Dünenzauber #litadvent

by Bücherstadt Kurier

Erschro­cken ließ sie die Schüs­sel los, die mit einem dump­fen Plonk auf dem Boden lan­de­ten. Der Sand, den sie zum Rei­ni­gen benutzt hatte, rie­selte aus ihr her­aus und wurde von einer klei­nen Wind­böe davon­ge­tra­gen. Mit auf­ge­ris­se­nen Augen starrte sie die Gestalt am Dorf­rand an, deren Haut so hell war wie das Tuch, das sie umhüllte. Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust, als der Fremde auf sie zukam und mit einem schüch­ter­nen Lächeln vor ihr ste­hen blieb.

Das ein­zige Anzei­chen für einen län­ge­ren Auf­ent­halt in der Hitze waren seine sprö­den, auf­ge­platz­ten Lip­pen, die sicht­bare Haut makel­los. Seine Augen­er­strahl­ten in einem hel­len Blau, die Augen­brauen zwei schwarze Stri­che. Er konnte nur ein Ima­quila sein. Seit ihrer Kind­heit warn­ten die Alten vor die­sem Volk ohne Indi­vi­dua­li­tät. Sie hatte immer geglaubt, es seien nur Mär­chen, um ihnen in kal­ten Wüs­ten­näch­ten Angst ein­zu­ja­gen. Doch offen­sicht­lich war doch ein Stück Wahr­heit in ihnen enthalten.

Wie in Trance sah sie zu, wie der Ima­quila mit der lin­ken Hand mimte zu trin­ken. Sie schüt­telte den Kopf, unfä­hig auch nur ein Wort zu sagen. Ihre Was­ser­quel­len waren von der Dürre aus­ge­trock­net. Die Dorf­be­woh­ner hat­ten selbst kaum genug in ihren Taufän­gern und Vor­rats­fäs­sern, um zu über­le­ben. Er nickte, dann deu­tete er auf den Boden. Sie ver­stand nicht, dann erkannte sie sei­nen Schat­ten auf dem san­di­gen Unter­grund. Wie­der ver­neinte sie. Jeg­li­cher Schat­ten war zu die­ser Uhr­zeit eng an den Häu­ser­fron­ten. Wenn er sich dahin bewegte, würde es sicher­lich nicht gut aus­ge­hen. Immer­hin wurde den Ima­quila nach­ge­sagt, dass sie die Eigen­hei­ten der Men­schen auf­saug­ten, denen sie begeg­ne­ten und diese als leere Hülle zurückließen.

Wie­der nickte er. Für einen Moment stand er mit geschlos­se­nen Augen vor ihr, seine Hände öff­ne­ten und schlos­sen sich, bis er ein­fach an ihr vor­bei­ging. Ver­wirrt starrte sie ihm einen Moment hin­ter­her, bevor sie auf­sprang und sich beeilte ihm zu fol­gen. Wenn er plante, das Dorf anzu­grei­fen, wollte sie die ande­ren recht­zei­tig war­nen kön­nen. Ein win­zi­ger Teil von ihr war vor allem aber neu­gie­rig, was nun pas­sie­ren würde. Hätte er nicht schon längst ihre Indi­vi­dua­li­tät auf­sau­gen müs­sen oder war er ein­fach nur zu erschöpft dafür?

Vor der Düne, die das Dorf vor Sand­stür­men schützte, blieb er ste­hen und kniete sich hin. Gemäch­lich löste er die Schnür­sen­kel einer San­dale und rollte das Hosen­bein hoch. Sie erkannte ein blas­ses Tat­too knapp über sei­nem Knö­chel, eine Oase, und erin­nerte sich an einen wei­te­ren Teil der Geschich­ten. Ima­quila konn­ten die Kunst auf ihrem Kör­per leben­dig machen. Er grub den nack­ten Fuß in den Sand und zu ihrem Erstau­nen wuchs direkt vor ihren Augen ein grü­ner Strei­fen in die Wüste. In des­sen Mitte ein klei­ner Teich mit kla­rem Was­ser und eine ein­zelne Palme am Ufer lag. Das Bild an sei­nem Bein war ver­schwun­den, als er sich erschöpft an der Palme her­ab­sin­ken ließ. Beein­druckt aber auch besorgt, was er noch alles auf sei­nem Kör­per ver­steckte, starrte sie ihn mit offe­nem Mund an.

