Ein Schlag in die Magengrube

by Worteweberin Annika

Hazal ist Deutsch­tür­kin und die Welt hat nichts ande­res im Sinn, als ihr die Ell­bo­gen in den Magen zu ram­men. Also schlägt Hazal zurück, schlägt in der Nacht ihres acht­zehn­ten Geburts­tags einen Stu­den­ten, bis er auf die U‑Bahn-Gleise fällt. Blut spritzt, Hazal und ihre Freun­din­nen lau­fen davon. Boom – Fatma Ayd­e­mirs Roman „Ell­bo­gen“ trifft zwi­schen die Rip­pen, dass einem die Luft weg­bleibt. Für die glo­bale° hat Worte­we­be­rin Annika sich von die­sem Roman über­ra­schen lassen.

Hazal ist die Ich-Erzäh­le­rin in Ayd­e­mirs Roman. Sie redet frei von der Leber weg, flap­sig gehen ihr Sätze wie „die­sem Leben gehört ordent­lich die Mut­ter gefickt“ über die Lip­pen und ver­lei­hen Hazal eine Stimme, wie man sie in der deut­schen Gegen­warts­li­te­ra­tur nicht oft hört. Fatma Ayd­e­mir erzählt authen­tisch vom Leben an der Grenze der Kul­tu­ren, von Erwar­tun­gen der Fami­lie, an denen Hazal sich auf­reibt. Denn eigent­lich möchte sie doch nur ein nor­ma­les Leben füh­ren, mit Freun­den aus­ge­hen, viel­leicht Ärz­tin wer­den oder Kran­ken­schwes­ter, ein biss­chen Respekt von den „deut­schen Kartoffeln“.
Die Eltern hin­ge­gen hal­ten nicht viel von Deutsch­land, auch nach Jah­ren sind sie hier nicht ange­kom­men. Ihr Leben besteht aus dra­ma­ti­schen tür­ki­schen Serien, Ҫay und der fami­li­en­be­trie­be­nen Bäcke­rei. Hazal aber reicht das nicht aus: „Ich habe Angst, dass ich immer auf der Ersatz­bank rum­sitze und auf das rich­tige Leben warte und das rich­tige Leben ein­fach nicht passiert.“

Nach der Nacht in der U‑Bahn-Sta­tion kommt der Bruch: Hazal steigt in den Flie­ger nach Istan­bul, um bei ihrem Inter­net-Freund Meh­met unter­zu­krie­chen. Doch auch in der Tür­kei ist sie ein Fremd­kör­per, schon ihr Akzent ver­rät ihre Her­kunft. Lange klam­mert Hazal das Ereig­nis ganz aus, obschon Alb­träume sie ver­fol­gen. Der Kon­trast zwi­schen ihrem Ver­such, in Istan­bul auf die Beine zu kom­men, und dem Zusam­men­bruch, den man erwar­ten würde, ist groß. Ohne Schuld zuzu­wei­sen por­trai­tiert Ayd­e­mir das Ent­ste­hen von Gewalt und auch den Umgang mit deren Folgen.

„Ell­bo­gen“ ist das Erst­lings­werk der Kul­tur­jour­na­lis­tin Fatma Ayd­e­mir. Ihre Groß­el­tern kamen als Gast­ar­bei­ter nach Deutsch­land, sie selbst wurde inzwi­schen ein­ge­bür­gert. Für die taz ver­folgt sie auch das poli­ti­sche Gesche­hen in der Tür­kei und in Deutsch­land. Das ist in „Ell­bo­gen“ spür­bar: Von der Ver­haf­tung stu­den­ti­scher Wider­ständ­ler über die Rolle der Kur­den in der Tür­kei, von der Sil­ves­ter­nacht in Köln bis zum geschei­ter­ten Putsch­ver­such wird kaum ein poli­ti­sches Thema unse­rer Zeit aus­ge­las­sen. Damit ord­net die Autorin „Ell­bo­gen“ in die aktu­el­len Gescheh­nisse ein und macht Hazal exem­pla­risch. Ob nicht gerade in der Schluss­szene der Fokus auf das indi­vi­du­elle Schick­sal der Prot­ago­nis­tin auch gereicht hätte, bleibt Geschmackssache.

Fatma Ayd­e­mir ist ein berüh­rend scho­ckie­ren­der Blick auf die deut­sche und die tür­ki­sche Kul­tur gelun­gen, der Fra­gen auf­wirft: Wie fühlt es sich an, Gren­zen zu über­schrei­ten – seien es kul­tu­relle oder die des Zusam­men­le­bens. Und wer macht eigent­lich kul­tu­relle Gren­zen? Wie wol­len wir selbst uns ver­hal­ten, damit es einer zwei­ten Hazal bes­ser erge­hen würde?

Ell­bo­gen. Fatma Ayd­e­mir. Han­ser Ver­lag. 2017.

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