Ein Schnitzel vor Hamburg #Todesstadt

by Geschichtenerzähler Adrian

Durch meine Arbeit bin ich viel mit dem Auto unter­wegs und so bezeich­net meine Frau unse­ren dun­kel­ro­ten Fiat Panda scherz­haft als meine zwei­ten vier Wände.
Da die Fahr­ten von einer Stadt in die nächste meist meh­rere Stun­den in Anspruch neh­men, bin ich immer wie­der auf Auto­bahn­rast­stät­ten ange­wie­sen. Auch auf mei­ner jet­zi­gen Fahrt nach Ham­burg bahnt sich einige Kilo­me­ter vor mei­nem Ziel ein kur­zer Zwi­schen­stopp an, da meine Kon­zen­tra­tion nachlässt.
Zuerst halte ich es für eine die­ser Stan­dard­rast­stät­ten mit Holz­ti­schen und Bän­ken sowie einem Toi­let­ten­häus­chen. Als ich jedoch ein mit klei­nen Lam­pen beleuch­te­tes Lokal sehe, stutze ich. Trotz sei­nes ein­la­den­den Äuße­ren wirkt es irgend­wie fehl am Platz. Auch wenn es selt­sam scheint, nutze ich die Gele­gen­heit für ein außer­plan­mä­ßi­ges Abendessen.
Schon als ich durch das kleine Tor zum Bier­gar­ten schreite, umfängt mich ein Wohl­ge­fühl. Bei­nah wie nach Hause kom­men, denke ich und lächle, wäh­rend ich durch die Ein­gangs­tür trete.
Wenn ein Ort das Wort ‚urig‘ ver­dient, dann die­ses Lokal. Holz­ver­tä­felte Wände, Holz­stühle und ‑tische, deko­riert mit Feld­blu­men in schlich­ten Vasen. An den Wän­den hän­gen ver­schie­dene Objekte aus allen Him­mels­rich­tun­gen. Hier ein Anker, dort eine Kuckucks­uhr. Sogar ein sin­gen­der Fisch und eine Buddha-Statue.
Vor lau­ter Fas­zi­na­tion bemerke ich die Wir­tin nicht, die plötz­lich neben mir steht. Sie schaut mich erwar­tungs­voll an und ich sage ihr, dass ich gerne etwas essen würde. Dar­auf­hin gelei­tet sie mich zu einem Tisch am Fenster.
Kaum setze ich mich hin, legt sie schon eine Spei­se­karte vor mir auf den Tisch. Ich bedanke mich und frage gleich, ob sie Fass­brause hät­ten. Die Wir­tin nickt und ich bestelle eine große.
Neu­gie­rig durch­blät­tere ich die Menü­karte und ent­scheide mich schließ­lich für das Schnit­zel mit Kar­tof­feln und roter Beete. Kaum schlage ich die Karte zu, steht die Wir­tin erneut neben mir. Ich erschre­cke mich und bestelle mein Essen. Wort­los nickt sie, stellt mir die Fass­brause hin und ver­schwin­det wie­der hin­ter dem Tresen.
Wäh­rend ich an mei­nem Getränk nippe, schaue ich mich erneut im Gast­raum um, beäuge die ande­ren drei Gäste an die­sem Abend.
Jeder sitzt wie ich an einem eige­nen Tisch. Das dunkle Holz schluckt viel von dem schumm­ri­gen Licht und so lie­gen die Gesich­ter der Män­ner im Schat­ten. Mit sei­ner Kappe und der blauen Jacke wirkt der eine bei­nah wie ein See­mann, die ande­ren ähneln Hafenarbeitern.
All­ge­mein erin­nert das ganze Ambi­ente an ein Hafen­lo­kal. Auch wenn das nächste Gewäs­ser noch einige Kilo­me­ter ent­fernt ist, schiebe ich die Wahl der Ein­rich­tung auf die nahe­ge­le­gene Stadt Hamburg.
Ich muss nicht lange auf mein Essen war­ten, denn erneut mehr schlei­chend als gehend taucht die Wir­tin mit einem Tel­ler neben mei­nem Platz auf. Ich lege mein Smart­phone bei­seite, auf dem ich gerade noch mei­ner Frau ein kur­zes Rei­se­up­date gege­ben habe und begut­achte mein Essen. Es sieht ein­fach köst­lich aus und so kann ich es kaum erwar­ten, es zu probieren.
Das beste Schnit­zel, das ich je geges­sen habe, denke ich, als ich Gabel und Mes­ser zurück auf den lee­ren Tel­ler lege und mich in mei­nem Stuhl zurück­lehne. Als ich der Wir­tin schließ­lich auf­zeige, dass ich zah­len will, bin ich dar­auf vor­be­rei­tet, dass sie plötz­lich wie­der ohne ein Geräusch neben mei­nem Tisch steht.
Trotz der gran­dio­sen Qua­li­tät des Essens fällt die Rech­nung sehr nied­rig aus, sodass ich ein ordent­li­ches Trink­geld dazu­gebe. Die Wir­tin bedankt sich mit einem Nicken, räumt Tel­ler und Glas ab und dann ist sie auch schon verschwunden.
Nach einem Blick auf die Uhr stehe ich auf und gehe lang­sam zur Tür, immer noch den Geschmack des Essens genie­ßend. Die Ener­gie müsste rei­chen für den Rest der Stre­cke, beschließe ich und trete hin­aus in die fri­sche Abend­luft. Erst jetzt fällt mir auf, wie sti­ckig es in dem Lokal war.
Als ich zurück bei mei­nem Auto bin, öffne ich die Tür und halte kurz inne. Ich werfe noch ein­mal einen Blick zurück und stelle ver­wun­dert fest, dass das Lokal ver­schwun­den ist. Dort wo es stand ist nur grüne Wiese.
Schmun­zelnd schüttle ich den Kopf. Es passt eh viel bes­ser an einen Hafen oder ans Meer, denke ich. Aber das war das beste Schnit­zel, das ich je geges­sen habe.

Text: Geschich­ten­er­zäh­ler Adrian
Illus­tra­tion: Geschich­ten­zeich­ne­rin Celina

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Todes­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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