Eine Reise ohne Wiederkehr

by Bücherstadt Kurier

Das Ver­schwin­den der Mör­ser­schiffe HMS Ter­ror und HMS Ere­bus 1846 war und bleibt bis heute ein gro­ßes his­to­ri­sches Rät­sel. Auch in den Medien wurde sich die­ses Geheim­nis­ses ange­nom­men. Mit dem Roman „Ter­ror“ aus Dan Sim­mons‘ Feder liegt eine wei­tere Umset­zung des The­mas vor. Bücher­horte­rin Clau­dia begeis­tert sich für geheim­nis­volle und schau­rige Aben­teuer und hat sich daher ein­ge­hend mit dem Roman beschäftigt.

Es ist tiefe Nacht, als Cro­zier an Deck des Schif­fes tritt, um sei­nen übli­chen Kon­troll­gang durch­zu­füh­ren. In sei­nen aus meh­re­ren Schich­ten bestehen­den Kalt­wet­ter­plün­nen frie­rend, lässt er sei­nen Blick zum wie­der­hol­ten Male über die zu meh­re­ren Fuß dickem Eis erstarrte, end­lose Was­ser­ober­flä­che kreisen.
Unge­ach­tet der 45 Grad Minus mit fal­len­der Ten­denz geht er sei­ner Pflicht nach. Diese Nacht scheint nie­mals enden zu wol­len und der ark­ti­sche Win­ter kein Ende zu neh­men. Seit dem Ein­set­zen des Frosts 1846 hat sich das Schiff nicht einen Zen­ti­me­ter bewegt, denn die Ark­tis ist uner­bitt­lich in ihren Bemü­hun­gen, sie alle umzu­brin­gen. Sie einen nach dem ande­ren aus­zu­hun­gern, in den Wahn­sinn zu trei­ben oder in Gestalt eines rie­si­gen wei­ßen Unge­heu­ers zu rei­ßen, das sich von unten in den Schiffs­rumpf zu boh­ren versucht.

Fran­cis Raw­don Moira Cro­zier ist der Kapi­tän des Mör­ser­schif­fes HMS Ter­ror und hat den Befehl über eine Mann­schaft von 62 Mann, die einer 129-köp­fi­gen Expe­di­tion zur erst­ma­li­gen Durch­fah­rung der Nord­west­pas­sage in der Ant­ark­tis ange­hört. Zusam­men mit ihrem Flagg­schiff HMS Ere­bus und Sir John Fran­k­lin als Kapi­tän und Lei­ter der Unter­neh­mung sol­len die bei­den moderns­ten Schiffe ihrer Zeit im Auf­trag der Royal Navy als erste die­sen sagen­um­wo­be­nen Weg nach Asien auf­de­cken. Die Schiffe ver­schwin­den, und mit ihnen ihre Besat­zun­gen. Kei­ner der Män­ner wird je wie­der lebend gesehen.

Das Ver­schwin­den der moderns­ten Schiffe ihrer Zeit

Die Expe­di­tion löste in den nach­fol­gen­den Jah­ren meh­rere Such­ak­tio­nen aus und gilt bis heute als ein höchst inter­es­san­tes For­schungs­thema. Bis in die 1980er Jahre unter­suchte man die ent­deck­ten Über­reste der Expe­di­tion, um zu rekon­stru­ie­ren, was damals gesche­hen sein mochte. Erst 2014 wurde das Wrack der aus­ein­an­der­ge­bro­che­nen Ere­bus gefun­den, wäh­rend das der Ter­ror noch immer ver­schwun­den bleibt. Inso­fern wid­met sich Dan Sim­mons in „Ter­ror“ erneut his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und schmückt diese auf gekonnte Art und Weise aus.
Dem Zeit­geist und der Situa­tion ent­spre­chend beschreibt Sim­mons die Umge­bung und die Her­kunft der Cha­rak­tere. Er beschränkt sich dabei nicht nur auf die bei­den Schiffe und unzäh­lige Fach­be­griffe aus der Schiff­fahrt Groß­bri­tan­ni­ens und Irlands. Auch das Leben und die Mytho­lo­gie der Inuit spie­len gegen Ende des Romans eine große Rolle.

