Es macht wütend!

by Zeilenschwimmerin Ronja

Michel Hou­el­le­becqs Romane lie­gen in fast allen Buch­hand­lun­gen aus. Beson­ders „Unter­wer­fung“ wurde in der Presse hoch und run­ter bespro­chen. Zei­len­schwim­me­rin Ronja wollte das Buch eigent­lich nie lesen, aber Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen füh­ren manch­mal auch an Orte, an die man nie gehen wollte.

So viel vor­weg: „Unter­wer­fung“ ist ein Roman. Das ist das Schmei­chel­haf­teste, was ich über die­ses Buch sagen kann, will und werde.

Frank­reich in eini­gen Jah­ren: Ein Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor, des­sen Name völ­lig irrele­vant ist (nen­nen wir ihn also ein­fach den Typ), ver­folgt die Wah­len. Am Ende bil­det eine mus­li­mi­sche Bru­der­schaft die Regie­rung. Was danach geschieht, lässt sich in etwa so zusam­men­fas­sen: Stell dir vor, das gesamte poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Sys­tem eines Lan­des wird inner­halb weni­ger Monate umge­krem­pelt und kei­nen interessiert’s.

Als meine Pro­fes­so­rin uns gesagt hat, wir müss­ten die­ses Semes­ter „Unter­wer­fung“ lesen, meinte sie: „Ich mag den Roman auch nicht. Aber ich muss ein­ge­ste­hen, dass er wenigs­tens gut geschrie­ben ist.“ Wenigs­tens etwas, dachte ich mir und habe die Lek­türe den­noch so lange vor mir her­ge­scho­ben wie es ging. Und dann musste ich auch noch fest­stel­len: Es ist nicht gut geschrie­ben. Es ist auch nicht schlecht geschrie­ben. Durch­schnitt trifft es per­fekt. Damit käme ich gut klar, wenn der Inhalt mich nicht so absto­ßen würde.

Punkt 1: Glaubwürdigkeit

Frank­reich wird von der mus­li­mi­schen Bru­der­schaft kom­plett ver­än­dert. Das Bil­dungs­sys­tem, der All­tag, das Fami­li­en­le­ben … Alle Frauen lau­fen plötz­lich nur noch in wei­ten Kla­mot­ten rum oder sind gänz­lich ver­hüllt. An den Uni­ver­si­tä­ten und Schu­len unter­rich­ten nur noch Mus­lime und die rest­li­chen Dozen­ten kon­ver­tie­ren oder wer­den raus­ge­wor­fen. Frauen wer­den aus dem Arbeits­le­ben ver­drängt usw. Über den Aspekt, wie der Islam hier dar­ge­stellt wird, möchte ich mich nicht wei­ter aus­las­sen. (Aller­dings erscheint mir der Vor­wurf der Isla­mo­pho­bie, der Hou­el­le­becq gemacht wird, nicht gänz­lich abwe­gig.) Statt­des­sen möchte ich auf etwas ande­res hin­wei­sen: Sol­che gra­vie­ren­den Ver­än­de­run­gen in einer Gesell­schaft rufen – so sollte man doch anneh­men – Pro­teste, Auf­stände und Ähn­li­ches hervor.
Es gibt nur zwei Stel­len in die­sem Roman, an denen so etwas geschieht. Aber diese Taten bezie­hen sich viel­mehr auf die Wahl­er­geb­nisse als auf das, was danach geschieht. Alle Ver­än­de­run­gen wer­den nicht nur ohne Wider­worte hin­ge­nom­men, son­dern auch aus­ge­führt. Das erscheint mir alles andere als rea­lis­tisch. Und noch dazu über­aus unspek­ta­ku­lär und langweilig.

