Du hast mich nach einem Duft gefragt …

by Bücherstadt Kurier

Du hast mich nach einem Duft gefragt und wonach es riecht. Nach Safran, Kar­da­mom, Zimt und einer Meer­briese, nach dir und der Frei­heit, die seit lan­gem ver­lo­ren gegan­gen ist. Ich konnte dir ein Lächeln ent­lo­cken. Der linke Mund­win­kel zog sich zu dei­nem Auge, spannte deine Wange und ließ das kleine Grüb­chen erschei­nen, das nur zu sehen war, wenn du lach­test. Es schien schwerfällig.
Wir saßen auf dem Dach der alten Fabriks­halle. Die Sonne schien auf das Ban­ner, das seit Jah­ren nicht mehr erneu­ert wor­den war, zer­ris­sen von Regen, Schnee und Eis, abge­wa­schen und aus­ge­bleicht, doch man konnte immer noch den Schrift­zug ent­zif­fern „für einen unbe­schwer­ten Tag – nie wie­der im Regen stehen!“
Einst waren hier Regen­schirme und Män­tel gefer­tigt wor­den. Doch die Tage, als das Geschäft noch rau­schen­den Absatz und grüne Zah­len ein­ge­fah­ren hatte, waren schon lange vor­bei. Du kann­test es nicht, weil es abge­schie­den war, sag­test du, weil es zu weit außer­halb der Stadt lag und du nie hier­her kämst. Weil du meist mit dei­nen Freun­den in der Stadt unter­wegs warst. In der geho­be­nen Gesell­schaft ver­kehr­test, wo die­ser Bezirk als unfein galt. Ich nickte und erzählte dir von den Tagen, als Freunde und ich uns hier ver­steck­ten, Glas­scher­ben sam­mel­ten, um sie zu etwas Neuem zusam­men­zu­set­zen, Graf­fiti an die Wände mal­ten, obwohl kei­ner wirk­lich sprayen konnte. Noch heute seien die Schrift­züge und die unfer­ti­gen Gemälde von uns zu sehen.
Dann fing ich an zu foto­gra­fie­ren. Ich liebte den Licht­ein­fall der zer­bro­che­nen Fens­ter, in deren Rah­men nur ver­ein­zelt noch spitze Scher­ben steck­ten. Dass gerade Im Som­mer, wenn die Sonne im rich­ti­gen Win­kel ein­fiel, man den sonst so grauen Raum in allen Far­ben erstrah­len sehen konnte. Ich mochte die Bil­der und ver­sprach, sie ein­mal aus mei­ner Sam­mel­kiste zu holen. Es waren Ana­log­fo­tos. Anfangs meist noch schwarz-weiß gehal­ten, spä­ter misch­ten sich dann auch Farb­filme hin­ein. Beson­dere machte ich mit mei­ner Has­sel­blad 500c – alles schien wei­cher, da man nicht direkt durch den Sucher das Objekt, son­dern über einen Bild­schirm – der Blick Rich­tung Boden – fixierte und die Halle über ein wei­te­res Eck einfing.
Warum sie mich dann noch nie foto­gra­fie­ren gese­hen hatte, wollte sie wis­sen, blickte mich erstaunt an und hoffte auf eine wei­tere Geschichte, etwas Tra­gi­sches, was mich dazu ver­an­lasst hatte. Damit konnte ich nicht die­nen. Ich umarmte sie nur etwas fes­ter als zuvor und küsste ihre Stirn. Für einen Moment lang legte sich alles um uns in Stille.
Unter­bro­chen wurde sie vom Her­an­na­hen eines Autos, wel­ches in die schmale Sei­ten­straße ein­bog, von der Dunk­ler­gasse in die Schön­wal­der­straße. Auch wenn man es nicht sah, erkannte man das Moto­ren­ge­räusch des Fahr­zeugs. Das zu nahe an die Fabrik gebaute Gebäude gegen­über hatte schon damals für einen rie­sen Bau­skan­dal gesorgt, von des­sen Schlag­zeile ich einst in unter­schied­li­chen Zei­tun­gen erfah­ren hatte.
Das Wip­pen der Hol­ly­wood­schau­kel, die wir einst aufs Dach gehievt hat­ten, erstan­den von einem alten Ehe­paar auf dem Fried­rich­ha­ge­ner Floh­markt, wel­che die Pols­ter, in weiß­ge­punk­te­tem Kana­ri­en­gelb, extra hat­ten neu über­zie­hen las­sen, quietschte leise im Rhyth­mus unse­rer Bein­be­we­gun­gen. Ohne dich wäre mein Leben leer, mein­test du und küss­test mich. Trotz­dem wür­dest du deine Freunde ver­mis­sen. Die Ent­schei­dung fiele dir immer noch schwer, auch wenn du end­lich ange­kom­men wärst, würde etwas feh­len [deine Fami­lie]. Du wol­lest sie besu­chen fah­ren. Ich ver­stand dich gut. Mei­nen rech­ten Arm um deine Schul­ter gelegt, schau­kel­ten wir wei­ter. Du such­test meine Auf­merk­sam­keit und stups­test dabei leicht in meine Rippen.
Liebst du mich auch? Ich nickte, schaute aber wei­ter­hin in den blauen Him­mel. Ein lei­ser Seuf­zer ent­glitt dir, als du dei­nen Kopf in mei­nen Schoß leg­test. Ich strich dir durchs Haar und du wuss­test, dass ich flie­gen würde – weg von der Ein­tö­nig­keit, die mich umgab, hin­ein in die Frei­heit, die ich ver­misste, auch wenn du sie erträg­lich machtest.
Wir sehen uns wie­der, flüs­ter­test du, in der Hoff­nung, dass ich es hörte, auch ohne es laut sagen zu müs­sen. Ich lächelte und ver­goss eine Träne, mit dem unaus­ge­spro­che­nen Lip­pen­be­kennt­nis, sie nie [wie­der] im Regen ste­hen zu las­sen, egal, wo ich auch war. Du dach­test das­selbe und blick­test dabei in die Wolken.
Im Hin­ter­grund wehte das Ban­ner im Wind. Einige Stun­den ver­brach­ten wir noch hier, schau­kelnd, ohne viel zu spre­chen. Der Him­mel, der uns so nahe vor­kam, färbte sich vom hel­len Blau, gefan­gen von Son­nen­strah­len, in ein immer dunk­ler wer­den­des, bis die Sterne sich lang­sam, einem Dim­mer ähnelnd, zu zei­gen began­nen. Es war acht Uhr abends, als du deine Augen schlossest.
Ich liebe dich…, doch du hat­test bereits geschla­fen. Tags dar­auf saß ich im Flug­zeug und blickte aus dem Him­mel auf dich herab, dem Duft ent­ge­gen­flie­gend, nach dem du mich fragtest.

Stadt­be­su­cher Raoul Eisele
Illus­tra­tion: Spu­ren­la­se­rin Kathi

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