Aus wech­seln­den Per­spek­ti­ven von unter­schied­li­chen Män­nern bei­der Mann­schaf­ten wird der Über­le­bens­kampf der Gruppe geschil­dert. Eine beson­dere Posi­tion neh­men vor allem Cro­zier und der Assis­tenz­arzt Harry D.S. Good­sir von der Ere­bus ein, aus deren Sicht beson­ders oft und weit bis zum Ende des Romans noch berich­tet wird. Im Falle von Good­sir in per­sön­lich gestal­te­ten Tage­buch­ein­trä­gen, die von der Schreib­weise sogar an die dama­lige Zeit ange­passt wur­den, um noch ein­mal mehr ein Gefühl von Authen­ti­zi­tät zu erzeu­gen. Sim­mons hält sich dabei an die soweit bekann­ten his­to­ri­schen Fak­ten. So ent­spre­chen die Namen der Män­ner der über­lie­fer­ten Mann­schafts­auf­stel­lung in den Mus­te­rungs­rol­len von 1845. Auch die im Roman beschrie­bene Rei­se­route bis zum end­gül­ti­gen Still­stand der Schiffe vor King-Wil­liam Land ent­spricht der For­schungs­mei­nung auf­grund der, zuge­ge­be­ner­ma­ßen dürf­ti­gen, Quellenlage.

Wirk­lich gute Unter­hal­tung für ver­schneite Winterabende

Der Roman zählt mehr als statt­li­che 900 Sei­ten und man mag sich ange­sichts der Hand­lungs­grund­lage wun­dern, ob Sim­mons die Sei­ten sinn­voll genutzt oder den Roman künst­lich in die Länge gezo­gen hat. Die Geschichte erzählt zunächst mal in täg­li­chen, mal wöchent­li­chen Abstän­den von den Gescheh­nis­sen auf den Schif­fen. Die wich­tigs­ten Cha­rak­tere wer­den ein­ge­führt und mit einer jeweils nach­voll­zieh­ba­ren eige­nen Geschichte vor­ge­stellt – jeder hat eine Ver­gan­gen­heit, die nicht nur den Cha­rak­ter selbst, son­dern auch sein wei­te­res Han­deln über­zeu­gend wir­ken lässt. Die Bezie­hun­gen und die Rang­ord­nung inner­halb der Mann­schaf­ten wird ver­deut­licht: Die Leser haben rela­tiv schnell ein Bild davon, wie das all­täg­li­che Zusam­men­le­ben der Män­ner abge­lau­fen sein muss und erhält neben­her noch Aus­künfte über den Auf­bau der Schiffe und die unter­schied­li­chen Rang­po­si­tio­nen an Bord.

Nichts davon wirkt hier fehl am Platz oder auf­ge­bla­sen. Man liest viel­mehr mit wach­sen­dem Inter­esse wei­ter und kann sich sehr gut in die Geschichte ein­füh­len. Durch die unheim­li­che weiße Bes­tie, die er immer wie­der im Dun­keln um die Schiffe strei­fen und näher­kom­men lässt, ver­schärft Sim­mons die Situa­tion noch und zieht die Span­nungs­schraube immer wie­der in gebüh­ren­den Abstän­den an. Die Gefahr ist nicht immer sicht­bar und liegt auch nicht immer im Fokus der Hand­lung. Denn die größ­ten Pro­bleme erwach­sen im End­ef­fekt doch aus dem Inne­ren der Mann­schaf­ten und den Gege­ben­hei­ten an Bord im Zusam­men­spiel mit der Grau­sam­keit der Natur...

Sim­mons legt mit „Ter­ror“ einen aus­ge­reif­ten his­to­ri­schen Aben­teu­er­ro­man vor, der eine Prise Hor­ror und Mytho­lo­gie beinhal­tet. Der his­to­ri­sche Hin­ter­grund und die Wahr­schein­lich­keit, dass einige Dinge wirk­lich so wie geschil­dert abge­lau­fen sein könn­ten, ver­lei­hen dem Roman noch ein­mal das gewisse Etwas. Den geneig­ten Lesern steht ein Aben­teuer bevor, das sie selbst im war­men Ses­sel frös­teln und um das Schick­sal der Mann­schaf­ten ban­gen las­sen wird.

Ter­ror. Dan Sim­mons. Aus dem Ame­ri­ka­ni­schen von Fried­rich Mader. Heyne. 2008. 

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2 comments

Marco 23. Dezember 2016 - 10:10

Eins mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­bü­cher! Hat man erst ein­mal den Ein­stieg durch die anfangs ver­wir­ren­den Zeit­sprünge geschafft, lässt es einen nicht mehr los. Die Kom­bi­na­tion von his­to­ri­schen Fak­ten und Hor­ror- bzw. Mys­tery-Anlei­hen gelingt Sim­mons fan­tas­tisch. Ein­deu­tige Emp­feh­lung für all die­je­ni­gen, die eben­sol­che Gen­res mögen.

Klei­ner Tipp: „Drood“ von Dan Sim­mons – Hat mir sogar noch bes­ser gefallen.

Danke für die Buchvorstellung.

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Arina Molchan 13. Januar 2017 - 16:32

Macht Lust aufs Lesen! Ich mag genau so ein Set­ting und die Mischung aus Geschichte, Hor­ror und Mys­tery klingt nach einem tex­tu­el­len Leckerbissen.
Das Buch werde ich mir vor­mer­ken. Guter Artikel!
Danke!

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