„Ein Hinhaltezug! Gut gedacht!“

by Wortklauberin Erika

„Wer gewinnt?“, fragt man sich gleich zu Anfang, als bereits offen­bart wird, dass Dr. B. kein gewöhn­li­cher Schach­spie­ler sein kann. Bald stellt sich auch her­aus: In ihm ver­birgt sich die Geschichte eines Über­le­ben­den. – Von Wort­klau­be­rin Erika

In der 1942 erschie­ne­nen Novelle schil­dert ein Ich-Erzäh­ler die Schach­par­tie zwi­schen einem öster­rei­chi­schen Emi­gran­ten, Dr. B. und dem Schach-Welt­meis­ter Mirko Czen­to­vic an Deck eines Pas­sa­gier­schif­fes auf der Über­fahrt von New York nach Bue­nos Aires. Es zeigt sich bald, dass Dr. B. her­aus­ra­gende Kennt­nis des Schach­spiels besitzt – Dr. B. war Ver­mö­gens­ver­wal­ter gro­ßer Klös­ter gewe­sen und von der Gestapo ver­haf­tet worden.

Um in sei­ner her­me­tisch abge­rie­gel­ten Gefan­gen­schaft zwi­schen den Ver­hö­ren noch ein Min­dest­maß an kla­rem Ver­stand zu bewah­ren, begann er, eine Samm­lung von Schach­par­tien durch­zu­spie­len, und schließ­lich eigene zu erfin­den. Die Par­tie mit Czen­to­vic ist seine erste nach der Haft, auf einem rich­ti­gen Schach­brett und gegen einen ihm gleich­ge­stell­ten Geg­ner. Er gewinnt das Spiel der Könige – lässt sich jedoch zu einer Revan­che über­re­den, die zu einem Ner­ven­zu­sam­men­bruch führt.

Ste­fan Zweig lässt den Leser Zeuge einer könig­li­chen Par­tie Schach wer­den, hin­ter der sich eine Anklage der Bru­ta­li­tät der faschis­ti­schen Regimes und der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Metho­den der Angst­stif­tung ver­birgt. Zugleich zeich­net er in der Gestalt des Dr. B. ein wun­der­ba­res psy­cho­lo­gi­sches Por­trait eines Über­le­ben­den – auf­grund sei­ner Obses­sion mit dem Schach­spiel, die an Schi­zo­phre­nie erin­nernde Erschei­nun­gen bei ihm aus­lö­sen, kommt er aus der Gefan­gen­schaft frei und schafft es zu emigrieren.

Er scheint am Anfang der Erzäh­lung wie ein, wenn auch vom Krieg gezeich­ne­ter, nor­ma­ler Mensch. Wäh­rend er die Par­tie aus Neu­gierde dar­auf beginnt, ob es denn nicht schon Wahn­sinn gewe­sen wäre, was er in sei­ner Zelle getrie­ben hat, zeich­net sich jedoch spä­tes­tens bei der Revan­che das Trauma ab, das er erlit­ten hat. Dr. B. wird nach die­ser Par­tie Schach keine wei­tere mehr spie­len. Was ihm wäh­rend sei­ner Gefan­gen­schaft als „coping mecha­nism“ diente, löst nun ein tief sit­zen­des Trauma in ihm aus.

Schach­no­velle. Ste­fan Zweig. Fischer Ver­lag. 2010 (Neu­auf­lage), erst­mals erschie­nen 1942.

Was sagen die Feuil­le­töne über Ste­fan Zweigs „Schach­no­velle“? Erfahrt mor­gen (06.06.15) ab 11 Uhr mehr auf feuil​le​toene​.de/​l​ive. Über den Web­chat besteht außer­dem die Mög­lich­keit mitzudiskutieren!

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3 comments

juneautumn 5. Juni 2015 - 19:35

Ihr Lie­ben, Klug­schei­ßeralarm, aber wenn Ihr das mor­gen sagt – der Raum war wohl her­me­tisch abge­rie­gelt 😉 Das Buch hat mich in den vie­len Jah­ren, seit ich es zum ers­ten Mal las, nie ganz los­ge­las­sen. Diese Ein­dring­lich­keit, die Ste­fan Zweig auf den weni­gen Sei­ten schafft, ist nicht oft zu finden.
Ein schö­nes Wochenende!

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Bücherstadt Kurier 5. Juni 2015 - 21:28

Liebe june­autumn,
danke für den Hin­weis, da ist mir wohl zwi­schen Bache­lor­ar­beit und Rezen­sion ein Wort beim Wort­klau­ben durch­ein­an­der gera­ten! 🙂 Ich ver­stehe deine Begeis­te­rung, ich bin auch hin und weg – wie man wohl aus mei­ner Rezen­sion recht gut her­aus­le­sen kön­nen sollte.
Alles Beste!
Wort­klau­be­rin Erika

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Pop-Polit 5. Juni 2015 - 21:28

Eine mei­ner Lieblingslektüren...

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