Gedichte aus der Gedankenspirale

by Worteweberin Annika

Tamara Ire­land Stones Jugend­ro­man „Mit ande­ren Wor­ten: ich“ erzählt von der Macht des Schrei­bens und der Kraft der Worte. Das viel­leicht unge­wöhn­lichste an der Geschichte: Die Prot­ago­nis­tin lei­det unter Zwangs­stö­run­gen. Worte­we­be­rin Annika hat mit ihr die „Dich­ter­ecke“ besucht.

Sam, eigent­lich Saman­tha, wirkt von außen wie ein nor­ma­ler Teen­ager: Sie ist seit Ewig­kei­ten mit den belieb­tes­ten Mäd­chen der Schule befreun­det, immer super gestylt und noch dazu eine erfolg­rei­che Schwim­me­rin. Doch vie­les davon ist nur Schein, denn Sam lei­det unter Zwangs­stö­run­gen. Ihr Auto kann sie nur par­ken, wenn der Kilo­me­ter­zäh­ler hin­ten eine Drei anzeigt, immer wie­der nagen zer­stö­re­ri­sche Gedan­ken an ihr und ohne Schlaf­ta­blet­ten würde sie nachts kein Auge zu bekommen.

Ihre The­ra­peu­tin rät ihr schon lange dazu, sich andere, ver­ständ­nis­volle Freunde zu suchen, doch das gelingt Sam nicht. Bis sie eines Tages Caro­line trifft, die ihr etwas zei­gen möchte, das Sams Leben ver­än­dern könnte: Eine geheime Dich­ter­ecke unter dem Schul­thea­ter und die Kraft der Worte. Hier ver­liebt sich Sam nicht nur ins Gedich­te­schrei­ben, son­dern auch in den musi­ka­li­schen AJ und fin­det lang­sam sich selbst. Doch nun pral­len zwei Wel­ten auf­ein­an­der – die Dich­ter­ecke und die glit­zernde Prin­zes­sin­nen­welt ihrer Clique.

Mit anderen Worten_ichRea­lis­ti­sche Schilderungen

Man merkt dem Roman an, dass Tamara Ire­land Stone viel Zeit mit Recher­chen zuge­bracht hat, was sie auch in der Anmer­kung erklärt. Als bei einer Jugend­li­chen aus ihrem Bekann­ten­kreis eine Zwangs­stö­rung dia­gnos­ti­ziert wurde, wurde Stones Inter­esse geweckt. Viele Ein­drü­cke und Schil­de­run­gen die­ser Jugend­li­chen schei­nen auch in „Mit ande­ren Wor­ten: ich“ ein­ge­flos­sen zu sein. So gewährt der Roman rea­lis­ti­sche Ein­bli­cke in das Leben mit Zwangs­stö­run­gen, aber auch in das Leben als Teen­ager, was noch lange nicht selbst­ver­ständ­lich für einen Jugend­ro­man ist. Ver­liebt­hei­ten und Pro­bleme mit den bes­ten Freun­din­nen sowie die Angst vor der Zukunft wer­den hier ernst­haft thematisiert.

Im Hand­lungs­ver­lauf kann, wer möchte, auch einige Schwä­chen aus­ma­chen. Wieso zum Bei­spiel sollte ein Jugend­li­cher, der in sei­ner Kind­heit auf Ärgste von einer Mit­schü­le­rin gemobbt wurde und ihret­we­gen sogar die Schule gewech­selt hat, sich plötz­lich hol­ter­die­pol­ter in sie ver­lie­ben, nur, weil sie ein Gedicht schreibt? Nun, viel­leicht ist das die uner­klär­li­che Macht der Liebe. Was jeden­falls posi­tiv auf­fällt, ist, dass Stone es sich mit der Lösung des Romans nicht zu ein­fach macht. Die Ent­schei­dung zwi­schen der Dich­ter­ecke und den zicki­gen Freun­den könnte sehr ober­fläch­lich und kurz abge­han­delt wer­den. Hier wird sie aber sehr dif­fe­ren­ziert getrof­fen und bewertet.

Ein stim­mi­ges Gesamtkunstwerk

„Mit ande­ren Wor­ten: ich“ ist sehr stim­mig: Sprach­lich ist der Roman jugend­lich, aber ohne sich anzu­bie­dern oder auf sprach­li­che Bil­der zu ver­zich­ten. Zudem spie­gelt sich der Inhalt auch auf der Text­ober­flä­che: Wer genau auf­passt, kann zum Bei­spiel in der Wahl der Kapi­tel­über­schrif­ten Sams Ticks wie­der­fin­den. Die im Roman abge­druck­ten Gedichte und Song­texte, die von den Jugend­li­chen in der Dich­ter­ecke geschrie­ben wer­den, machen direkt Lust dar­auf, selbst etwas zu Papier zu brin­gen. Sie fügen sich wun­der­bar in die nach­denk­li­che Stim­mung des Romans ein. Die Geschichte um Sam ist unter­halt­sam, keine reine Lie­bes­ge­schichte, son­dern eine tief­sin­nige Erzäh­lung von einem beson­de­ren Mädchen.

Mit ande­ren Wor­ten: ich. Tamara Ire­land Stone.
Aus dem Eng­li­schen von San­dra Knuf­finke und Jes­sika Komina. Magel­lan. 2016.

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