Ein Blick hinter die Fassade

by Zeilenschwimmerin Ronja

Fünf Jahre ist es nun schon her, dass Japan von drei Kata­stro­phen heim­ge­sucht wurde, die zu einer ver­schmol­zen. Zuerst ein Erd­be­ben, dann ein dar­aus ent­stan­de­ner Tsu­nami und schließ­lich zu Explo­sio­nen und Aus­tritt von Radio­ak­ti­vi­tät in dem von Beben und Was­ser beschä­dig­ten Atom­kraft­werk Fuku­shima I. „Reak­tor 1F“ bie­tet nun einen unge­wohn­ten Ein­blick in das, was danach begann. – Von Zei­len­schwim­me­rin Ronja

Reaktor1F1F. Diese Abkür­zung ist das Erste, was die Lesen­den von Kazuto Tats­uta (übri­gens ein Künst­ler­name, der zum Teil auf einem Ort unweit von 1F basiert) lernen.

„Das [1F und 2F] sol­len ursprüng­lich interne Kür­zel bei Tepco gewe­sen sein, doch inzwi­schen sind sie in aller Munde.“

„Reak­tor 1F“ ist keine Geschichte im eigent­li­chen Sinne. Es ist – so wie der voll­stän­dige Titel besagt – vor allem ein Bericht. Tat­säch­lich liest sich der Manga teil­weise sogar wie eine Bedie­nungs­an­lei­tung: Wel­che Schutz­an­züge und spe­zi­elle Klei­dungs­stü­cke müs­sen wo an- oder aus­ge­zo­gen wer­den? Wie ver­läuft ein typi­scher Arbeits­tag auf dem Gelände von 1F?

Trotz­dem erzählt der Manga auch die Geschichte des Autors. Wes­halb er sich für die anstren­gende und gefähr­li­che Arbeit im Atom­kraft­werk ent­schied und wie schwie­rig es war, tat­säch­lich dort arbei­ten zu kön­nen. Nicht etwa, weil er über­mä­ßig durch Kon­trol­len auf­ge­hal­ten wurde, son­dern weil die meis­ten Jobs schon ver­ge­ben waren, kaum dass sie aus­ge­schrie­ben wur­den, und einige Sub­un­ter­neh­men ihre Spiele mit den Arbei­tern trieben.

Nor­ma­li­tät wo keine herrscht

Es ist ein ganz ande­rer Blick, aus dem Kazuto Tats­uta berich­tet. Nicht der Blick der Medien oder Poli­ti­ker, nicht der der Tepco-Pres­se­spre­cher oder Atom­kraft­geg­ner. Es ist irgend­et­was dazwi­schen. Ziem­lich abge­klärt und erstaun­lich unauf­ge­regt. Den­noch ist natür­lich auch Angst und Wut dabei. Kazuto Tats­uta und seine Kol­le­gen füh­len sich aber auch ver­ant­wort­lich und wol­len hel­fen, wo sie kön­nen. Die Aus­sicht auf gute Bezah­lung für Arbeit in stark ver­strahl­ten Berei­chen bringt selbst­ver­ständ­lich zusätz­li­che Motivation.

Diese Sicht­weise ist unge­wohnt, viel­leicht anfangs sogar etwas ver­stö­rend. Aber danach ist es bewun­derns­wert, mit wel­cher Selbst­ver­ständ­lich­keit und Pro­fes­sio­na­li­tät die ver­schie­de­nen Fir­men und vor allem ihre Ange­stell­ten an die Arbeit gehen. Bis auf die Tat­sa­che, dass 1F wohl einer der gefähr­lichs­ten Arbeits­plätze der Welt ist und dem­nach auch beson­dere Sicher­heits­vor­keh­run­gen für die Men­schen dort ein­ge­hal­ten wer­den müs­sen („Auf Ihre Sicher­heit!“), herrscht dort schein­bar ein sehr ‚nor­ma­ler‘ Arbeits­all­tag. Kol­le­gen­tratsch, derbe Witze, Essens­pau­sen, Beschwer­den über den Arbeit­ge­ber und die man­geln­den Park­plätze auf dem Firmengelände.

Was ist die Wahrheit?

Sprach­lich ist der Manga keine Meis­ter­leis­tung, aber die oft sehr detail­ge­treuen Dar­stel­lun­gen der Umge­bung bie­ten dafür einen guten Aus­gleich. Dazu gibt es auch ein paar Zusatz­in­for­ma­tio­nen über Orte in der Sperr­zone, die am Ende eini­ger Kapi­tel ein­ge­wor­fen werden.

Her­vor­zu­he­ben sind beson­ders die Bemü­hun­gen des Autors, kor­rekte Anga­ben zu den Abläu­fen und Sicher­heits­stan­dards zu geben. Ob es dage­gen tat­säch­lich not­wen­dig war, die Namen der Sub­un­ter­neh­men von Tepco zu ver­än­dern, ver­mag ich nicht zu beur­tei­len. Es mag teil­weise fast den Ein­druck erwe­cken, als nehme Kazuto Tats­uta die Fir­men in Schutz. Dazu ein Zitat aus dem Vor­wort von Karyn Nis­hi­mura Poupée:

„Natür­lich kann man eini­ges ein­zu­wen­den fin­den, könnte man gele­gent­lich mei­nen, der Held sei zu will­fäh­rig, ein wenig naiv, sich des Aus­ma­ßes der Gefahr nicht bewusst, er stelle sich auf die Seite des Tepco-Kon­zerns. Das mag sein… Aber er ist es, der eine Wahl trifft, eine Sicht auf die Dinge anbie­tet. Der Autor nimmt für sich nicht die Wahr­heit in Anspruch […]“

„Reak­tor 1F“ hin­ter­lässt das Gefühl tie­fer Bewun­de­rung für alle, die sich in und rings um 1F enga­gie­ren, aber auch ungläu­bi­ges Stau­nen über manch anderes.

Reak­tor 1F – Ein Bericht aus Fuku­shima (Teil 1). Kazuto Tats­uta. Carl­sen Ver­lag. 2016. Ab 14 Jahren.

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