Gedankenstrom

by Zeichensetzerin Alexa

Arthur Schnitz­lers Novelle „Leut­nant Gustl“ wurde erst­mals 1900 unter dem Ori­gi­nal­ti­tel „Lieu­ten­ant Gustl“ in der „Neuen Freien Presse“ ver­öf­fent­licht. Mit sei­nem Werk führte Schnitz­ler den Stil des inne­ren Mono­logs im deutsch­spra­chi­gen Raum ein.

Wie der Titel bereits ver­rät, han­delt sich bei dem Prot­ago­nis­ten um einen Leut­nant. Nach einem Kon­zert wird die­ser von einem Bäcker­meis­ter belei­digt, wor­auf sich der Offi­zier so sehr in sei­ner Ehre gekränkt fühlt, dass er kei­nen ande­ren Aus­weg mehr sieht, als sich das Leben zu neh­men. Was wür­den nur die ande­ren von ihm den­ken? Nein, für ihn gibt es kei­nen ande­ren Weg – gleich am nächs­ten Tag um sie­ben Uhr will er sein Leben been­den. Ob der Bäcker­meis­ter die­sen Vor­fall bekannt machen wird oder nicht, spielt für Gustl keine Rolle.
Leut­nant Gustl denkt und denkt: Von Anfang an erhält man einen Ein­blick in seine Gedan­ken, wel­che sich um Frauen, Juden – er befür­wor­tet den Anti­se­mi­tis­mus – und das Mili­tär dre­hen. Das, was er sieht und fühlt, wird in Worte gefasst und mono­lo­gi­siert. Die Hand­lung der Geschichte erschließt man sich allein durch seine Ein­drü­cke, die erst nach und nach zu einem Bild werden.
Der in der Ich-Form ver­fasste innere Mono­log erin­nert an den Bewusst­seins­strom („stream of con­scious­ness“), einen von Tol­stoi erfun­de­nen Erzähl­stil, den er in einem Teil sei­nes Romans „Anna Kare­nina“ ver­wen­dete. Berühmt für diese Tech­nik ist unter ande­rem auch James Joy­ces „Ulys­ses“. Hier wer­den Gefühle und Gedan­ken aus sub­jek­ti­ver Sicht geäu­ßert, auf Erklä­run­gen und äußere Beschrei­bun­gen wird ver­zich­tet. Man wird über­la­den von einem Strom an Wahr­neh­mun­gen und ver­mag sie auf­grund von feh­len­der Struk­tur auf Form- und Inhalts­ebene nicht ein­zu­ord­nen. Die­ses Merk­mal unter­schei­det sich vom Stil in Schnitz­lers „Leut­nant Gustl“, in dem trotz Ellip­sen eine gewisse Struk­tur vor­han­den ist. Schnitz­ler greift dem­nach die Tech­nik des Bewusst­seins­stroms auf, ohne sie zu imi­tie­ren, und kon­stru­iert einen Mono­log, in dem sich ein Sinn ergibt.

Schnitz­ler erschafft in „Leut­nant Gustl“ ein Zusam­men­spiel von inne­rem Mono­log und Gesell­schafts­kri­tik, wel­che vor allem den Anti­se­mi­tis­mus und das Mili­tär the­ma­ti­siert. Kaum ver­wun­der­lich ist des­halb, dass Schnitz­ler nach Ver­öf­fent­li­chung der Novelle auf harte Kri­tik sei­tens des Mili­tärs stieß, das sich ange­grif­fen fühlte. Anschlie­ßend wurde ihm der Offi­ziers­rang aberkannt.

Ein emp­feh­lens­wer­tes Hör­buch fin­det sich auf vor​le​ser​.net, authen­tisch vor­ge­le­sen von Jere­mias Koschorz.

Erfahrt mor­gen (27.06.15) mehr über Arthur Schnitz­ler und sein Werk „Leut­nant Gustl“ bei den Feuil­le­tö­nen! Klickt euch ab 11 Uhr rein auf www​.feuil​le​toene​.de/​l​ive.

Alexa

Lieu­ten­ant Gustl, Arthur Schnitz­ler, Sabine Wolf (Her­aus­ge­be­rin) Reclam, 2013;
Erst­ver­öf­fent­li­chung: Neue Freie Presse (heute: Die Presse), 1900 

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