Gerüchte und ein bunter Garten

by Worteweberin Annika

In ihrem Haus mit Gar­ten über dem Meer fei­ert ein jun­ges Paar Feste, fährt Was­ser­ski, hält unge­wöhn­li­che Tiere, beher­bergt Freunde. Ihr Gärt­ner beob­ach­tet in „Der Gar­ten über dem Meer“ von Mercè Rodo­reda nicht nur den Tru­bel, son­dern auch, was unter dem schö­nen Schein ver­bor­gen liegt. Worte­we­be­rin Annika hat den Roman gele­sen, der vor eini­gen Jah­ren wie­der­ent­deckt wurde.

Der Ich-Erzäh­ler des Romans, ein Gärt­ner, lebt schon seit lan­ger Zeit in einem klei­nen Gar­ten­häus­chen des Anwe­sens, küm­mert sich um Lupi­nen, Lilien und Blatt­läuse, sam­melt Saat­gut und beob­ach­tet die Pflan­zen beim Gedei­hen. Sen­yo­ret Fran­cesc und Sen­yo­reta Rosa­ma­ria sind längst nicht seine ers­ten Her­ren, und sie wer­den auch nicht die letz­ten sein. Doch für sechs Som­mer ver­schlägt es das junge Paar aus Bar­ce­lona ins Haus am Meer, im Gepäck zahl­rei­che Freunde und aben­teu­er­li­che Ideen, aber auch einige Sor­gen, denn die Ehe ist nicht glücklich.

Dann tau­chen Fremde auf, als die Herr­schaf­ten gerade auf einem Aus­flug sind. Der Gärt­ner bewir­tet sie und erfährt so von ihrem Sohn Euge­nie. Er war die erste Liebe von Sen­yo­reta Rosa­ma­ria. Gegen ihr Herz ent­schied sich die junge Frau damals für Fran­cesc, doch Euge­nie schwor ihr, nach fünf Jah­ren zurück­zu­keh­ren. Da die Eltern den Kon­takt zu ihrem Sohn ver­lo­ren haben, sind sie nun, kurz vor Ablauf der Frist, da, um Neues über ihn zu erfah­ren, doch weder der Gärt­ner noch Rosa­ma­ria kön­nen ihnen etwas erzäh­len. Kurz dar­auf ist es aber so weit, denn Euge­nie zieht mit sei­ner neuen Frau im Haus nebenan ein.

Der Gärt­ner kann nur zuse­hen, wie nun alles aus den Fugen gerät. Als guter Beob­ach­ter und beson­ne­ner Mensch wird er von Euge­nie, aber auch des­sen Schwie­ger­va­ter ins Ver­trauen gezo­gen. Trotz­dem steht er außer­halb der Ver­wick­lun­gen, kann sich eini­ges nur zusam­men­rei­men oder erfährt es aus zwei­ter Hand durch Gerüchte ande­rer Dienst­bo­ten. Seine Per­spek­tive als Außen­ste­hen­der macht den Roman beson­ders inter­es­sant. Der Gärt­ner blickt als Erzäh­ler auf diese inzwi­schen schon lange ver­gan­ge­nen Som­mer zurück, ver­sucht sich zu erin­nern und mischt in die Ereig­nisse um die Herr­schaf­ten Gedan­ken an seine eigene eins­tige Liebe. Dies alles erzeugt einen Sog, in den die Leser hin­ein­trei­ben. Der Roman erstrahlt in einer schwü­len, weh­mü­ti­gen Stim­mung und ver­mit­telt gleich­zei­tig das Gefühl eines Som­mer­tags am Meer.

1967 erschien „Der Gar­ten über dem Meer“ in Spa­nien. Erstaun­lich, dass es bis ins 21. Jahr­hun­dert dau­erte, dass der Roman sei­nen Weg in deut­scher Über­set­zung in die Buch­lä­den fand. 2014 erschien der Roman in der ers­ten deut­schen Aus­gabe, nach­dem Roger Wil­lem­sen ihn ent­deckt hatte. Auch im Nach­wort macht er sich für den Text stark, ana­ly­siert ihn und schwärmt. „Der Gar­ten über dem Meer“ ist eine wun­der­bare Som­mer­lek­türe, stim­mungs­voll und reich an Andeu­tun­gen lädt sie dazu ein, mit dem Gärt­ner gemein­sam über das Leben der Herr­schaf­ten zu sinnieren.

Der Gar­ten über dem Meer. Mercè Rodo­era. Aus dem Kata­la­ni­schen von Kirs­ten Brandt. Her­aus­ge­ge­ben und mit einem Nach­wort von Roger Wil­lem­sen. Ber­lin Ver­lag. 2016.

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