Ein Spaziergang durch das Terrain Vladimir Nabokovs

by Bücherstadt Kurier

Nabokov_Übersetzung

Das Ter­rain ist eine wich­tige Meta­pher im wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs rund um das Werk Vla­di­mir Nabo­kovs. Der rus­si­sche Emi­gré-Lite­rat in Ber­lin, der ame­ri­ka­ni­sche Schrift­stel­ler – er ver­ei­nigt viele Per­sön­lich­kei­ten in sich, unter ande­rem auch jene des Leh­ren­den und des Über­set­zers. Vla­di­mir Nabo­kovs Werk als Über­set­zer ist dabei, abge­se­hen von einer gro­ßen Aus­nahme, nur wenig beach­tet, und beglei­tet doch den Kurs sei­nes Lebens. Eliza­beth Beau­jour geht gar so weit, zu erklä­ren, „Nabokov‘s trans­la­ti­ons are of such pro­di­gious extent and diver­sity that they must be regar­ded as a princi­pal part of his life’s work.“[1]

Vla­di­mir Nabo­kov wuchs mit den Spra­chen Rus­sisch, Eng­lisch und Fran­zö­sisch auf und konnte die Spra­chen in ver­schie­de­nen Kon­stel­la­tio­nen über­set­zen. Nabo­kov begann rela­tiv früh mit der Über­set­zung, wobei er sich zu einem gro­ßen Teil auf Dich­tung – das Spiel mit der Spra­che – kon­zen­triert.[2] Die Motive hier­für sind viel­fäl­tig und ver­än­dern sich im Laufe sei­nes Lebens, unter ande­rem beein­flusst von sei­ner beruf­li­chen Tätig­keit und Mei­nung als Schriftsteller.

Erste Schritte auf dem Ter­rain der Übersetzung

Zunächst war die Übung in den ver­schie­de­nen Spra­chen, die er beherrschte, von Bedeu­tung. Nabo­kov war Sohn einer wohl­ha­ben­den rus­si­schen Fami­lie, die vor den Kon­se­quen­zen der Rus­si­schen Revo­lu­tion ins Exil flüch­tete. Die Fami­lie ließ sich zunächst in Ber­lin nie­der, wo Nabo­kov erst­mals unter dem Pseud­onym „Sirin“ seine eige­nen Werke zu ver­öf­fent­li­chen begann. Ein Fak­tum, das gerade in Bezug auf Nabo­kovs Tätig­keit nicht wenig Bedeu­tung trägt, ist, dass er, bevor er sich daran wagte, eigene Texte zu schrei­ben, bereits übersetzte.
Das erste Werk, das er vom Eng­li­schen in fran­zö­si­sche Alex­an­dri­ner[3] über­trug, war Mayne Reids „The Headlss Hor­se­man“ und spä­ter Lewis Carolls „Alice in Won­der­land“ („Аня в стране чудес“/“Anja im Land der Wun­der“) vom Eng­li­schen ins Rus­si­sche. Nabo­kov bezeich­nete gerade letz­te­res selbst als eine ein­fa­che, spa­ßige Aufgabe.
In die­sem ers­ten sich-Aus­pro­bie­ren am Über­trag von einer Spra­che in die andere über­führte Nabo­kov Alice auch in die rus­si­sche Kul­tur, was sich etwa an ihrem Namen able­sen lässt. Spä­ter kri­ti­siert er diese Pra­xis stark.[4]

Rus­si­sche Kul­tur auf U.S.-amerikanischem Terrain

Die bei­den nächs­ten sehr prä­gen­den Motive für eine Tätig­keit als Über­set­zer hän­gen mit Nabo­kovs Tätig­keit an ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten zusam­men. Er unter­rich­tete 1948–1959 an der Cor­nell Uni­ver­sity rus­si­sche Spra­che und Lite­ra­tur und hielt unter ande­rem Vor­le­sun­gen zur Welt­li­te­ra­tur. Nabo­kov äußerte häu­fig sein Erstau­nen dar­über, wie wenig rus­si­sche Lite­ra­tur in den USA bekannt war und wie schmal die Reso­nanz hier­bei war. So begann er, einer­seits um sei­nen Stu­den­ten und Stu­den­tin­nen, die der Spra­che nicht mäch­tig waren, die rus­si­sche Lite­ra­tur zugäng­lich zu machen. Im Zusam­men­hang damit steht auch das Motiv, sie über­haupt unter­rich­ten zu können.

