Ein Zimmer im „Angst“

by Worteweberin Annika

Das Grand­ho­tel ist ein wich­ti­ger Topos in der Lite­ra­tur des 19. und 20. Jahr­hun­derts, aber auch in der Gegen­warts­li­te­ra­tur spielt es noch eine Rolle. Gleich zwei Texte der letz­ten Jahre beschäf­ti­gen sich mit einem ganz bestim­men Hotel, des­sen Name bereits auf­hor­chen lässt. Die Rede ist vom Hotel Angst im ita­lie­ni­schen Bor­dig­hera, von dem sowohl Emma Gar­niers „Grand­ho­tel Angst“ als auch John von Düf­fels „Hotel Angst“ erzäh­len. Worte­we­be­rin Annika hat sich einen Zim­mer­schlüs­sel geschnappt und mit den bei­den Tex­ten eine Reise an die Riviera der Ver­gan­gen­heit unternommen.

Selt­same Mordfälle …

Für ihre Flit­ter­wo­chen rei­sen die junge Nell und ihr Mann Oli­ver im Jahr 1899 nach Bor­dig­hera. Nell träumt von Sonne, Luxus und Zwei­sam­keit. Doch die anfäng­li­che Freude wird schnell getrübt – irgend­was geht vor im „Angst“. Angeb­lich soll hier die Vor­be­sit­ze­rin des Grund­stücks spu­ken, und noch dazu soll Nell ihr unge­wöhn­lich ähn­lich­se­hen! Nach­ein­an­der gesche­hen zwei Morde. Der Ver­dacht fällt auf die schlaf­wan­delnde Nell, die nicht weiß, wem sie eigent­lich noch trauen kann.
In Emma Gar­niers Krimi geht es um Intri­gen, Geheim­nisse und die Psy­cho­lo­gie der Cha­rak­tere. Dass die Ich-Erzäh­le­rin dabei viel­leicht etwas zu oft dar­über sin­niert, was sie alles „ver­drängt“ habe, ist ver­zeih­lich, denn so kommt Span­nung auf. Zudem bleibt durch die Erzähl­per­spek­tive prak­tisch bis zum Schluss unklar, was wirk­lich vor­ge­fal­len ist, sodass man sich beim Lesen nie in Sicher­heit wie­gen kann. Fans von Gru­sel­ge­schich­ten wer­den hier bekom­men, was sie suchen – und das auch noch an einem his­to­ri­schen Schau­platz mit viel­ver­spre­chen­dem Namen.

… und eine Vater-Sohn-Geschichte

Viele Jahre spä­ter setzt John von Düf­fels Erzäh­lung „Hotel Angst“ ein. Inzwi­schen eine Ruine, ist das „Angst“ lange nach sei­ner Schlie­ßung Pro­jek­ti­ons­flä­che für die Träume eines Vaters und sei­nes Soh­nes. Der Vater des Prot­ago­nis­ten träumt davon, das Hotel wie­der­zu­eröff­nen, um an die alten Zei­ten anzu­knüp­fen, aller­dings als „ein Hotel für die Ver­gan­gen­heit.“ In sei­ner Fan­ta­sie ist er längst in das Hotel ein­ge­zo­gen, des­sen Wie­der­auf­bau immer unrea­lis­ti­scher gewor­den ist. Spä­ter kon­zi­piert er statt­des­sen einen Roman über das Hotel, den er aller­dings nie schreibt. Nach dem Tod sei­nes Vaters kehrt der Prot­ago­nist nach Bor­dig­hera zurück und ver­sucht mehr über die Pläne und Träume sei­nes Vaters zu erfahren.

Trotz der Kürze von gut 100 Sei­ten ist „Hotel Angst“ bemer­kens­wert atmo­sphä­risch, von Düf­fel ver­steht sich auf sprach­li­che Bil­der und dar­auf, zu irri­tie­ren. Beson­ders unge­wöhn­lich dabei ist die Du-Erzäh­lung, die anfangs rät­sel­haft wirkt. Denk­bar ist, dass das Ich der Erzäh­lung der Vater des Prot­ago­nis­ten ist, der sei­nen Sohn bei sei­ner Reise in die Ver­gan­gen­heit beglei­tet – natür­lich pos­tum und gedank­lich. Neben der Vater-Sohn-Bezie­hung setzt er einen Fokus auf die Geschichte des Grand­ho­tels und lässt Vater und Sohn Blü­te­zeit und Ver­fall des „Angst“ sowie des Ört­chens an der Riviera rekonstruieren.

