Ein Chronist von dunklen Zeiten Deutscher Buchpreis 2016

by Zeilenschwimmerin Ronja

Zer­störte Städte, gif­tige Strah­lung und Kan­ni­ba­len. In „Die Ver­tei­di­gung des Para­die­ses“ erwar­tet uns eine düs­tere Zukunfts­vi­sion von Deutsch­land. Zei­len­schwim­me­rin Ronja hat sich vor­ge­wagt und die­sen Titel von der Lon­g­list des Deut­schen Buch­prei­ses 2016 gelesen.

Heinz wächst bei einer bunt zusam­men­ge­wür­fel­ten Gruppe auf einer Alm auf. Er hat noch nie etwas ande­res gese­hen, denn außer­halb der geschütz­ten Alm herrscht das Chaos. Nach einer ver­hee­ren­den Kata­stro­phe ist Deutsch­land zer­stört und ver­gif­tet. Vaga­bun­die­rende Ban­den zie­hen durch das Land und beherr­schen, was noch beherrscht wer­den kann. Nie­mals würde die Gruppe von der Alm ihre Sicher­heit ver­las­sen. Doch dann hat der Schutz­schild ihrer Alm eine Fehl­funk­tion. Es bleibt ihnen nichts ande­res übrig, als der ein­zi­gen Hoff­nung zu fol­gen, die es noch gibt: Koor­di­na­ten, die angeb­lich zu einem siche­ren Camp führen.

die-verteidigung-des-paradiesesTho­mas von Steinaecker nutzt den Jugend­li­chen Heinz als Chro­nist der Über­le­ben­den und trifft dabei den Ton sehr gut. Heinz‘ Berichte über den All­tag auf der Alm, den gefähr­li­chen Marsch durch die Zer­stö­rung bis zum Ende baut sich eine große Sym­pa­thie zum Cha­rak­ter auf. Seine Ver­zweif­lung und Hilf­lo­sig­keit sind ste­tig zu spü­ren. Und obwohl er eine eher pas­sive Figur ist, bleibt er nicht taten­los. Auch ist er mora­lisch nicht per­fekt. So wie fast alle ande­ren Über­le­ben­den trifft er genauso Ent­schei­dun­gen, die min­des­tens frag­wür­dig sind (trotz der ‚außer­ge­wöhn­li­chen Situation‘).

Über­haupt gibt es aus mora­li­scher Sicht eini­ges, was frag­wür­dig oder bru­tal ist. Das passt natür­lich wun­der­bar ins Genre Dys­to­pie, ob sich die Men­schen und Regie­run­gen nach einer Kata­stro­phe tat­säch­lich so ver­hal­ten wür­den … Nun, ich hoffe nicht.

Apro­pos Kata­stro­phe: Ein Schwach­punkt des Romans ist, dass nie auf­ge­klärt wird, was genau pas­siert ist.* Es gibt Andeu­tun­gen und vage Infor­ma­tio­nen, aber deut­lich erklärt wird es nicht. Keine abso­lute Not­wen­dig­keit, aber es würde viel­leicht bes­ser erklä­ren, warum die über­le­ben­den Men­schen und vor allem die deut­sche Regie­rung (und andere) sich so aso­zial verhalten.

Abge­se­hen von die­ser unge­klär­ten Frage, bleibt der Roman aber sehr klar und ist flüs­sig zu lesen. Die Spra­che ist durch einige abge­wan­delte und aus dem Eng­li­schen über­nom­mene Worte glaub­haft moder­ni­siert, ohne dadurch ihre Ver­ständ­lich­keit ein­zu­bü­ßen. Zusätz­lich inter­es­sant wird der Roman durch seine unter­schied­li­chen Text­sor­ten und kleine Erzäh­lun­gen, die sich auch gestal­te­risch von der eigent­li­chen Geschichte unterscheiden.

„Die Ver­tei­di­gung des Para­die­ses“ ist ins­be­son­dere vom Gerne her für mich eine Über­ra­schung auf der Lon­g­list des Deut­schen Buch­prei­ses. Aber auch eine ange­nehme Abwechs­lung. Der sprach­li­che Stil und das Thema recht­fer­ti­gen die Nomi­nie­rung auf jeden Fall. Auch wenn es düs­ter und nicht sel­ten bru­tal zugeht, lässt der Roman seine Lese­rIn­nen nicht völ­lig ver­stört und hoff­nungs­los zurück. „Die Ver­tei­di­gung des Para­die­ses“ hätte sich sicher auch auf der Short­list gut gemacht.

Die Ver­tei­di­gung des Para­die­ses. Tho­mas von Seinaecker. S. Fischer Ver­lag. 2016.

* Das und auch man­che Erleb­nisse von Heinz und sei­nen Beglei­tern erin­nern teil­weise an „Die Straße“ von Cor­mac McCar­thy (ver­filmt 2009 unter dem Ori­gi­nal­ti­tel „The Road“).

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