So ent­ste­hen Über­set­zun­gen ver­schie­de­ner bekann­ter, rus­si­scher Autoren: Gogols „Der Man­tel“, Pusch­kins „Das Fest wäh­rend der Pest“ sowie die Über­set­zung des von einem anony­men Ver­fas­ser stam­men­den „Song of Igor’s Com­paign“. Hier beginnt sich bereits abzu­zeich­nen, dass ein Denk­pro­zess in Bezug auf die Über­set­zung begon­nen hat. Die Über­set­zung von „The Song of Igor’s Com­paign“ erach­tet er spä­ter als „zu les­bar“, also als zu wenig wört­lich. Wenn­gleich der 1944 erschie­nene Lyrik­band „Three Rus­sian Poets“ noch rela­tiv treu über­setzt wurde, emp­fin­det Nabo­kov die for­ma­len Zwänge des Reim­sche­mas in der Über­set­zung als „absurd, and impos­si­ble to recon­cile with exacti­tude“.[5]

Kein Bruch, ein Pro­zess: „Eugen Onegin“

Bereits gegen Ende der 1940er Jahre fasste Nabo­kov den Ent­schluss, Pusch­kins Vers­epos „Eugen One­gin“ (Евгeний Онeгинъ) zu über­set­zen, weil er ent­täuscht von den vor­han­de­nen Über­set­zun­gen im eng­li­schen Raum war.[6] Er begann bereits davor, sich über die Über­set­zung genauer Gedan­ken zu machen, wie etwa das Buch „The Art of Trans­la­tion“ (1941) beweist. Nabo­kov ver­suchte sich bereits 1951 an einer Über­set­zung in Vers­form, die aller­dings nicht mehr erhal­ten ist.[7]

Zur Ver­öf­fent­li­chung der Über­set­zung kam es 1964 – ursprüng­lich inter­li­near kon­zi­piert, wur­den Über­set­zung und Kom­men­tar in vier Bän­den ver­öf­fent­licht, da Nabo­kovs Kon­zept das Volu­men des Ban­des gesprengt hätte.[8] In eben­die­sem Kom­men­tar pro­kla­miert Vla­di­mir Nabo­kov eine sehr radi­kale Ein­stel­lung der Über­set­zung: Der Haupt­text von „Eugen One­gin“ ist weni­ger die Über­set­zung als der aus­führ­li­che Kom­men­tar hierzu, der Pusch­kins Text auf viel­schich­tige Art und Weise auf­schlüs­selt. Hier­bei kann man die Über­set­zung auf­grund ihrer Wört­lich­keit nicht mehr als allein­ste­hen­den Text lesen – man müsse das gesamte Werk viel mehr als Stu­di­en­leit­fa­den“ sehen, der par­al­lel mit dem rus­si­schen Text und dem Kom­men­tar gele­sen wer­den sollte.[9]

Viel dis­ku­tiert: eine Phi­lo­so­phie der Übersetzung

Nabo­kov stellt sich im Vor­wort zur Über­set­zung von „Eugen One­gin“ die Frage: „Can a rhy­med poem like Eugene One­gin be truly trans­la­ted with the reten­tion of its rhyme?“[10] Die Ant­wort lau­tet klar und deut­lich: Nein. Nabo­kov über­setzt wört­lich, mit der Erklä­rung, er habe zwi­schen „rhyme and rea­son“[11] ent­schei­den müs­sen und sich für letz­te­res ent­schie­den. Dies geschah auch, um sei­nem Lese­pu­bli­kum die Pro­ble­ma­tik der Über­set­zung nahe­zu­brin­gen.[12] Hier­bei erklärt er deut­lich, dass nur eine wört­li­che Über­set­zung sich über­haupt gegen­über dem Ori­gi­nal behaup­ten könne.

Der Über­set­zer brau­che dabei genaue Kennt­nis bei­der Spra­chen und Kul­tu­ren sowie des Hin­ter­grun­des des betref­fen­den Autors. Er müsse gerade den Autor und seine poli­ti­schen, sozia­len, auf Bil­dung bezo­ge­nen Hin­ter­gründe genau ken­nen, um eine ideale Ver­sion des Aus­gangs­tex­tes anzu­fer­ti­gen.[13] Dies würde die Kapa­zi­tä­ten eines Lebens spren­gen, wes­halb jeder Über­set­zer sich auf einen Autor beschrän­ken müsse – im Falle Nabo­kov, der sich Zeit sei­nes Lebens mit einem kano­ni­schen rus­si­schen Dich­ter beson­ders beschäf­tigt hat, trifft dies auf Pusch­kin zu.[14]
Diese Über­set­zung, gemein­sam mit dem Kom­men­tar, der Nabo­kovs Theo­rie der Über­set­zung ver­brei­tete, pro­vo­zierte „what can be cal­led the great debate on trans­la­tion norms in the 1960s’.”[15]

Selbst über­setzt: Ein gefähr­li­ches Métier

Doch Nabo­kovs Kar­riere endet nicht ein­fach an die­ser Stelle. Es kommt eine wei­tere Kom­po­nente zu den Aspek­ten der Über­set­zung hinzu: die Selbst­über­set­zung. Nach­dem die ame­ri­ka­ni­sche Aus­gabe von „Lolita“ 1958 ein­ge­schla­gen war wie eine Bombe und Vla­di­mir Nabo­kov zum ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­ler und Best­sel­ler erhob, wurde das Inter­esse an sei­nen ers­ten, unter dem Pseud­onym Sirin ver­öf­fent­lich­ten Büchern auf Rus­sisch laut.

