Eine Großmutter zum Gruseln

by Worteweberin Annika

Groß­müt­ter sind ver­schie­den, doch die meis­ten von uns wer­den wohl froh sein, dass ihre Exem­plare anders sind als die­je­nige in Alina Bron­skys neuem Roman „Der Zopf mei­ner Groß­mutter“. Worte­we­be­rin Annika hat die herrsch­süch­tige Pedan­tin den­noch ins Herz geschlossen.

Man kennt das ja: Groß­el­tern lie­ben es, ihre Enkel zu ver­wöh­nen. Maxims Groß­mutter ist da anders. Sie hält ihren Enkel für gene­rell kaum lebens­fä­hig und beschränkt, setzt ihm daher nur pürier­tes Gemüse vor, damit er sich nicht ver­schluckt – zu sei­nem Geburts­tag steht sie trotz­dem stun­den­lang lamen­tie­rend in der Küche, um eine Torte zu backen, die der Junge dann auf kei­nen Fall anrüh­ren darf.

„Die Groß­mutter liebte Eis. Wenn sie sich eins kaufte und ich dabei war, ließ sie mich manch­mal die Waf­fel hal­ten, wäh­rend sie ihre Hände mit Feucht­tü­chern des­in­fi­zierte. Doch als der Ver­käu­fer mich jetzt per­sön­lich nach der gewünsch­ten Sorte fragte, schwirrte mir der Kopf.“ (S. 64)

Um mit ihrem Enkel bei einem anstän­di­gen Arzt vor­stel­lig zu wer­den, sorgt die Oma dafür, dass die nicht-jüdi­sche Fami­lie als jüdi­sche Kon­tin­gent­flücht­linge aus Russ­land in die deut­sche Pro­vinz kommt. Doch die deut­schen Ärzte sind so unfä­hig, dass sie den Jun­gen für „ganz nor­mal“ hal­ten – unbegreiflich!

Ein Dop­pel­le­ben

Der Groß­va­ter, ver­stummt vor dem Rede­schwall sei­ner Frau, bringt wei­te­res Chaos über die Fami­lie. Er ver­liebt sich in die allein­er­zie­hende Migran­tin Nina, führt bald ein Dop­pel­le­ben, das Maxim schnell durch­schaut. Als dar­aus ein Kind ent­steht, bleibt auch der Groß­mutter nicht mehr ver­bor­gen, dass sie nur noch die zweite Geige spielt. Wie damit umge­hen? Und wie soll sie über­haupt in Deutsch­land zurecht­kom­men, wo sie doch nie­mand außer ihrem Enkel wirk­lich zu brau­chen scheint? Und auch der ist ja viel­leicht doch nicht so schlimm auf den Kopf gefal­len wie gedacht… Die Groß­mutter eröff­net kur­zer­hand eine Tanz­schule, doch auch die kann sie nicht lang­fris­tig glück­lich machen – dafür jam­mert die alte Frau aber auch ein­fach zu gerne.

„‚Du hast es viel­leicht gehofft, aber die Alte ist noch nicht tot. Ich werde noch lange leben, hörst du? Län­ger als ihr alle zusam­men.‘“ (S. 214)

Matrone mit Herz

Da Maxim als Ich-Erzäh­ler über die klei­nen und gro­ßen Grau­sam­kei­ten sei­nes All­tags erzählt, erfah­ren die Lese­rin­nen und Leser schnell, dass die Ärzte natür­lich eigent­lich Recht haben. Er ist ein auf­ge­weck­ter, intel­li­gen­ter Junge, mit dem man Mit­leid ent­wi­ckelt. Doch ganz krumm neh­men kann man der Groß­mutter ihren matri­ar­cha­li­schen Feld­zug schon alleine des­we­gen nicht, weil der Erzäh­ler voll Zärt­lich­keit über die alte Dame spricht. Wäh­rend mir beim Lesen die Groß­mutter immer mehr ans Herz wuchs, erzählt Bron­sky doch von der Abna­be­lung, die mit einem abge­schnit­te­nen Zopf ihren Höhe­punkt fin­det. Auch wenn das Ende damit fol­ge­rich­tig ist, hat es mich doch etwas ent­täuscht zurückgelassen.

„Der Zopf mei­ner Groß­mutter“ ist ein Roman mit Herz und viel Witz, der beson­ders durch seine schrä­gen Dia­loge über­zeugt und von den skur­ri­len Figu­ren lebt. Wie auch Bron­skys letz­ter Roman „Baba Dun­jas letzte Liebe“ erzählt die­ser eine eigent­lich sehr trau­rige Geschichte und bringt Lese­rin­nen und Leser trotz­dem zum Schmunzeln.

Der Zopf mei­ner Groß­mutter. Alina Bron­sky. Kie­pen­heuer & Witsch. 2019.

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