Eines Tages, Baby

by Zeichensetzerin Alexa

Ein Still­le­ben, ein Nim­mer­land für eine Genera­tion, die nicht erwach­sen wer­den will, die sich nicht bewe­gen will.

Die Stimme einer gan­zen Generation?

Vor knapp einem Jahr prä­sen­tierte Julia Engel­mann ihren Poe­try Slam Text „One Day“ in Bie­le­feld. Gewon­nen hat sie an die­sem Abend nicht, doch schon bald löste die Schnee­ball­me­thode in sozia­len Netz­wer­ken eine Welle der Begeis­te­rung aus, die nicht mehr zu brem­sen ist. Ihr Text „One Day“ scheint den Nerv der Zeit getrof­fen und auf den Punkt gebracht zu haben, was andere Gleich­ge­sinnte füh­len und denken.

„Eines Tages, Baby, wer­den wir alt sein,
oh Baby, wer­den wir alt sein
und an all die Geschich­ten denken,
die wir hät­ten erzäh­len können.“

Es sind Zei­len, die einen nach­denk­lich stim­men, sei es in vor­ge­tra­ge­ner oder schrift­li­cher Form. Ein Kli­schee à la „Nutze den Tag!“ und „Träume dein Leben“. Sprich­wör­ter, Zei­len, Rede­wen­dun­gen, die man schon zig­mal gehört hat und die wohl gerade des­halb so abge­stumpft klin­gen. Ähn­lich könnte man auch das Buch „Eines Tages, Baby“ beschrei­ben. Denn auch wenn Engel­mann das Leben anpreist, die Men­schen zum Han­deln moti­viert, wirkt sie doch selbst etwas plan­los. Was will sie selbst? Wo möchte sie mal hin? Wel­che Geschich­ten will sie eines Tages erzäh­len? Es ist, als begäbe sich die Autorin mit die­sen Tex­ten auf eine Art Selbst­su­che. Dabei macht sie sich Gedan­ken über das Erwach­sen­wer­den, über Liebe, Bezie­hun­gen, das Leben und des­sen Sinn. So man­ches Mal denkt man beim Lesen: Ja, dar­über habe ich mir auch schon mal den Kopf zer­bro­chen. Und doch hat man das Gefühl: da fehlt noch was.

„Die Welt ist sehr absurd,
denkt der Gold­fisch fasziniert,
und so schaut er wei­ter zu,
was hin­term Glas passiert.“

Die Geschichte vom Gold­fisch zeigt die Per­spek­tive des Beob­ach­ters und Den­kers. Der Gold­fisch schwimmt in sei­nem Glas, betrach­tet die Welt dahin­ter und fin­det die Men­schen in ihrem Ver­hal­ten sehr komisch. Zum Bei­spiel, dass sie ihr Äuße­res auf­wer­ten wol­len, obwohl sie von inne­ren Wer­ten spre­chen, dass sie ihre „Gesich­ter anma­len, um natür­lich aus­zu­se­hen“. Er fin­det es ver­rückt, dass Men­schen vor dem Fern­se­her sit­zen und „ande­ren Men­schen beim Leben zugu­cken“. Für ihn sind die Men­schen und die Welt komisch, ver­rückt, para­dox. Doch auch wenn er kluge Gedan­ken äußert, steht er am Ende als doof da, nur weil er kein Lang­zeit­ge­dächt­nis hat. Es ist, als würde die Autorin die Gesell­schaft – trotz der nach­voll­zieh­ba­ren Kri­tik des Gold­fi­sches – ver­tei­di­gen, indem sie mit den Wor­ten abschließt: „Wenn er wüsste, was er wis­sen könnte von dem, was hin­term Glas abgeht.“ Armer, klei­ner Goldfisch…

„Und manch­mal,
wenn du inne­hältst für einen Augenblick,
um ein­mal kurz zwi­schen die Zei­len zu treten,
wenn statt in Gesich­ter du in Augen blickst,
hörst du sie flüstern,
die stil­len Poeten.“

Eine Chance gibt Engel­mann jedoch den stil­len Poe­ten, den Men­schen, die auf den ers­ten Blick viel­leicht nicht wie Poe­ten aus­se­hen: ein arro­gan­tes Mäd­chen, ein schlech­ter Schü­ler, ein gewalt­tä­ti­ger Typ. Hier zäh­len nur die inne­ren Werte. Ein glei­ches Recht für alle, was oft­mals eher nach Wunsch­den­ken klingt als Realität.

„Denn zwi­schen Ber­gen aus Gedan­ken und Flüssen,
in denen Fra­gen fließen,
da wo Träume so wie Tulpen
zag­haft zwi­schen Grä­sern sprießen,
wo sich die Sonne vor die Wol­ken schiebt,
wo man das Herz der Welt pul­sie­ren sieht,
da liegt – ein Stück wei­ter als das Nimmerland
und hin­ter einer Zeitraumwand –
ein Ort wie ein Stillleben.“

Die Texte sind poe­tisch, leicht, schwe­bend. Doch hin und wie­der stol­pert man über die ein oder andere Stelle, auch wenn man weiß, dass es sich um Poe­try Slam Texte han­delt. Eine bei­lie­gende CD als Hör­buch oder Hör­spiel hätte die Texte sicher noch auf­ge­wer­tet, die­ses erscheint jedoch erst Mitte Juli, unab­hän­gig vom Buch. Lei­der erweckt diese Tat­sa­che den Ein­druck, man wolle den Hype nut­zen und mög­lichst viel pro­du­zie­ren, um mög­lichst viel zu verkaufen.

