Ein Bilderbuch, ja, aber für Kinder?

by Zeichensetzerin Alexa

Alex­an­dra Hel­mig erzählt im Bil­der­buch „Der Stein und das Meer“ von der Sehn­sucht nach dem Unbe­kann­ten und von Heim­weh – mit Illus­tra­tio­nen von Ste­fa­nie Har­jes. Zei­chen­set­ze­rin Alexa hat das Bil­der­buch mit gemisch­ten Gefüh­len gele­sen und betrachtet.

Ein grü­ner Stein namens Sören lebt auf einem gro­ßen Fel­sen, der sich im Meer befin­det. Von dort aus kann er viel beob­ach­ten: die Tiere, die im Meer und am Strand sind, und Dinge, die ans Ufer gespült wer­den; eine Fla­sche, eine Tasse, ein Schuh. Sören ist neu­gie­rig und fragt sich, woher all diese Dinge kom­men. Er sehnt sich danach, ins Meer zu gelan­gen, in das unbe­kannte, ver­hei­ßungs­volle Meer, das so viele Schätze besitzt.

Als er nach lan­gem War­ten dank einer hohen Welle ins Meer fällt und eine Weile dort ver­bringt, bekommt Sören Heim­weh. Wie soll er nur nach Hause kom­men? Wie schafft er es wie­der zurück auf den Fel­sen? Es ver­geht sehr viel Zeit, bis er von einem Mäd­chen gefun­den wird, mit des­sen Hilfe er wie­der auf den Fel­sen gelangt.

Macht­los, aus­ge­lie­fert, abhängig

Eigent­lich ist das eine schöne Geschichte über das Unbe­kannte, das fas­zi­nie­rende Neue, über die eige­nen Wur­zeln und die Frage nach Iden­ti­tät und Hei­mat – wäre da nicht das frag­wür­dige Ende: Wie schafft es das Mäd­chen, den Stein so zu wer­fen, dass er auf dem Fel­sen lan­det, statt daran abzu­pra­l­len? Ist das eine logi­sche Kon­se­quenz? Besitzt das Mäd­chen neben der Gabe, Dinge zu fin­den, „die gefun­den wer­den wol­len“, die Fähig­keit, Dinge an den Ort zu brin­gen, an den sie sich wün­schen? Die ver­klärt glo­ri­fi­zie­rende Sicht auf die Mut­ter und ihre Toch­ter, die auf mys­ti­fi­zie­rende Art den Stein „ret­ten“, hin­ter­lässt einen faden Nachgeschmack.

Der Aus­gang der Geschichte bestärkt das Gefühl von Ohn­macht; Ein äonen­al­ter den­ken­der Stein, der den Namen Sören bekommt (von wem eigent­lich?), ist nicht in der Lage, sich selbst zu hel­fen. Er ist ange­wie­sen auf Andere, die ihn ans Ziel brin­gen. Und am Ende wird er nur beach­tet, weil er als schö­ner, grü­ner Stein zwi­schen ande­ren her­vor­sticht. Was möchte die­ses Buch den Leser:innen mit­tei­len? Dass nur durch Zufall, Glück und Schön­heit das Ziel erreich­bar ist?

Text-Bild-Wider­spruch

Viel­leicht sollte die­ses Bil­der­buch nicht als Buch für Kin­der betrach­tet wer­den. Die Bot­schaf­ten sind nicht gerade päd­ago­gisch wert­voll, und die Illus­tra­tio­nen aus gro­ber Col­lage und chao­ti­schem Koh­le­ge­kra­kel eher ver­stö­rend als anspre­chend. Man sieht mensch­li­che Köpfe auf Tier­kör­pern, sowie ein­zelne Glied­ma­ßen, die wild umher­ge­schleu­dert wer­den und ähn­lich Maka­bres. Mög­li­cher­weise wären die Fan­ta­sie­fi­gu­ren weni­ger gru­se­lig, wenn sie kom­plett gezeich­net wor­den wären. Die Mischung aus aus­ge­schnit­te­nen Bil­dern und Zeich­nung lässt die Glied­ma­ßen jedoch unzu­sam­men­hän­gend wir­ken, wodurch Asso­zia­tio­nen mit Hor­ror­ge­schich­ten geweckt werden.

Bild und Text schei­nen auch nicht immer zusam­men­zu­pas­sen. Im Text ist der Stein grün, in den Illus­tra­tio­nen wird er eher gelb dar­ge­stellt. An einer ande­ren Stelle heißt es: „Ich möchte ins Meer, ruft er dem Wind zu. Immer und immer wie­der, bis seine Worte flie­gen ler­nen.“ Auf der dop­pel­sei­ti­gen Illus­tra­tion wird ein flie­gen­der, bein­lo­ser Vogel auf einem Stein dar­ge­stellt. Ist das Sören? Wird er gleich vom Vogel ins Meer gewor­fen? Gelangt der Stein so ins Was­ser? Auf der nächs­ten Seite wer­den diese Gedan­ken weg­ge­wischt, denn nun geht es um einen Sturm: „Der Wind jagt meter­hohe Wel­len übers Meer, eine davon reißt Sören vom Fel­sen und schleu­dert ihn ins Wasser.“

Zu viel Bildgewalt?

Bil­der­bü­cher wie die­ses las­sen mich über Kunst für Kin­der nach­den­ken und ob Illus­tra­tio­nen nicht auch zu „unge­fäl­lig“ sein kön­nen. Selbst­ver­ständ­lich soll­ten Kin­der an ver­schie­dene Kunst­stile her­an­ge­führt wer­den, doch es sollte auch im Blick behal­ten wer­den, dass sie noch kein Hin­ter­grund­wis­sen zu Kunst mit­brin­gen und diese daher völ­lig anders wahr­neh­men und bewer­ten. Das ist nicht aus­schließ­lich eine Frage der Sub­jek­ti­vi­tät: Die Vor­lie­ben sind ver­schie­den, aber anders als Erwach­sene erfas­sen Kin­der Bil­der eher intui­tiv. Ist es da sinn­voll, ein Bil­der­buch in einem fins­ter-dada­is­tisch anmu­ten­den Stil zu gestalten?

„Der Stein und das Meer“ wirkt in Text und Bild anders als viele andere Bil­der­bü­cher und damit auch beson­ders. Frag­lich ist nur, ob das Bil­der­buch für Kin­der geeig­net ist. Dies ließe sich nur durch gemein­sa­mes Vor­le­sen und Betrach­ten her­aus­fin­den. Auf­grund des düs­te­ren Stils würde ich jedoch vor­her indi­vi­du­ell abwä­gen, ob es zum Kind passt, anstatt der Alters­emp­feh­lung vom Ver­lag (ab 4 Jah­ren) gedan­ken­los zu folgen.

Der Stein und das Meer. Text: Alex­an­dra Hel­mig. Illus­tra­tio­nen: Ste­fa­nie Har­jes. Mixtvi­sion Ver­lag. 2020.

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