„Eine Insel, nur von Gras überzogen, und ein Haus darauf“

by Zeichensetzerin Alexa

Die sehr kleine, islän­di­sche Insel „Grimsey“ fun­giert als Titel der im Auf­bau Ver­lag erschie­ne­nen Novelle von Ulrich Schacht. Aber wel­che Rolle spielt sie hier­bei? Bevor der Autor am 8. Novem­ber im Rah­men der „Lite­ra­Tour Nord“ im Lite­ra­tur­café Ambi­ente in Bre­men liest, hat sich Zei­chen­set­ze­rin Alexa vorab mit dem Prot­ago­nis­ten auf eine Suche nach Ant­wor­ten begeben.

Eine geheim­nis­volle Insel

Es beginnt mit dem Start einer „win­zi­gen Maschine“, einem Flug­ge­rät. Prot­ago­nist „Er“ ist ein Mann um die fünf­zig, Foto­graf und unter­wegs für eine Repor­tage. Einen Tag soll er auf Grimsey ver­brin­gen, um dort Fotos zu machen, einer Insel, die nur wenige Kilo­me­ter Länge und Breite misst. Nicht ver­wun­der­lich ist es daher, dass der Prot­ago­nist am Ende sei­ner Recher­che­reise den Groß­teil der Insel gese­hen hat. Was ihm bleibt, sind Bil­der. Und Erin­ne­run­gen. Aber nicht nur von die­ser Reise, son­dern auch von längst ver­gan­ge­nen Zei­ten, auf­ge­rüt­telt durch die Bege­ben­hei­ten auf die­ser Insel.
Schacht_Grimsey_rzU1.indd„Er“, des­sen Namen man bis zum Ende nicht erfährt, sieht die Natur durch die Augen eines Foto­gra­fen: Über­all fin­den sich Bil­der, die er fest­hält, ohne sie vor­her zu pla­nen. „(…) aber schon beim Her­an­ho­len des Wun­ders durch das Tele­ob­jek­tiv spürte er, daß seine Augen etwas ande­res sahen als die Kamera.“
Er nimmt die Natur wahr, die Land­schaft die­ser Insel, foto­gra­fiert Vögel: See­vö­gel, Möwen, Alk­vö­gel. Eigent­lich ekelt er sich vor die­sen Tie­ren, aber die Möwen fas­zi­nie­ren ihn. Umso schreck­li­cher erscheint die Tat­sa­che, dass der Prot­ago­nist immer häu­fi­ger tote Möwen auf­fin­det, je län­ger er sich auf der Insel befindet.

Wie­der­ho­lun­gen und Symbolik

Auf­fäl­lig sind beim Lesen Sym­bo­lik und Wie­der­ho­lung. Immer wie­der begeg­net einem die Farbe Grün: Es ist die Rede von einem grü­nen Him­mel, von grü­nem Gras und grü­nen Pal­men, von mint­grün gestri­che­nen Häu­sern, dun­kel­grü­nen Gum­mi­stie­feln und gift­grü­nem Dickicht. Über­haupt schei­nen Far­ben in die­sem Werk eine wich­tige Rolle zu spie­len, wenn Gegen­stände und Land­schafts­bil­der beschrie­ben wer­den. Zu den wie­der­keh­ren­den Moti­ven gehö­ren die toten Möwen, über die sich der Prot­ago­nist Gedan­ken macht, sobald er ihnen begeg­net. So wer­den The­men wie Krieg und Frie­den ange­ris­sen, Ver­gäng­lich­keit und Tod, aber auch Ästhe­tik. Was hat es nur mit die­sen Möwen auf sich? Die Ant­wort ist nahe­lie­gend, doch sobald das Rät­sel auf­ge­löst wird, erscheint sie einem zu einfach.
Far­ben, Möwen, Bil­der sind die lei­ten­den Ele­mente die­ses Wer­kes. Doch die Wie­der­ho­lung wird auch sprach­lich deut­lich: durch den wie­der­keh­ren­den Satz „Eine Insel, nur von Gras über­zo­gen, und ein Haus dar­auf, in das ich gehen kann oder aus dem ich komme, um vor dem Meer zu ste­hen.“, durch sich wie­der­ho­lende Gedan­ken, glei­che Aus­drucks­wei­sen in der Spra­che und sehr ähn­lich geschrie­bene Textpassagen.

Der Satz im Satz im Satz

Schach­tel­sätze sind wohl nichts auf­re­gend Neues. Gerade im Bereich der „anspruchs­vol­len Lite­ra­tur“ fin­det sich so man­ches Werk, das den Anspruch durch ver­schach­telte Sätze erhöht. Meist ist das aber auch das ein­zig Anspruchs­volle am Gesamt­werk. Ulrich Schachts Schreib­stil scheint hier jedoch genau rich­tig zu sein: Es ent­steht ein Gefühl von geheim­nis­vol­ler Phan­tas­tik, einem dich­ten Nebel gleich, der sich über die Insel legt und die Wahr­neh­mung trübt. Hier­durch wird der Ein­druck erweckt, nicht alles, was sich ereig­net, hätte sich auch so zuge­tra­gen. Begeg­net „Er“ den Möwen wirk­lich oder bil­det er sich das alles nur ein? Warum erscheint einem die Atmo­sphäre am Hafen so geisterhaft?
Es wirkt, als seien selbst die Bege­ben­hei­ten auf der Insel wie eine Erin­ne­rung, weit ent­fernt von der Leser­schaft, irgendwo da, wo die Zeit ste­hen geblie­ben ist. Die Sätze lesen sich flie­ßend, sobald man das rich­tige Tempo gefun­den hat, doch ein­fach ist der Zugang zum Text nicht – man muss viel Kon­zen­tra­tion und Geduld auf­brin­gen, kleine Pau­sen ein­le­gen und hin und wie­der ein­zelne Text­stel­len noch ein­mal lesen.

Auf der Suche

Mit „Grimsey“ begibt man sich auf die Suche – nach den wah­ren Grün­den für die Rück­kehr des Prot­ago­nis­ten, nach Bil­dern, die die Insel aus­ma­chen und nach dem Ziel – stets mit der Frage im Hin­ter­kopf, wor­auf das alles hin­aus­lau­fen soll. Bis zum Ende muss man sich einem Wirr­warr von Gedan­ken und Erin­ne­run­gen stel­len, die Hand­lung steht dabei im Hin­ter­grund. Auf 189 Sei­ten wird so man­ches Thema ange­ris­sen, das für Dis­kus­si­ons­stoff sor­gen kann, dar­un­ter inter­tex­tu­elle Ver­weise, die gro­ßen lite­ra­ri­schen The­men (Liebe, Krieg, Tod) und Moral- und Wer­te­vor­stel­lun­gen. „Grimsey“ hat vie­les zu bie­ten, wenn man sich auf den Schreib- und Erzähl­stil ein­las­sen kann.

Grimsey. Ulrich Schacht. Auf­bau Ver­lag. 2015.

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