Frickelei und Fortschritt

by Bücherstadt Kurier

Wenn Terry Prat­chett einen neuen Schei­ben­welt-Roman ver­öf­fent­licht, kann man sich sicher sein, dass man ein Werk vol­ler Fan­ta­sie, Witz und Gesell­schafts­kri­tik in den Hän­den hält. Bei „Tol­ler Dampf vor­aus“ ist es nicht anders.

Wel­che Fort­schritte hat Ankh-Mor­pork nicht schon mit­er­lebt! Post­äm­ter, Papier­geld, Kla­cker­türme – Feucht von Lip­wig ist dabei und hat immer seine Halun­ken­hände im Spiel. Nicht anders ist es, als ein jun­ger Mann aus der Pro­vinz seine neu erfun­dene Dampf­ma­schine in die Groß­stadt bringt und aller­hand in Bewe­gung ver­setzt. Lord Veti­nari beauf­tragt Feucht, den Bau der Eisen­bahn zu über­wa­chen und zum Erfolg zu füh­ren. Denn plötz­lich eröff­nen sich über­all Chan­cen, Geld zu ver­die­nen: Han­dels­ware kann schnel­ler von A nach B trans­por­tiert wer­den und der Tou­ris­mus an der ste­tig wach­sen­den Eisen­bahn­stre­cke boomt.

Doch ganz so rosig ist die Situa­tion nicht: Weit weg in Über­wald orga­ni­sie­ren sich ultra­kon­ser­va­tive Split­ter­grup­pen der Zwerge. Nicht nur, dass sie die Eisen­bahn mit ter­ro­ris­ti­schen Anschlä­gen sabo­tie­ren, bald put­schen sie auch gegen den Zwer­gen­kö­nig. Kann Feucht mit­hilfe sei­ner Ver­bün­de­ten den Bür­ger­krieg Zwerg gegen Zwerg ver­hin­dern? Die Zeit läuft ihm davon, und die Schie­nen bis nach Über­wald las­sen sich nicht an einem Tag verlegen...

Mit „Tol­ler Dampf vor­aus“ ist Prat­chett erneut ein hoch­ak­tu­el­ler Roman gelun­gen. Zwar begeis­tert die Story nicht mehr ganz so sehr wie frü­here Werke von der Schei­ben­welt, aber den­noch sprüht sie vor Charme und Witz. Denn was Prat­chetts Romane so unwi­der­steh­lich macht, ist einer­seits die detail­rei­che, absurde und bunte Fan­ta­sy­welt und ande­rer­seits die skur­ri­len Figu­ren wie Veti­nari, Mumm oder Feucht von Lip­wig. So erscheint Feucht nach „Ab die Post“ und „Schöne Scheine“ in sei­nem drit­ten Aben­teuer etwas gezähmt, den­noch lebt die Geschichte durch sei­nen Risi­ko­reich­tum, der fast an „mehr Glück als Ver­stand“ ragt.

„Tol­ler Dampf vor­aus“ ist eine in sich abge­schlos­sene Geschichte. Trotz­dem scha­det es nicht, vor­her schon einige wei­tere Bücher von der Schei­ben­welt gele­sen zu haben. Denn nur so kommt man als Lese­rIn in den Genuss aller (poli­ti­scher und tech­ni­scher) Ent­wick­lun­gen und Run­ning Gags.

Gerade bei Terry Prat­chetts Büchern muss der Fokus auch auf die deut­sche Über­set­zung gelegt wer­den. So man­ches Wort­spiel kann selbst bei der spitz­fin­digs­ten Über­tra­gung nicht wie­der­ge­ge­ben wer­den (so bleibt den des Eng­li­schen Unkun­di­gen ver­bor­gen, was am „Forst von Effing“ so zwei­deu­tig ist). Aber die meis­ten Ein­deut­schun­gen der Namen und Orte sowie der Witze sind dem Über­set­zer gut gelun­gen. Die Spra­che kommt locker daher und unter­stützt die par­odis­tisch-schnodd­rige Art der Schei­ben­welt-Aben­teuer. Ein Blick in das eng­li­sche Ori­gi­nal kann jedoch sicher­lich nicht scha­den, um das Lese­er­leb­nis zu vertiefen.

Auf­fäl­lig ist, wie bei den meis­ten der Schei­ben­welt-Romane, dass sie stel­len­weise wie Alle­go­rien auf unsere Welt gele­sen wer­den kön­nen. Das liegt daran, dass Prat­chett nicht ein­fach nur lus­tige Bücher schreibt. Viel­mehr lässt er seine Kri­tik an der Gesell­schaft durch seine Feder flie­ßen. So belebt er damit die Schei­ben­welt, etwa indem er sie um neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wege, Gen­der­de­bat­ten und poli­ti­sche Kon­flikte berei­chert, die man auch aus den Tages­zei­tun­gen kennt. Nicht umsonst sagt Autor Neil Gai­man über ihn, dass Prat­chetts Wut auf die Unge­rech­tig­keit der Welt der Treib­stoff ist, der die Schei­ben­welt zum Lau­fen bringt.*

„Tol­ler Dampf vor­aus“ ist als 40. Buch der (mehr oder weni­ger lose zusam­men­hän­gen­den) Reihe damit eher ein Buch für die fort­ge­schrit­te­nen Schei­ben­welt-Lese­rIn­nen. Wer noch nie zu Prat­chetts Büchern gegrif­fen hat, kann sich z.B. an den kürz­lich erschie­ne­nen Neu­über­set­zun­gen der älte­ren Werke einen Über­blick verschaffen.

Maike

Tol­ler Dampf vor­aus, Terry Prat­chett, Gerald Jung (Über­set­zer), Man­hat­tan Ver­lag, 2014
*Quelle: The Guar­dian online, auf­ge­ru­fen: 24. Sep­tem­ber 2014

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3 comments

amethyststurm 2. Januar 2015 - 14:08

Hat dies auf ame­thyst­sturm reb­loggt und kommentierte:
Prat­chett liebe ich ja seit Jah­ren, und auch wenn die spä­tern Bücher ein biss­chen ihre Ori­gi­na­li­tät ein­ge­büßt haben, heißt das nicht, dass sie nicht sau­kom­isch und vor allem bis­sig sind...

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Elvira 2. Januar 2015 - 15:10

Ein neuer Prat­chett? Her damit!! Ich habe alle Schei­ben­welt­ro­mane gele­sen und bin (obwohl ich ganz sicher nicht mehr zur jun­gen oder mitt­le­ren Genera­tion gehöre) ein abso­lu­ter Prat­chett-Fan. Nun muss ich das Buch, des­sen Lek­türe ich mor­gen begin­nen wollte (Unend­li­cher Spaß von David Fos­ter Wal­lace) noch etwas ver­schie­ben. Denn ich bin mir sicher, dass ich den Wäl­zer nicht so schnell aus­le­sen werde. Tau­send Dank für den Tipp!

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Bücherstadt Kurier 2. Januar 2015 - 19:55

Hallo Elvira, bei so vie­len Büchern von Prat­chett kann man auch mal eines über­se­hen. Schön, dass wir dir hel­fen konn­ten, wie­der up-to-date auf der Schei­ben­welt zu sein. Ich finde, die Bücher sind zeit­los, egal für wel­che Genera­tion. Viel Spaß beim Lesen! Lass uns gerne wis­sen, was du von dem Buch hältst! (Maike)

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