„Für mich ist Schreiben die einzige Möglichkeit, systematisch nachzudenken.“

by Worteweberin Annika

Das Foyer im Thea­ter Bre­men ist gut gefüllt, als Olga Grjas­nowa und Mode­ra­to­rin Silke Behl am 12. Februar die kleine Bühne betre­ten. Worte­we­be­rin Annika ist dabei gewe­sen und hat gelauscht, was die Autorin über Kul­tur, Syrien und ihren Roman „Gott ist nicht schüch­tern“ zu erzäh­len hatte.

Olga Grjas­no­was Hin­ter­grund ist ein Pot­pourri der Kul­tu­ren: Gebo­ren wurde sie in Aser­bai­dschan in einer jüdisch-rus­si­schen Fami­lie, auf­ge­wach­sen im Kau­ka­sus, mit elf Jah­ren kam sie nach Deutsch­land. Inzwi­schen lebt sie mit ihrem syri­schen Mann und zwei gemein­sa­men Kin­dern in Ber­lin. Ihre Lite­ra­tur wird auch des­we­gen meis­tens als „Migra­ti­ons­li­te­ra­tur“ gele­sen – für Grjas­nowa ist das nur eine Mode­er­schei­nung. „So wie frü­her femi­nis­ti­sche Lite­ra­tur­se­mi­nare in Mode waren, sind es jetzt im Moment eben wel­che über Migra­ti­ons­li­te­ra­tur“, erzählt sie. Kul­tu­ren hät­ten sich schließ­lich schon immer gemischt und auch Flucht ist kein ganz neues Thema.

Aus ihrer eige­nen Fami­li­en­ge­schichte kennt sie die Erzäh­lun­gen der Groß­mutter über die Flucht nach Aser­bai­dschan wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs. „Aber immer nur in der Folk­lore-Ver­sion für Kin­der.“ Den Rest habe die Oma spä­ter erzäh­len wol­len, doch dazu kam es nie. „Das hat mich sehr beschäf­tigt“, erzählt Olga Grjas­nowa. Iden­ti­tät hat für die Autorin weni­ger mit Her­kunft zu tun, schließ­lich ver­än­dert sie sich immer wie­der. Sie berich­tet von ihrer neuen Mut­ter-Iden­ti­tät und davon, dass für sie seit neu­es­tem ganz andere Dinge wich­tig gewor­den sind als sie es frü­her waren – zum Bei­spiel Win­deln und Brei.

Den neuen Roman „Gott ist nicht schüch­tern“ begann sie wegen ihres Man­nes zu schrei­ben, erzählt sie dem Publi­kum in Bre­men. „Für mich ist Schrei­ben die ein­zige Mög­lich­keit, sys­te­ma­tisch nach­zu­den­ken.“ Eigent­lich habe sie einen Roman über Restau­rants und Essen geplant, denn das sei ihre große Lei­den­schaft, aber als sie ihren Mann ken­nen­lernte, ver­warf sie die­ses Pro­jekt. In „Gott ist nicht schüch­tern“ spielt jetzt, so fin­det Silke Behl, das Essen zwar immer noch eine wich­tige Rolle, vor allem aber geht es um Amal und Ham­moudi, die beide aus Syrien flie­hen müs­sen. Die bei­den Figu­ren bie­ten für west­li­che Leser viele Anknüp­fungs­punkte, Ham­moudi hat immer­hin lange in Paris gelebt und ist nur für eine Pass­ver­län­ge­rung zurück nach Syrien gekom­men. Doch dann darf er nicht mehr ausreisen.

Die Pas­sa­gen, die Olga Grjas­nowa in Bre­men vor­liest, wer­den von Minute zu Minute düs­te­rer. „Gott ist nicht schüch­tern“, so viel ist klar, ist keine leichte Kost. Um jeden Kitsch zu umschif­fen habe sie mög­lichst distan­ziert über ihre Figu­ren geschrie­ben und auch auf bau­schige Meta­phern ver­zich­tet. „Ich wollte nur klar und direkt diese Geschichte erzählen.“

Erstaun­lich fin­det es Silke Behl, dass Olga Grjas­nowa selbst nie in Syrien gewe­sen ist und trotz­dem so eine greif­bare, authen­ti­sche Stim­mung schafft. Das sei ihr durch lange Recher­chen gelun­gen, bei denen sie mit vie­len Betei­lig­ten gespro­chen, Fern­seh­bil­der ver­folgt und alles gele­sen habe, was sie zu dem Thema sprach­lich ver­ste­hen konnte. Am erstaun­lichs­ten war für Grjas­nowa dabei ein Skype-Gespräch mit syri­schen Isla­mis­ten: „Die waren gar nicht gläu­big. Aber der ein­zige Weg für sie, um etwas zu bewe­gen, war es, Isla­mis­ten zu wer­den.“ Olga Grjas­no­was Resü­mee zu ihren Recher­chen hält wohl vie­len im Raum einen Spie­gel vor: „Ich dachte immer, ich weiß, was in Syrien und im ara­bi­schen Raum im Moment vor sich geht. Tat­säch­lich stellte sich her­aus: Ich wusste fast gar nichts.“

Ein Bei­trag zum Spe­cial #phi­lo­so­phie­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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