also auch mutig sein, wenn ich will.
„Ich bringe ein Paket“, kam die Ant­wort. Dar­auf hielt der Riese mir ein Paket hin, ich nahm es ver­wirrt ent­ge­gen – wel­che Post brachte noch so spät Pakete vor­bei? – und der Riese ging ohne ein wei­te­res Wort davon. Ich wollte ihn noch zurück­ru­fen, ihm Fra­gen stel­len, aber dazu war meine Ver­wir­rung viel zu groß. Statt­des­sen betrach­tete ich das Paket in mei­nen Hän­den, trat lang­sam rück­wärts wie­der in die Woh­nung und schloss die Tür. Eine Weile über­legte ich, das Paket ein­fach ste­hen zu las­sen. Wer weiß schon, was sich darin befand. Es könnte auch eine Bombe sein! Aber meine Neu­gier war ein­fach zu groß.

Ich setzte mich also wie­der aufs Bett und begann, das Paket zu öff­nen. Lang­sam und vor­sich­tig beweg­ten sich meine Fin­ger. Ich gehöre zu den Men­schen, die ihre Geschenke mit Bedacht öff­nen. Schließ­lich könnte man das Geschenk­pa­pier noch­mal ver­wen­den oder eben – wie in die­sem Fall – ein Paket. Man kann so viel Geld spa­ren, wenn man nur Geduld mit­bringt. Diese stieß an die­sem Abend jedoch an ihre Gren­zen. Unge­dul­dig zit­ter­ten meine Fin­ger, mein Herz klopfte mir bis zum Hals, Schweiß brach auf mei­ner Stirn aus. Und dann sah ich, was sich darin befand. Doch das will ich euch, liebe Leser, an die­ser Stelle noch nicht ver­ra­ten. Das wäre doch lang­wei­lig. Ich kann euch aber ver­si­chern, dass mich das, was sich in dem Paket befand, sehr ins Grü­beln ver­setzte. So sehr, dass ich mir erst ein­mal einen Kamil­len­tee machen musste – denn die­ser habe, so pflegte Groß­mutter immer zu sagen, eine beru­hi­gende Wir­kung – und dar­auf eine lange Weile in der Küche saß und ins Nichts starrte. Bis es aber­mals an der Tür klopfte.

Dies­mal war ich weni­ger über­rascht als beim ers­ten Mal. Die­ser Abend war bis­her schon sehr selt­sam ver­lau­fen, warum soll­ten die wun­der­sa­men Bege­ben­hei­ten auf ein­mal enden? Ich schlurfte also erneut zur Haus­tür und schaute durch das Guck­loch. Doch ich sah nie­man­den. Stirn­run­zelnd ging ich wie­der Rich­tung Küche. Kaum hatte ich mich hin­ge­setzt, klopfte es erneut. Ich seufzte. Wer erlaubte sich da einen Klopf­streich? Genervt bewegte ich mich zur Tür, dies­mal ent­schlos­sen, die Streich­spie­ler davon­zu­ja­gen. Mit einem schnel­len Ruck öff­nete ich die Tür und erblickte ein klei­nes Mäd­chen. Es war wirk­lich sehr klein, und so zart, mit gol­de­nen Löck­chen und feen­glei­chem Gesicht. Auf die­sem erschien ein Lächeln. Es fehlte nur noch, dass es anfing durch die Luft zu schwe­ben und mit einem Stab glit­zern­den Staub zu ver­tei­len. Aber natür­lich darf eine Fee in kei­nem Mär­chen feh­len. Auch in die­sem nicht.
„Hihihi“, lachte sie mit hoher, kind­li­cher Stimme. Dann hielt sie mir ein wei­te­res Paket hin. Zag­haft nahm ich es ent­ge­gen, wor­auf das Feen­mäd­chen – genauso wie der Riese zuvor – sich umdrehte und ging. Dies­mal ver­spürte ich aller­dings kei­nen Wunsch, es auf­zu­hal­ten. Ich ahnte, dass nur das Paket meine Fra­gen beant­wor­ten könnte. Ich schloss also aber­mals die Tür, ging dies­mal in die Küche und machte mir einen wei­te­ren Kamil­len­tee, bevor ich begann, das Paket zu öffnen.
Ja, die Geduld wurde an die­sem Abend wirk­lich auf die Probe gestellt. Aber ich schlug mich tap­fer und öff­nete das Paket, ohne es auf­zu­rei­ßen. Ihr ahnt es schon: Ich werde nicht ver­ra­ten, was sich darin befand. Ihr könnt euch aber sicher sein, dass es sich bei dem Gegen­stand um etwas mir sehr Wich­ti­ges han­delte, sodass ich auch dies­mal wie­der in Grü­be­leien ver­fiel. Vor allem aber fragte ich mich, woher die wun­der­sa­men Wesen die Gegen­stände hatten.

