Genial? Oder doch nur fast genial?

by Zeichensetzerin Alexa

Fran­cis ist acht­zehn und lebt mit sei­ner Mut­ter in einem her­un­ter­ge­kom­me­nen Trai­ler­park in New Jer­sey. Mit sei­nem Leben ist er alles andere als zufrie­den, weder in der Schule als auch pri­vat läuft es glän­zend und er glaubt, als Ver­sa­ger ster­ben zu müs­sen. Dass seine Mut­ter psy­chi­sche Pro­bleme hat und sie des­halb in einer Kli­nik lan­det, macht die Sache nicht bes­ser. Schließ­lich erfährt er nach ihrem geschei­ter­ten Selbst­mord­ver­such, dass er Teil eines absur­den Pro­jekts ist, bei dem geniale Kin­der gezeugt wur­den. - Von Zei­chen­set­ze­rin Alexa

„Lie­ber Frankie,
es ist Zeit, dass du die Wahr­heit erfährst. Die Wahr­heit über alles. Ich weiß, wer dein Vater ist, ich habe es immer gewusst. Weil ich auch nach Jah­ren des Über­le­gens nicht sicher bin, wie ich es dir sagen soll, mache ich es wenigs­tens kurz. (…) Du warst ein Retor­ten­baby, Fran­cis. (…)“ (S. 76)

Nach die­sem Brief ist für Fran­cis nichts mehr wie es war. Seine Gedan­ken über­schla­gen sich, seine Gefühle sind kaum zu fas­sen. Er soll ein Retor­ten­baby gewe­sen sein? Und sein Vater ein genia­ler Wis­sen­schaft­ler aus Har­vard? Fran­cis fasst bald den Ent­schluss, sei­nen Vater auf­zu­su­chen, um dadurch Ant­wor­ten auf seine Fra­gen zu fin­den. Dafür macht er sich gemein­sam mit sei­nen neu­ge­won­ne­nen Freun­den Anne-May und Gro­ver auf den Weg durch Ame­rika, wo sie ver­schie­dene Men­schen auf­su­chen, um Hin­weise über den Auf­ent­halts­ort sei­nes Vaters zu erhalten.

„Das Wich­tigste ist, dass du deine gan­zen beschis­se­nen Träume und Hoff­nun­gen packst und sie nie mehr los­lässt“, hatte sein Nach­bar Toby mal zu ihm gesagt. „Du kannst schreien, du kannst ver­zwei­feln, du kannst win­seln. Doch selbst wenn du schon kaum mehr an dich glaubst, du darfst sie nicht los­las­sen.“ (S. 212/213)

Diese Worte im Hin­ter­kopf sucht Fran­cis wei­ter, auch wenn ihn so man­ches Mal die Zwei­fel auf­su­chen und schein­bar dicke Wände ihm den Weg ver­sper­ren. Auf sei­ner Reise lernt er Alis­tair Haley ken­nen, ein Genie, das genauso gezeugt wurde wie er. Von ihm erfährt er mehr über das Expe­ri­ment und andere davon betrof­fene Men­schen. Kaum einer von ihnen konnte mit die­sem Wis­sen umge­hen, auch Alis­tair wusste nichts Sinn­vol­les mit sei­ner über­durch­schnitt­li­chen Intel­li­genz anzu­fan­gen und ist schließ­lich als Geschäfts­füh­rer in einem Restau­rant gelan­det. Dabei hätte er ein genia­ler Wis­sen­schaft­ler wer­den kön­nen. Alis­tair jedoch ist unzu­frie­den, würde seine Intel­li­genz viel lie­ber ver­lie­ren, um nicht jede Klei­nig­keit im Leben zu hin­ter­fra­gen, sich unnö­tige viele Gedan­ken zu machen, son­dern ein­fach nur zu leben. Eine Frage, die Fran­cis noch lange beschäf­tigt ist außer­dem: hat auch nur einer der Wis­sen­schaft­ler, die an die­sem Pro­jekt mit­ge­wirkt haben, je daran gedacht, wie sich die Kin­der spä­ter füh­len würden?

„In der syn­the­ti­schen Bio­lo­gie stellt man bereits künst­lich Gene her, es kann gut sein, dass man eines Tages Men­schen kom­plett im Labor züch­ten kann…“ (S. 240)

Wo würde uns das nur hin­füh­ren? Die The­men Retor­ten­baby und Künst­li­che Gene wer­den in die­sem Roman so gut und phi­lo­so­phisch ver­packt, dass man beginnt, dar­über nach­zu­den­ken, vor allem, weil man weiß, dass es ein sol­ches Expe­ri­ment tat­säch­lich gege­ben hat. Es beschäf­tigt einen als Leser genauso wie Fran­cis, der ver­zwei­felt ver­sucht, sei­nen Platz im Leben zu fin­den. Denn er glaubt, erst dann zu wis­sen, wer er ist, wenn er sei­nem Vater begeg­net ist. Dabei stellt sich ihm immer wie­der die Frage: was pas­siert, wenn er sei­nem Vater gegen­über­steht? Wie würde die­ser reagie­ren? Wie würde Fran­cis sich ver­hal­ten? Und immer wie­der die Zwei­fel: will Fran­cis sei­nen Vater wirk­lich sehen? Würde sich Fran­cis Leben dadurch ver­än­dern und er nicht mehr als Ver­sa­ger daste­hen, wenn er sei­nen Vater kennenlernt?

Auch wenn „Fast genial“ ein­fach und locker geschrie­ben ist, schafft es Bene­dict Wells den Leser zu fes­seln. Die Cha­rak­tere sind so gut aus­ge­ar­bei­tet, dass man im Laufe des Buches glaubt, sie rich­tig zu ken­nen, nicht zuletzt wegen der so inten­siv dar­ge­stell­ten Gedan­ken- und Gefühls­welt. Genau der rich­tige Ansatz bei einem so kom­pli­zier­ten Thema wie die­sem. Es beschäf­tigt einen nicht nur beim Lesen des Romans, son­dern auch noch lange danach. Vor allem aber schwirrt einem fast unun­ter­bro­chen der Gedanke im Kopf: wie würde man sich selbst an Fran­cis Stelle verhalten?

Fast genial. Bene­dict Wells. Dio­ge­nes. 2013.

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2 comments

Xeniana 15. Mai 2014 - 11:15

So , das Buch kaufe ich mir jetzt. Danke für die­sen Tipp! LG Xeniana

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Bücherstadt Kurier 15. Mai 2014 - 23:44

Klasse! Es freut mich sehr, dass ich dich für die­ses Buch begeis­tern konnte! Ich habe mir heute Bene­dict Wells‘ Roman „Spin­ner“ bestellt und hoffe, dass es genauso gut ist wie „Becks letz­ter Som­mer“ und „Fast genial“. LG, Alexa

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