Flucht nach vorne: Parada

by Satzhüterin Pia

LGBTQ im Bal­kan – kein leicht ver­dau­li­ches Thema. Der Film „Parada“ wagt die Flucht nach vorne und prä­sen­tiert das Thema derbe, wit­zig, grenz­über­schrei­tend, aber vor allem unend­lich kli­schee­haft. Gelun­gen? – Von Satz­hü­te­rin Pia

So viele Facet­ten wie beim Film „Parada“ kom­men Kino­gän­gern nicht so häu­fig vor die Augen. Wo soll ich also anfan­gen? Beim Inhalt oder den Figu­ren? Dem Humor oder all den Kli­schees? Der … mar­kan­ten Spra­che? Oder den vie­len Details und (poli­ti­schen) Refe­ren­zen? Eins ist klar: „Parada“ zeigt sich facet­ten­reich wie die LGBTQ-Com­mu­nity selbst – begon­nen beim Inhalt und eini­gen Figuren.

Rad­milo und Mirko könn­ten nicht glück­li­cher sein – aber auch kaum unter­schied­li­cher in der Auf­fas­sung, wie sie ihr Leben als schwu­les Paar in Ser­bien gestal­ten wol­len. Homo­pho­bie zeigt sich jeder­zeit und über­all und vor allem nicht leise. Gefähr­li­che Über­griffe auf schwule und les­bi­sche Per­so­nen sowie Sach­be­schä­di­gun­gen kom­men tag­täg­lich vor.

Rad­milo ist Tier­arzt und eine sanfte Seele, die gerne unter dem Radar bleibt und Pro­vo­ka­tio­nen ver­mei­den möchte. Hoch­zeits­pla­ner Mirko (oh, da haben wir ja schon unser ers­tes Kli­schee!) geht dage­gen auf’s Ganze und orga­ni­siert neben­bei die Pride Parade für Schwule und Les­ben in Bel­grad mit. So wer­den die bei­den eben­falls Ziel­scheibe über­grif­fi­ger Rechts­ra­di­ka­ler und ande­rer homo­pho­ber Ver­tre­ter der Spe­zies homo sapi­ens. Auch die Stadt­ver­wal­tung legt Mirko und sei­nen Mit­strei­te­rin­nen und Mit­strei­tern einige Hür­den in den Weg. Wer zum Bei­spiel soll den Teil­neh­men­den der Parade die eigene Sicher­heit gewähr­leis­ten? Nie­mand will den Job …

Und so kommt der Kriegs­ve­te­ran Limun ins Spiel – sei­nes Zei­chens homo­pho­bes Arsch­loch, Chef einer Secu­ri­ty­firma sowie ver­lobt mit Biserka, Schön­heits­sa­lon­be­sit­ze­rin und optisch die eigene beste Kun­din (hallo Kli­schee Num­mer zwei!). Biserka möchte unbe­dingt Mirko für die Pla­nung ihrer Hoch­zeit mit Limun gewin­nen … wäh­rend ihr Ver­lob­ter sich wenig begeis­tert zeigt, wenn man es so aus­drü­cken möchte: Er schlägt den schwu­len Hoch­zeits­pla­ner zusam­men. Die Hoch­zeit droht zu plat­zen. Doch die prot­zige Biserka hat in der Bezie­hung ein­deu­tig die Hosen an und stellt Limun vor voll­endete Tat­sa­chen. Es ent­steht also eine inter­es­sante Zusam­men­ar­beit, die zwi­schen­zeit­lich in einen regel­rech­ten Road­mo­vie aus­ar­tet, als Limun sich mit Rad­milo auf den Weg durch die rest­li­chen ehe­ma­li­gen Repu­bli­ken Jugo­sla­wi­ens macht, um Ver­bün­dete auf­zu­stö­bern. Natür­lich – und hier folgt Kli­schee Num­mer drei – in einem klei­nen, bon­bon­rosa Auto.

Bei den komi­schen Situa­tio­nen durch das rosa Auto und deren Insas­sen blei­ben die Road­mo­vie-Ele­mente nicht ste­hen – auch poli­ti­sche Refe­ren­zen kom­men nicht zu kurz, wenn Limun und Rad­milo alte Gangs­ter-Kum­pels aus Ver­bre­cher­zei­ten Limuns über­re­den, beim Schutz der Homo­se­xu­el­len zu hel­fen. Beson­ders die im Land sta­tio­nier­ten US-Sol­da­ten bekom­men ihr Fett weg, neh­men wir etwa die Neben­hand­lung mit einem mus­li­mi­schen Dro­gen­dea­ler, des­sen beste Kun­den US-Sol­da­ten sind.

Bei all den Kli­schees, Über­trei­bun­gen, all den Gags und komi­schen Figu­ren, drif­tet „Parada“ doch nie ins Lächer­li­che ab. Aber warum eigent­lich nicht? Ein schwu­ler Hoch­zeits­pla­ner, ein prol­li­ger Homo­phob mit Skin­head-Sohn und über­trie­ben prot­zi­ger Ver­lob­ten – es könnte ewig so wei­ter­ge­hen. Der ser­bi­sche Regis­seur und Dreh­buch­au­tor Srđan Dra­go­je­vić macht sich diese Arche­ty­pen, diese kli­schee­haf­ten Figu­ren (und vor allem ihre alles andere als poli­tisch kor­rekte Spra­che) zunutze, wie er in einem Inter­view mit SPON erzählte: „Als stu­dier­ter kli­ni­scher Psy­cho­loge glaube ich, dass man […] sie im Sinne von posi­ti­ver Mani­pu­la­tion dazu ein­set­zen kann, Vor­ur­teile abzu­bauen.“ Die erns­ten Ele­mente – und damit spre­che ich beson­ders vom Ende des Films – brin­gen die Zuschau­en­den in die Rea­li­tät zurück, sto­ßen uns mit der Nase wie­der auf den bit­te­ren Hin­ter­grund der lus­ti­gen und bun­ten Geschichte.

Der reich­li­che, vor allen Din­gen reich­lich grenz­über­schrei­tende und schwarze Humor funk­tio­niert – auch weil der Film über­ra­schend aus einer Nische her­aus­prescht: Es ist kei­ner die­ser west­li­chen Main­stream-Filme, die ein­fach nicht ohne den übli­chen Gut­mensch-Pathos aus­zu­kom­men scheinen.

„Parada“ schlug 2011 bom­bas­tisch ein. Die Tra­gi­ko­mö­die war in Europa – auch in den Bal­kan­staa­ten – immens erfolg­reich, was auf­grund des The­mas über­raschte. Dra­go­je­vić nennt es eine bewusste, künst­le­ri­sche Ent­schei­dung, den Film nicht als bier­ernste Arthouse-Pro­duk­tion umge­setzt zu haben – so „hätte man den Film in ein selbst­ge­schaf­fe­nes Ghetto gesteckt“, erzählt Dra­go­je­vić in dem Inter­view mit SPON anläss­lich der Ber­li­nale 2012. „Parada“ schaffte hier den Publi­kums­preis der Pan­orama-Reihe. Ich sage: Recht so!

Parada. Regie & Dreh­buch: Srđan Dra­go­je­vić. Dar­stel­ler: Nikola Kojo, Miloš Samolov, Goran Jev­tić u.a. Ser­bien, Kroa­tien, Slo­we­nien, Maze­do­nien, Mon­te­ne­gro. Neue Ver­sio­nen Film­ver­leih. 2011. 115 Minu­ten. FSK 12. 

Bil­der: Neue Ver­sio­nen Filmverleih

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Kun­ter­bunt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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