Gedichte: Der Pilot in der Libelle

by Zeichensetzerin Alexa

Mit Spra­che spielen

Wer gerne Gedichte mag und auf der Suche ist nach Abwechs­lung, der ist bei der Gedicht­samm­lung „Der Pilot in der Libelle“ von Hen­drik Rost genau rich­tig. Schnell wird klar: Gedichte müs­sen sich nicht immer rei­men, um gut zu klin­gen. Sie müs­sen auch nicht immer der glei­chen Form fol­gen, eine wie­der­keh­rende Struk­tur haben und die gro­ßen The­men wie Liebe, Glück und Tod behan­deln. Schon all­täg­li­che Dinge kön­nen plötz­lich zur Lite­ra­tur wer­den, das zeigt z.B. das Gedicht „Zeit­geist“:

Zeit­geist

Die Müll­tonne auf ris­si­gem Pflaster
im Hof,

die nach oben offene Mülltonne
auf Rädern,

fast ein Anblick, den ich mögen könnte,
wäre da nicht

der Müll.

Hen­drik Rost spielt mit einer fühl­ba­ren Leich­tig­keit mit Wor­ten, Sät­zen, Zei­len. Die Gedichte lesen sich wie im Fluss, auch wenn nicht alle dem glei­chen Schema fol­gen. So gibt es kurze Texte, die nur aus zwei Zei­len bestehen, aber auch lange, die eher an Prosa erin­nern als an Lyrik, z.B. der Text „Tabu“.

Tabu

Das Eis ist dünn, ich gehe wei­ter auf den See hinaus,
betrete das klare Was­ser, unter mir Algen und Fische,
die sich nicht rüh­ren. Ich gehe bis zu der Stelle,
wo das Mäd­chen aus mei­ner Klasse ein­ge­bro­chen war,
wir haben sie spä­ter besucht, die Haut wächsern,
kalt sah sie aus, die Hände gefal­tet, getrocknet. (…)

Ver­gleicht man die Gedichte unter­ein­an­der, wird der Ein­druck erweckt, der Autor hätte mit Spra­che expe­ri­men­tiert, ver­schie­dene Erzähl­tech­ni­ken aus­pro­biert und dabei all­täg­li­che The­men auf­ge­grif­fen. Dabei ist das Ende einer Zeile nicht zwangs­läu­fig das Ende eines Sat­zes. In „Selbst­aus­lö­ser“ wird der Satz mit­ten in einer Zeile beendet:

Selbst­aus­lö­ser

Zwei Tage in Folge ist ewig.
Was frü­her war, ist ein Foto.
Alles, was wahr ist, färbt ab
wie ein Gerücht. So mächtig.
Alles Wich­tige ist gesagt.
Alles wei­tere: Bitte lächeln.
Was klein ist, kann wachsen.
Wut, beson­ders Mut. Manches
schrumpft. Was weich ist,
siegt. Was geliebt wird,
wird spä­ter verachtet.
Weißt du noch? Alles Ärgerliche
ist ärger­lich. Laub fehlt.
Win­ter kann kommen.
Die Dich­ter müs­sen lernen,
Schluss zu machen. Wann,
wenn nicht jetzt? Alles
Wich­tige ist nicht so wichtig.
Ein Wort ist eine Wohltat.
Was nichts kos­tet, koste es.

Hen­drik Rost, geb. 1969, stu­dierte Ger­ma­nis­tik und Phi­lo­so­phie in Kiel und Düs­sel­dorf. Heute lebt er als freier Autor und Kor­rek­tor in Ham­burg. Für seine Werke wurde er mit viel­fa­chen Prei­sen aus­ge­zeich­net, zuletzt mit dem För­der­preis zum Ernst-Meis­ter-Preis (2003) und För­der­preis des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len für Lite­ra­tur (2004).

Alexa

Der Pilot in der Libelle, Hen­drik Rost, Wall­stein, 2010

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