Ein unmoralisches Angebot

by Bücherstadt Kurier

„Das ist es, das da hin­ten. Das Objek­tiv, das ich bestellt habe!“
Ich weiß nicht, was ich süßer finde, den Enthu­si­as­mus und die Auf­re­gung in dei­ner Stimme oder das Leuch­ten dei­ner Augen. Jeden­falls folge ich lächelnd mit Bli­cken dei­nem aus­ge­streck­ten Arm und schaue mir besag­tes Objek­tiv an. Nicht, dass ich es unin­ter­es­sant fin­den würde, doch ich kann mich nicht wirk­lich auf das Ding da in der Aus­lage kon­zen­trie­ren. Ich finde es viel span­nen­der, dir zuzu­hö­ren wie du so über deine Lei­den­schaft, das Foto­gra­fie­ren, sprichst. Als ich mir dann doch zumin­dest das Preis­schild ansehe, bist du schon beim nächs­ten Schau­fens­ter und hüpfst davor auf und ab wie ein klei­nes Kind. „Komm, das musst du dir ansehen...!“
„Himm­lisch...“, denke ich nur, „...und so was von adorable.“
Als ich näher trete, zeigst du auf ein rie­si­ges Objek­tiv: „Das wäre natür­lich der Gip­fel mei­ner Träume!!! Doch so viel Geld werde ich wohl nie übrig haben...“
Ich sehe auf das Preis­schild. 7.000 Euro? Das kann doch wohl nur ein Witz sein, oder? Ich meine, das Ding ist schon ziem­lich groß, aber 7.000 Euro...?
„Kommst du?“, fragst du mich, dich fünf Meter wei­ter nach mir umdrehend.
Ich nicke, noch einen letz­ten Blick in die Aus­lage werfend.

Keine zehn Minu­ten spä­ter ste­hen wir schon am Bahn­hof. Ich begleite dich noch zur Gleise, wo dein Zug schon war­tet. An der Treppe ver­ab­schie­den wir uns. Kaum habe ich dei­nen Duft nicht mehr um mich herum, ist es, als erwa­che ich aus einer Trance, als falle ein Zau­ber­bann von mir ab und eine leise Stimme flüs­tere trau­rig in mein Ohr: „Will­kom­men zurück in der rea­len Welt!“
Ich sehe dir nach wie du Rich­tung Zug gehst.
„Dreht er sich um, gibst du ihm noch eine Chance. Ansons­ten war’s das...“ War das jetzt diese Stimme oder stammte das von mir? Ich habe nicht die lei­seste Ahnung. Spielt das über­haupt eine Rolle? Es fühlt sich rich­tig an. Mit klop­fen­dem Her­zen sehe ich dir nach, hof­fend, ban­gend. Ich sehe, wie du auf den Knopf drückst, der die Zug­tür öffnet.
„Jetzt oder nie...“, denke ich.
Doch du steigst ein ohne dich noch­mals umzudrehen.
Das war’s dann also.
Eine Erkennt­nis, die mich ganze neun Monate gekos­tet hat.
Und die mich jetzt wie ein Schlag trifft.
Natür­lich! Warum bin ich da nicht frü­her drauf gekommen?
Ich weiß schon eine ganze Weile, dass das mit uns nicht funk­tio­nie­ren kann. Wie lange? Ich würde mal schät­zen, seit etwa fünf Monaten.
Warum ich nicht damals schon einen Schluss­strich gezo­gen und das Kapi­tel been­det habe? Ich nehme an, weil ich nicht sehen wollte, wie es um uns stand. Ich habe doch so viel Hoff­nung in dich gesetzt. Wahr­schein­lich zu viel. Wie­der mal.
Liegt es an dir oder an mir? Braucht es über­haupt einen Sün­den­bock? Ich bin so verwirrt.
Ich wünschte nur, du wür­dest füh­len, was ich fühle und wis­sen, wie du auf mich wirkst. Du ver­setzt mich mehr­mals. Du kommst zu spät. Du sagst: „Ich bin nicht der Mensch, der bei irgend­et­was dabei bleibt.“ Du gibst Ver­spre­chen, aber hältst sie nicht ein. Leere Worte. Auf die Taten habe ich zu lange gewar­tet. Sie wer­den nicht kom­men. Du hat­test nicht nur eine Chance.
Oh, wie habe ich dich doch ver­tei­digt. Gegen alle und die ganze Welt. Du warst mein gro­ßes Geheim­nis, mein Schatz, den ich behü­tet habe. Die Aus­re­den für dich gehen mir nie aus. Auch jetzt noch ver­su­che ich dich zu ver­ste­hen, dein Ver­hal­ten zu recht­fer­ti­gen. Doch so habe ich nicht nur allen ande­ren etwas vor­ge­macht, son­dern auch mich selbst belo­gen und betro­gen. Ich liebe dich. Doch ich kann nicht mehr.