Wäh­rend viele mehr­spra­chige Autoren gerade die Über­set­zung als schwie­rig bis unmög­lich emp­fan­den, über­brückte Nabo­kov die­ses Pro­blem durch Fremd­über­set­zun­gen, die unter ande­rem sein Sohn Dmi­trij Nabo­kov anfer­tigte. Eine Über­set­zung durch den Autor selbst hebelt das Pro­blem der Autor­schaft, das nor­ma­ler­weise vor­liegt, aus. Viel­mehr pro­du­ziert der über­set­zende Autor kein Fak­si­mile in einer zwei­ten Spra­che, son­dern oft­mals eine zweite Ver­sion, die das Werk in der Aus­gangs­spra­che „gefähr­den“ kann, weil sich Ver­bes­se­run­gen und Ver­än­de­run­gen darin fin­den. Dies trifft etwa auf die eng­li­schen Über­set­zun­gen der rus­si­schen Romane Nabo­kovs zu, wo die eng­li­sche Über­set­zung zum Refe­renz­werk für jede wei­tere Über­set­zung erklärt wurde.

Ein holp­ri­ges Terrain

Gerade in Bezug auf Vla­di­mir Nabo­kov wird deut­lich, wie stark die Über­set­zung eigent­lich zu pro­ble­ma­ti­sie­ren ist. Die Ent­wick­lung, die er selbst durch­ge­macht hat, führt von der getreuen Über­set­zung von einer Spra­che in die andere über einen Umschwung zur wört­li­chen Über­set­zung und zurück zur Selbst­über­set­zung, wo die zuvor eta­blier­ten Regeln aus­ge­he­belt sind. Vor der Auto­ri­tät des Autors muss der Über­set­zer die Waf­fen stre­cken: Doch was, wenn beide in einer Per­son ver­eint sind?

Nabo­kovs Schaf­fen schlägt jedoch schließ­lich doch den Bogen zu sei­nem schrift­stel­le­ri­schen Werk, wobei beson­ders die spä­ten Romane – „Pnin“ und „Ada or Ardor“ seien hier zu nen­nen- die­ses nächste Phä­no­men deut­lich machen. Vla­di­mir Nabo­kov schreibt näm­lich nicht nur in meh­re­ren Spra­chen, er schreibt auch durch sie hin­durch. Nabo­kov selbst meint dazu, er habe „the abi­lity to ren­der an exact nuance by shif­ting from the lan­guage I am now using to a brief burst of French or to a soft rustle of Rus­sian”.[16]

Text: Erika
Illus­tra­tion: Aaron

[1] Beau­jour 1995, S. 714
[2] Vgl. Boyd 2011, S. 215
[3] Ein Vers­maß, das im Fran­zö­si­schen sehr gebräu­lich ist. Es besteht aus 12 Sil­ben im jam­bi­schen Vers­fuß (erste Silbe unbe­tont, zweite Silbe betont).
[4] Vgl. Yab­lo­kova 2009, S. 249
[5] Beau­jour 1995, S. 714
[6] Vgl. Yab­lo­kova 2009, S. 253
[7] Boyd 2011, S. 221
[8] Vgl. Boyd 2011, S. 219
[9] Vgl. Beau­jour 1995, S. 718
[10] Nabo­kov 1964, I, S. ix
[11] Nabo­kov 1973, S. 7
[12] Yab­lo­kova 2009, S. 254
[13] Vgl. Yab­lo­kova 2009, S. 259
[14] Vgl. Beau­jour 1995, S. 717
[15] Boyd 2011, S. 221
[16] Beau­jour 1995, S. 723

Wei­ter­le­sen:
Boyd, Brian: Nabo­kov as Verse Trans­la­tor. In: ders.: Stal­king Nabo­kov. Selec­ted Essays. New York: Colum­bia Uni­ver­sity Press 2011, S. 214–229 | Beau­jour: Trans­la­tion and Self-Trans­la­tion. In: Alex­and­rov (Hg.): The Gar­land Com­pa­n­ion to Vla­di­mir Nabo­kov. New York: Gar­land 1995 | Pro­s­ku­rina, Vera: Nabokov’s Exegi Monu­men­tum. In: McMillin/Meyer/Grayson (Hg.): Nabokov’s World (II). Lon­don: Pal­grave 2002 S. 27–39 | Yab­lo­kova, Zhanna: Tra­jec­tory of Vla­di­mir Nabokov’s Literary Trans­la­tion Prac­ti­ces. In: Forum, Vol.7, 2009. S. 247–275 | Doli­nin, Alek­sej: Eugene One­gin. In: Alex­and­rov (Hg.): The Gar­land Com­pa­n­ion to Vla­di­mir Nabo­kov. New York: Gar­land 1995, S. 117–128 | Nabo­kov, Vla­di­mir: Strong Opi­ni­ons. New York: Vin­tage 1973

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