Ach ja, der Hype…
Wäh­rend es frü­her um Kön­nen ging, geht es heute um Kon­sum. Das Inter­net bie­tet einem da schein­bar unbe­grenzte Mög­lich­kei­ten, sich öffent­lich zu prä­sen­tie­ren. Sicher­lich ein Grund, wes­halb unsere Gesell­schaft so etwas wie den Hype braucht. Dinge müs­sen gehy­ped wer­den, um aus der unun­ter­bro­che­nen Reiz­über­flu­tung her­vor­zu­ste­chen. Um bes­ser ver­kauft zu wer­den. Um ein Gesprächs­thema zu bie­ten. Meis­tens geht es dabei gar nicht mehr um Talent, son­dern um die Geschichte, das Mär­chen dahin­ter. Den Hype um diese junge Frau kann sich kaum einer erklä­ren, wis­sen doch viele, dass es neben ihr noch unzäh­lige andere Poe­try Slam­mer gibt, die es min­des­tens genauso gut kön­nen. Oder besser.

Julia Engel­mann sei – laut radio​bre​men​.de – „Die Stimme einer gan­zen Genera­tion“. Ich hoffe sehr, dass es nicht so ist. Denn das würde bedeu­ten, dass Nichts­tun ein Lebens­ge­fühl gewor­den ist, dass man sich mit Anfang zwan­zig der Ver­ant­wor­tung ent­zie­hen kann, weil man keine Lust auf Erwach­sen­wer­den hat. Dass man die Beob­ach­ter­rolle ein­nimmt und nur Dinge tut, auf die man Lust hat, weil das das „wahre Leben“ ist. Ein Still­le­ben, ein Nim­mer­land für eine Genera­tion, die nicht erwach­sen wer­den will, die sich nicht bewe­gen will. In „One Day“ for­dert Engel­mann einen dazu auf zu leben, etwas zu tun! Nur schade, dass sie sich selbst in ande­ren Tex­ten die­ses Buches wider­spricht, indem sie es für völ­lig in Ord­nung hält, nichts zu tun. Zu der hier beschrie­be­nen Genera­tion möchte ich jeden­falls nicht gehö­ren, auch wenn ich auf­grund mei­nes Alters (25 Jahre) wohl dazu­zähle. Aber mal schauen, wel­che Geschich­ten ich erzäh­len werde. Eines Tages...

Alexa

Titel: Eines Tages, Baby; Autorin: Julia Engel­mann; Ver­lag: Gold­mann; Erschei­nungs­jahr: 2014

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Elvira 9. Juli 2014 - 10:36

Nein, ich glaube nicht, dass Julia Engel­mann für eine ganze Genera­tion spricht. Denn diese eine Genera­tion gibt es nicht. Ihrer Genera­tion, der Genera­tion des Bil­dungs­bür­ger­tums, steht die Genera­tion der jun­gen Men­schen gegen­über, die keine Chan­cen bekom­men, deren Geschichte schon längst ab-geschrie­ben ist. Und selbst wenn wir bei Engel­manns Genera­tion blei­ben, halte ich diese für sehr beweg­lich, krea­tiv, ver­ant­wor­tungs­be­wusst. Ihr Text mag uns alle ange­spro­chen haben, nicht nur die Jun­gen, denn sie wis­sen (noch) nicht wie es sich anfühlt, wenn diese Pro­gnose ein­trifft, im Gegen­satz zu uns Alten, aber sie spricht defi­ni­tiv nicht für alle. Das zeigt doch schon Dein Text hier und die große Gemeinde jun­ger Blog­ge­rIn­nen, die sich so viel­fäl­tig, auch kri­tisch, einbringen.

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Ole F. 10. Juli 2014 - 18:22

Jawohl!
Bin alters­mä­ßig Teil die­ser Genera­tion, und lei­der auch ein win­zig biss­chen faul und ori­en­tie­rungs­los. Das Büch­lein kauf ich mir aber nicht. Kann kos­ten­los span­nen­dere Sachen in den Krit­zel­bü­chern von Freun­din­nen lesen. Muss auch nicht lesen, was einem in Pop­songs um die Ohren gehauen wird.
Bes­ten Gruß
Ole F.

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Elvira 10. Juli 2014 - 22:14

Meine bei­den Söhne sind jetzt 31 und 35 Jahre jung. Der Ältere wusste in Dei­nem Alter ganz genau, wie sein Lebens­plan aus­se­hen wird und hat sich strikt daran gehal­ten. Es war so eine Art Zwei­jah­res­plan. Abi, Stu­dium plus Aus­bil­dung, Kar­riere, Ver­lie­ben, Ver­lo­ben, Hei­ra­ten, Kind (ein wun­der­ba­res Mäd­chen), Haus, noch ein Kind (ein won­ne­prop­pi­ger klei­ner Ben­gel), glück­lich (das ist er auch wirk­lich). Der Jün­gere war so vol­ler Ideen und Ideale, hatte über­haupt nichts am Hut mit Kar­riere. Im Stu­dium (ohne wirk­li­che Zukunfts­per­spek­tive) über­raschte ihn die Liebe. Kind eins folgte schnell Kind zwei (die bei­den sind sooooo süß, ich kann mir gar nicht vor­stel­len, dass es sie nicht geben könnte), alles geriet aus den Fugen. Bache­lor geschafft, kurz vor dem Mas­ter Stu­dium geschmis­sen, Neu­an­fang. Du siehst, Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit trifft 50% der jun­gen Generation 😉

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