Punkt 2: Die Hauptfigur

Der Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor alias der Typ ist ein Unsym­path. Er wech­selt stän­dig seine Freun­din­nen und scheint außer für sich selbst für nie­man­den Gefühle zu haben. Sowohl seine Mut­ter als auch sein Vater ster­ben und wäh­rend er wenigs­tens noch auf die Beer­di­gung sei­nes Vaters geht, denkt er nicht mal dar­über nach, das Grab sei­ner Mut­ter zu besu­chen. An einer ande­ren Stelle (wäh­rend der „Unru­hen“ nach der Wahl) steigt er an einer Tank­stelle, die kurz zuvor über­fal­len wurde, ein­fach über die Lei­che der Kas­sie­re­rin, nimmt sich ein Sand­wich und geht, ohne die Poli­zei oder einen Kran­ken­wa­gen anzu­ru­fen. Aber als ihm bewusst wird, dass er für den Moment keine Sexu­al­part­ne­rin hat, heult er stundenlang.

Noch dazu ist die­ser Typ völ­lig pas­siv. Alles, was er tut, tut er auf den Rat ande­rer Leute hin. Jemand sagt: „Eröffne ein Konto im Aus­land.“ Und das macht er. Jemand ande­res emp­fiehlt ihm, eine Weile die Stadt zu ver­las­sen. Auch das macht er. Dann ver­liert er seine Arbeit, aber er beschwert sich nicht. Er nimmt es ein­fach hin und tut rein gar nichts (außer ver­schie­dene Escort-Ser­vices „aus­zu­pro­bie­ren“ und über Dinge zu phi­lo­so­phie­ren, die größ­ten­teils gar nichts mit dem poli­ti­schen Gesche­hen zu tun haben), bis ihm am Ende sein Job wie­der ange­bo­ten wird und er zum Islam kon­ver­tiert (um sich a) sei­nen Job zu sichern und b) meh­rere Ehe­frauen zu haben).

Punkt 3: Das Frauenbild

Wäh­rend alle gro­ßen Medi­en­häu­ser abwech­selnd ankla­gend oder ver­tei­di­gend für und gegen Hou­el­le­becqs Dar­stel­lung des Islam plä­die­ren, fin­den sich nur wenige Arti­kel über das Frau­en­bild im Roman. Nicht nur wech­selt der Typ seine „Freun­din­nen“ (diese Bezeich­nung ist in die­sem Fall völ­lig unge­eig­net) regel­mä­ßig, es geht ihm bei allen Bezie­hun­gen nur ums Kör­per­li­che (inklu­sive der­ber Wort­wahl in eben­sol­chen Sze­nen). Dar­über hin­aus äußert er gegen­über einer Kol­le­gin völ­lig ohne Scham die Mei­nung, dass er Frauen eigent­lich nicht in der Berufs­welt sieht. Was es noch schlim­mer macht: Seine Kol­le­gin stört es nicht. Spä­ter ver­drängt die neue Regie­rung Frauen tat­säch­lich aus allen Beru­fen und – wie­der ein­mal! – stört es nie­man­den! Die Frauen machen ein­fach mit: Zie­hen sich pro­test­los an den Herd zurück und las­sen sich ver­hei­ra­ten, wie es den Her­ren gefällt! Wie nicht anders zu erwar­ten, ist das dem Typ sehr recht.

Die­sen Roman lesen zu müs­sen, war eine Zumu­tung. Wie man die­ses Buch als Satire lesen kann (diese Behaup­tung ist in man­chen Feuil­le­tons auf­ge­taucht), ist mir schlei­er­haft. Genauso kann ich nicht ver­ste­hen, wor­auf sich der Erfolg die­ses Romans grün­det. Warum ist „Unter­wer­fung“ von den Best­sel­ler­lis­ten jetzt deutsch­land­weit (und in ande­ren Län­dern ver­mut­lich auch) auf die Thea­ter­büh­nen gesprun­gen? Nur weil es gerade „den Puls der Zeit“ trifft? Wie traurig.

Alles, was bei mir nach die­ser Lek­türe bleibt, ist Unver­ständ­nis und gro­ßer Ärger über die ver­geu­dete Zeit und die Unge­rech­tig­keit der Bestsellerlisten.

Unter­wer­fung. Michel Hou­el­le­becq. Über­set­zung: Norma Cas­sau & Bernd Wilc­zek. Dumont Ver­lag. 2015.

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