„Eine Tita­nic des Festlands“

Seit dem soge­nann­ten spa­cial turn in der Geis­tes­wis­sen­schaft spie­len Orte für die Ana­lyse gesell­schaft­li­cher und auch lite­ra­ri­scher Phä­no­mene eine Rolle. In die­sem Kon­text ist zum Bei­spiel der von Michel Fou­cault ent­wi­ckelte Begriff der Hete­ro­to­pie bedeu­tend, mit dem lokale Gegen­ent­würfe zur Gesell­schaft bezeich­net wer­den. Auch Hotels wer­den oft als sol­che Gegen­ent­würfe betrach­tet. In bei­den Tex­ten über das „Grand­ho­tel Angst“ fin­den sich Hin­weise dar­auf, dass die Welt inner­halb der Hotel­mau­ern anders läuft als außer­halb: Hier wer­den Fas­ten­re­geln gebro­chen, um schwel­ge­ri­sche Feste zu fei­ern, hier geht der Adel sei­nem Unter­gang aus dem Weg und ver­sucht sogar, den Kriegs­aus­bruch zu igno­rie­ren. So heißt es bei John von Düffel:

„Das Hotel Angst war ihre Tita­nic, es war die Herr­lich­keit und Weihe ihres Unter­gangs, es war das Wrack, mit dem sie lang­sam, aber unaus­weich­lich in die Tiefe san­ken, auf den Grund der Ver­gan­gen­heit, von dem es heute noch auf­ragt bis in unsere Zeit, eine Tita­nic des Fest­lan­des, erha­ben in ihrem Unheil, gla­mou­rös in ihrem Ver­fall. Und so steht das Hotel noch immer da, der unter­ge­gan­gene Traum einer Epo­che.“ (Hotel Angst, S. 13–14)

In Gar­niers Roman ist das „Angst“ ein Tum­mel­platz der Rei­chen und Schö­nen, wo es sogar schon flie­ßen­des Was­ser und auch sonst aller­hand Luxus gibt. Gleich­zei­tig ist es aber auch geheim­nis­um­wo­ben. Kann es sein, dass es hier spukt? Wäh­rend sich in von Düf­fels Erzäh­lung noch immer Spuk­ge­schich­ten ums „Angst“ ran­ken, geht es dem Prot­ago­nis­ten und sei­nem Vater darum, den Glanz des „Angst“ zurück in die Gegen­wart zu holen.

Das Grand­ho­tel „Angst“ gab es wirk­lich, aller­dings hat der Name ursprüng­lich nichts mit Gru­sel­ge­schich­ten zu tun, son­dern ist der Nach­name des Grün­ders Adolf Angst. Um die Jahr­hun­dert­wende flu­o­rier­ten über­all in Europa die Grand­ho­tels und erleb­ten dann nach dem zwei­ten Welt­krieg ihren lang­sa­men Ver­fall. Das „Angst“ ist auch heute noch eine Ruine, die über dem Städt­chen Bor­dig­hera thront, jedoch gibt es immer wie­der Über­le­gun­gen dazu, es auf­er­ste­hen zu lassen.

Grand­ho­tel Angst. Emma Gar­nier. Pen­guin. 2017.
Hotel Angst. John von Düf­fel. dtv. 2007.

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1 comment

Heike Koschyk alias Emma Garnier im Interview – Bücherstadt Kurier 8. Dezember 2017 - 18:01

[…] ist der his­to­ri­sche Thril­ler „Grand­ho­tel Angst“ bei Pen­gu­in er­schie­nen. Dass die Au­to­rin Hei­ke Ko­s­chyk ali­as Emma Garnier […]

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