Nach­denk­lich schlürfte ich mei­nen viel zu hei­ßen Tee und ver­brannte mir die Zunge. Aber ich war so in Gedan­ken, dass mich das nicht wei­ter küm­merte. Ich hatte euch, liebe Leser, zu Beginn des Mär­chens erzählt, dass mich drei wun­der­same Wesen auf­such­ten. Kurz vor Mit­ter­nacht war es dann also wie­der soweit: Es klopfte.
Erwar­tungs­voll lief ich ein drit­tes Mal zur Tür und fragte mich, wer es dies­mal war. Ich glaubte, ich sei abge­här­tet und es könnte mich gar nichts mehr wun­dern, nach­dem mich ein Riese und eine Fee auf­ge­sucht hat­ten. Doch ich irrte mich. Über­mü­tig riss ich die Tür auf und erschrak, als ich einen Wolf vor mir sah. Seine Augen blick­ten mich jedoch so mit­leid­erre­gend an, dass ich mich sofort wie­der fasste. Dann ent­deckte ich den Schlüs­sel um sei­nen Hals. Das Tier win­selte, legte sich auf den Rücken und rollte hin und her. Ich kannte mich mit Wöl­fen zu wenig aus, um sagen zu kön­nen, ob das ein nor­ma­les Ver­hal­ten war, aber was war schon nor­mal. Irgend­wann ver­stand ich aber an sei­nen win­den­den Bewe­gun­gen, dass sich der Wolf von der Kette befreien wollte, es aber nicht konnte. Ich fasste Mut und näherte mich dem Tier.
„Alles gut“, sagte ich leise, mehr zu mir selbst als zum Wolf. Meine Fin­ger gru­ben sich in sein Fell. Es war so ange­nehm weich. Erst spä­ter fiel mir ein, dass es nicht nass vom Regen gewe­sen war, was das Tier damit noch wun­der­sa­mer machte.
Kaum hatte ich den Wolf von der Kette befreit, rannte er davon. Wäh­rend ich ihm nach­blickte, spielte ich mit der Kette und dem daran befes­tig­ten Schlüs­sel in den Fin­gern. Mit die­sem Gegen­stand schloss sich der Kreis. Mir war klar, was das alles zu bedeu­ten hatte, ich wollte es nur nicht wahr­ha­ben. Einen Moment ver­harrte ich zwi­schen Tür und Angel und es war mir als befände ich mich zwi­schen den Wel­ten. Wie wun­der­sam die­ser Abend war. Ich weiß noch, wie ich damals gen Him­mel blickte und fest­stellte, wie viele Sterne leuch­te­ten. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sich der Sturm gelegt hatte. Die Nacht war von einer so plötz­li­chen Stille erfüllt, dass ich glaubte, zu träu­men. Viel­leicht tat ich es auch.

Nach einer gerau­men Weile kehrte ich in die ange­nehme Wärme zurück und schloss die Tür zur magi­schen Welt hin­ter mir. Auf mei­nem Schreib­tisch ver­brei­tete ich die drei Gegen­stände: ein Manu­skript mit lee­ren Sei­ten, ein Stift und ein Schlüs­sel. Letz­te­ren nahm ich in die Hand, betrach­tete ihn ver­träumt und erin­nerte mich, ihn weg­ge­wor­fen zu haben. Damals hatte ich geglaubt, das, was ich liebte, in eine Schub­lade legen und für immer ver­schlie­ßen zu kön­nen. An die­sem Abend aber hat mich eben jene Ver­gan­gen­heit wie­der eingeholt.
Ich seufzte und öff­nete die Schub­lade. Wie gerne hätte ich die­ses Mär­chen mit „ver­staub­ten, alten Manu­skrip­ten“ aus­ge­schmückt – denn das würde die Mys­tik noch etwas ver­stär­ken – doch ihr wür­det sicher mer­ken, dass das in einer seit Jah­ren ver­schlos­se­nen Schub­lade nicht mög­lich war. Und schließ­lich will ich euch ein rea­les Mär­chen erzählen.
Alt waren die Manu­skripte wirk­lich. Erin­ne­run­gen stie­gen in mir hoch, als ich nach den Bün­deln Papier griff und die Arbeits­ti­tel las. Geschich­ten, die ich nie zu Ende geschrie­ben hatte. Weil man mir gesagt hatte: „So etwas gibt es schon!“ Oder: „Das ist so kit­schig!“ Oder: „Schließ‘ mit der Ver­gan­gen­heit ab!“ Und das hatte ich dann auch getan. Irgend­wann hatte ich all meine unvoll­ende­ten Geschich­ten in diese Schub­lade gelegt und nie wie­der ange­rührt. Dass aus­ge­rech­net diese drei wun­der­sa­men Wesen vor­bei­ge­kom­men waren, war alles andere als Zufall. Ich betrach­tete meine Geschich­ten: „Der Wolf und der Zau­be­rer“, „Vom Rie­sen, der das Wei­nen lernte“ und „Die erstaun­lich starke Fee Feola Feelala“.

Erfüllt von Sen­ti­men­ta­li­tät lehnte ich mich, auf dem Boden sit­zend, an die Wand und begann, die Geschich­ten zu lesen. Was dann geschah, das könnt ihr euch sicher­lich den­ken, liebe Leser. Denn wie der Besuch der wun­der­sa­men Wesen gezeigt hat: Nicht die Autoren ent­schei­den über den Ver­lauf und den Aus­gang einer Geschichte, son­dern deren Figu­ren, ganz gleich, was andere von ihnen hal­ten. Und da die wun­der­sa­men Wesen nicht im Dun­keln der Schub­lade gestor­ben sind, leben sie noch heute glück­lich und zufrie­den in unse­ren Köpfen...

Ende.

Text: Zei­chen­set­ze­rin Alexa
Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

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3 comments

Natalia 26. Mai 2016 - 19:18

span­nend, schön! 😉

Reply
27. Mai 2016 - 13:22

Danke!

Reply
Drei wundersame Wesen - Ein Modärchen - Zeichenblicke 1. Juni 2017 - 23:41

[…] Modär­chen ist erst­mals beim Bücher­stadt Kurier […]

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