Als ich auf dem Heim­weg am Foto­ge­schäft vor­bei­komme und mein Blick per Zufall auf die­ses rie­sige, teure Objek­tiv fällt, kommt mir plötz­lich eine Idee. Eine geniale, wenn auch unmo­ra­li­sche Idee. Aber immer­hin weiß ich jetzt, wie ich dich ein für alle mal los­wer­den kann. Auch wenn ich das gar nicht will. Viel­leicht brauchst du nur eine wei­tere Chance. Viel­leicht änderst du deine Ein­stel­lung. Viel­leicht... Nein, Schluss mit den Ent­schul­di­gun­gen. Ich muss mich jetzt um mich kümmern.

Ich sehe die Szene schon vor mir: Es klin­gelt an dei­ner Tür. Du öff­nest. Vor dir steht der Post­bote mit einem Paket für dich. „Ach­tung zer­brech­lich.“ Du unter­schreibst und öff­nest das Paket noch auf der Tür­schwelle. Es ist das Objek­tiv, das du dir immer gewünscht hast, von dem du immer geträumt hast. Anbei fin­dest du einen Zet­tel, auf dem steht: Die ein­zige Bedin­gung: Ich will dich nie wiedersehen.
Dra­ma­tisch, aber effek­tiv. Denn du wirst dich nicht für mich ent­schei­den. Du hast andere Träume, die dir wich­ti­ger sind. Ich setze ja auch dar­auf, dass du dich nicht für mich ent­schei­dest. Das ist unmo­ra­lisch? Kann schon sein. Aber was ist dann erst mit der Tat­sa­che, dass du dich wei­gerst, auch nur die kleinste Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men und ich mir mein Herz selbst bre­chen musste? Das finde ich unmo­ra­lisch. Und dass ich dei­net­we­gen alle belü­gen musste und nun allein damit zurecht­kom­men muss.
Einen kur­zen Moment lang male ich mir aus, wie es wohl wäre, wenn du mei­nen gan­zen Plan ein­fach so über den Hau­fen wer­fen wür­dest. Wenn du dich doch gegen das Offen­sicht­li­che und für mich ent­schei­den wür­dest. Wie lange werde ich wohl dar­auf war­ten? Ich gebe dir eine, höchs­tens zwei Wochen. Das ist aber auch schon alles. Dann war’s das end­gül­tig. Keine Spiel­chen mehr, keine Chan­cen, kein War­ten, keine Selbst­ma­ni­pu­la­tion. „Bitte dreh dich zu mir um...“, bete ich, als ich das Paket aufgebe.

Ich stehe am Bahn­hof. Die Türen öff­nen sich. Ein klei­ner Junge, kaum drei Jahre alt, steigt aus und sieht mich an. Seine wusche­li­gen Haare und seine Augen erin­nern mich an dich. Ob du wohl so aus­ge­se­hen hast, als du ein Kind warst? Der Kleine hat hin­ter sei­nem Rücken etwas ver­steckt, das er nun her­vor­zieht. Es ist ein Spiel­zeug-Foto­ap­pa­rat. Ich fühle einen Stich in der Magen­ge­gend. Als seine Mut­ter den Klei­nen auch noch mit dei­nem Namen ruft, wird es mir der Zufälle zu viel. Blitz­schnell drehe ich mich um und flüchte.
Das Paket müsste vor einem Monat bei dir ange­kom­men sein...

Sil­via

Foto © Roman Pretsch

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