Der Ima­quila riss sie aus ihrem Stu­por, indem er ihr mit sei­nem Was­ser­schlauch bedeu­tete, die­sen auf­zu­fül­len. Sie schluckte. Sollte sie ihm wirk­lich hel­fen? Sein Blick war bit­tend und nicht dro­hend, also nahm sie das Behält­nis ent­ge­gen und tat ihm den Gefal­len, immer dar­auf bedacht, ihn nicht aus den Augen zu las­sen. Sie gab ihm den Schlauch und er winkte nickend erneut zum Was­ser. Sollte, konnte sie selbst einen Schluck neh­men? Nach einem Moment des Zögerns kniete sie sich erneut hin und hob etwas Was­ser in ihre hohle Hand. Es schmeckte anders, war nicht ganz so erfri­schend wie sie es kannte, ein wenig san­dig sogar, aber es war Was­ser, das der Fremde mit ihr teilte.

Ihr Herz­schlag ver­lang­samte sich. Hier im Schat­ten der Palme auf dem wei­chen und doch har­ten Gras fühlte sie sich erstaun­lich ruhig. Sie konnte sich nicht daran erin­nern, wann sie zuletzt Gras gese­hen hatte. Der Ima­quila senkte den Schlauch, nach­dem er ihn schein­bar kom­plett aus­ge­trun­ken hatte, und lächelte sie freu­dig an, die Zähne glänz­ten weiß. Nach­dem sie den Schlauch noch ein­mal gefüllt und er ihn an sei­nen Gür­tel gehängt hatte, lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Wäh­rend sie schwei­gend neben­ein­an­der­sa­ßen, sah sie ihn genauer an. Er hatte keine Wim­pern, die Augen­brauen waren eben­falls Tat­toos und aus den Geschich­ten wusste sie, dass auch der Rest sei­nes Kör­pers haar­los war. Ob sie wirk­lich alle so aussahen?

Nach einer Weile schien der Ima­quila ein­ge­schla­fen zu sein. Vor­sich­tig stand sie auf, um wie­der an ihre Arbeit zu gehen, doch eine Hand an ihrem Arm hielt sie zurück. Wie­der begann ihr Herz hef­tig zu schla­gen, doch so schnell er sie gepackt hatte, so schnell ließ er sie wie­der los und schob statt­des­sen sei­nen Ärmel hoch. Um sei­nen Unter­arm wickelte sich ein wei­te­res Tat­too, Blu­men­ran­ken mit ver­schie­de­nen Blü­ten. Er legte Dau­men und Zei­ge­fin­ger auf das Bild und zog eine leuch­tend gelbe Blume her­vor. Mit einem wei­te­ren Lächeln hielt er ihr diese ent­ge­gen. »Danke«, erwi­derte sie schüch­tern, als sie die Blume entgegennahm.

Der Ima­quila schüt­telte den Kopf und legte die Hand über sein Herz, dann legte er die Hand­flä­chen zusam­men und neigte den Kopf in dank­ba­rer Geste. »Du soll­test ver­schwin­den, bevor sie dich fin­den«, warnte sie, auch wenn ein Teil von ihr sich nicht sicher war, warum sie das tat. Die­ser Fremde wirkte alles andere als gefähr­lich, ver­mut­lich hat­ten die Alten nur Angst vor ihrer Anders­ar­tig­keit. Sie fand ihn fas­zi­nie­rend. Doch das er hier­blieb­war lei­der keine Mög­lich­keit. Win­kend ver­ab­schie­dete sie sich, die andere Hand fest um den Blu­men­stän­gel geschlossen.

Als sie mit ihrer Arbeit fer­tig war, war der Ima­quila ver­schwun­den und die Oase geschrumpft. Das Gras war nur noch ein Ring um das Was­ser­loch, die Palme ein ein­zel­nes Blatt, das das Was­ser vor der Sonne schützte. Sie grinste und konnte kaum erwar­ten, dass die ande­ren Dorf­be­woh­ner aus dem Mit­tags­schlaf auf­wach­ten und das kleine Wun­der ent­deck­ten. Viel­leicht waren die Ima­quila doch nicht so gefähr­lich wie die Alten sagten.

Text: Anne Zandt (Poi­Son­PaiN­ter)
Illus­tra­tion: Sei­ten­künst­ler Aaron
Ein CLUE-Bei­trag zum Spe­cial #lit­ad­vent. In die­sem Jahr haben wir drei Clues vor­ge­ge­ben, die in den krea­ti­ven Tex­ten auf­tau­chen soll­ten: Tat­too, Schnür­sen­kel, Grün­strei­fen. Was sich die AutorIn­nen aus­ge­dacht haben, könnt ihr hier lesen.

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