Ein Leben im Rausch

by Worteweberin Annika

„Warum nicht mal wie­der einen Klas­si­ker?“, hat sich Worte­we­be­rin Annika gefragt, und zu Ste­fan Zweigs „Rausch der Ver­wand­lung“ gegriffen.

Die 28-jäh­rige Chris­tine Hof­leh­ner stammt aus nie­de­ren Ver­hält­nis­sen, aus den Kriegs­jah­ren ist sie aller­lei Ent­beh­run­gen gewöhnt. Nun, 1926, lebt sie mit ihrer kran­ken Mut­ter auf dem Land, und wenn sie sich nicht um die Pflege oder den Haus­halt küm­mert, arbei­tet sie in einem klei­nen Büro als Post­as­sis­ten­tin. Dort erreicht sie ein Tele­gramm der rei­chen, ame­ri­ka­ni­schen Tante, die sie in ein nobles Hotel in der Schweiz ein­lädt. Wie zu erwar­ten, fin­det hier die Ver­wand­lung von Chris­tine statt. Ele­gante Klei­dung und eine neue Fri­sur müs­sen her, und vor den wich­ti­gen Hotel­gäs­ten auch gleich noch eine neue Iden­ti­tät: Chris­tiane van Boolen. Die blüht auf, ist lus­tig und ver­lebt ver­spä­tet eine Art Jugend zwi­schen den unbe­schwer­ten Gäs­ten. Doch als die Täu­schung auf­fliegt, muss Chris­tine zurück in ihr altes Leben, das ihr noch nie so sinn­los erschie­nen war.

Auf die Aschen­put­tel­ge­schichte im Hotel­mil­lieu folgt in der zwei­ten Hälfte des Romans eine wei­tere Ver­wand­lung, die schließ­lich ein uner­war­te­tes Ende nimmt. Hier beschreibt Zweig die Ver­zweif­lung der Armut, aus der es fast nur einen Aus­weg zu geben scheint: den Frei­tod, den spä­ter der Autor selbst wählte. Für Chris­tine eröff­net sich aller­dings eine wei­tere, eben­falls dras­ti­sche Mög­lich­keit. Im Roman wer­den Chris­ti­nes Beweg­gründe sehr detail­liert und psy­cho­lo­gisch nach­voll­zieh­bar geschildert.

Sti­lis­tisch ist am Roman die adjek­tiv­rei­che Spra­che auf­fäl­lig, die mit einer Liebe zum Detail ein­her­geht. Ins­be­son­dere auf den ers­ten Sei­ten des Romans, wenn die Aus­stat­tung des Post­bü­ros detail­reich und aus­führ­lich beschrie­ben wird, ist dies bemerk­bar. Wirkt der Stil zu Anfang noch gewöh­nungs­be­dürf­tig, zeich­net er den Roman doch ins­ge­samt aus. Neben ande­ren Wer­ken von Ste­fan Zweig diente „Rausch der Ver­wand­lung“ Wes Ander­son außer­dem als Inspi­ra­ti­ons­quelle und Vor­lage für sei­nen Film „Grand Buda­pest Hotel“. Die Detail­ver­liebt­heit kann man auch in den Film­sze­nen wie­der­fin­den – ebenso natür­lich wie das Hotel, das im ers­ten Roman­teil eine wich­tige Rolle spielt.

Rausch der Ver­wand­lung. Ste­fan Zweig. Fischer Taschen­buch. 2000.

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