Gesa Schwartz im Interview #Todesstadt

by Worteweberin Annika

„Geschich­ten und Wun­der umge­ben uns über­all. Wir müs­sen nur hin­se­hen, und die Welt wird sich vor unse­ren Augen ver­wan­deln – und wir uns mit ihr.“

Die Autorin Gesa Schwartz schreibt phan­tas­ti­sche Romane für Erwach­sene und Kin­der – im neu­es­ten, „Emily Bones“, geht es um ein jun­ges Geis­ter­mäd­chen und ihre Aben­teuer. Mit Worte­we­be­rin Annika hat die Autorin unter ande­rem über die Aben­teuer der Figu­ren hin­ter geschlos­se­nen Buch­de­ckeln, den Tod und das Leben im Bau­wa­gen gesprochen.

BK: Mögen Sie sich unse­ren Lese­rin­nen und Lesern kurz vorstellen?

GS: Gern. Ich wurde 1980 in Stade gebo­ren und habe Deut­sche Phi­lo­lo­gie, Phi­lo­so­phie und Deutsch als Fremd­spra­che stu­diert. Mein beson­de­res Inter­esse galt seit jeher dem Genre der Phan­tas­tik. Nach mei­nem Abschluss begab ich mich auf eine ein­jäh­rige Reise durch Europa auf den Spu­ren der alten Geschich­ten­er­zäh­ler. Für mein Debüt „Grim. Das Sie­gel des Feu­ers“ erhielt ich 2011 den Deut­schen Phan­tas­tik Preis in der Sparte Bes­tes deutsch­spra­chi­ges Roman­de­büt. Zur­zeit lebe und schreibe ich in der Nähe von Ham­burg in einem Zirkuswagen.

BK: Gerade ist Ihr neuer Roman „Emily Bones – Die Stadt der Geis­ter“ erschie­nen. Darin geht es ja ganz stark auch um das Thema Tod, wenn auch auf eine unter­halt­same Art und Weise. Wie kamen Sie auf das Thema?

GS: Ich suche mir meine Geschich­ten nicht aus, son­dern es läuft umge­kehrt: Die Geschich­ten kom­men zu mir, und ihre The­men haben sie mit im Gepäck. Meist pas­siert das über ein Bild, das plötz­lich in mei­nem Kopf auf­taucht und mich so neu­gie­rig macht, dass ich unbe­dingt wis­sen muss, was es damit auf sich hat. So war es auch bei Emily. Wel­ches Bild das war, werde ich aber an die­ser Stelle nicht ver­ra­ten, nur so viel: Es fin­det sich auch im Buch wieder.

BK: War das Schrei­ben für Sie dann auch eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Tod?

GS: Ich ste­cke in all mei­nen Geschich­ten, ähn­lich einem Mosaik, des­sen Ein­zel­teile hier und da auf­blit­zen, wenn man genau hin­schaut. Inso­fern spie­len die The­men, mit denen meine Figu­ren sich beschäf­ti­gen, meist auch in mei­nem Leben eine Rolle. Was den Tod betrifft, so wurde ich schon einige Male auf ganz ver­schie­dene Weise mit ihm kon­fron­tiert. Ein beson­ders ein­schnei­den­des Erleb­nis war hier sicher der Tod mei­nes Vaters. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu erken­nen, dass der Tod kein Feind, kein dunk­ler Geg­ner ist, son­dern ein wich­ti­ger Teil unse­res Lebens und tat­säch­lich genau das, was der Vam­pir Bal­tha­sar in „Emily Bones“ über ihn sagt:

„Diese Stille ist ein Zau­be­rer. Er spricht alle Spra­chen, die je erdacht wur­den, und kennt alle Trä­nen und jeden Traum der Welt. Seine Macht ist gren­zen­los. Er urteilt nicht und ist doch der ein­zige Rich­ter, vor dem tat­säch­lich alle gleich sind. Sein Kuss ist sam­tene Dun­kel­heit, sein Atem lin­dernde Ruhe, und nichts kennt sol­chen Trost wie die Kühle sei­ner Umar­mung. Er ist der Anfang und das Ende. Es gibt kei­nen grö­ße­ren Magier als ihn.“

BK: Am Ende steu­ert die Geschichte auf ein gro­ßes Pro­blem zu, das die meis­ten Geis­ter anfangs lie­ber ver­drän­gen wol­len. Mich hat das stark an die gro­ßen Pro­bleme unse­rer Zeit erin­nert, die ja oft auch nicht ange­gan­gen wer­den, zum Bei­spiel der Kli­ma­wan­del. Inwie­fern war das für Sie ein Hin­ter­grund beim Schreiben?

GS: Ich erlebe meine Geschich­ten Seite an Seite mit mei­nen Prot­ago­nis­ten, so war es auch bei Emily. Inso­fern war ich gemein­sam mit ihr erschüt­tert, als sie mit der Furcht und Igno­ranz der macht­ha­ben­den Fried­hofs­be­woh­ner kon­fron­tiert wurde – und wie in Emily wurde auch in mir nach der ers­ten Ent­täu­schung der Wille stark, etwas dage­gen zu unter­neh­men. Denn Sie haben Recht: Genau diese Igno­ranz ist auch in unse­rer rea­len Welt für die größ­ten Pro­bleme ver­ant­wort­lich und eines der mas­sivs­ten Übel unse­rer Zeit. Genau so über­trag­bar ist aber auch die Hoff­nung, die Emily immer wie­der dazu treibt, ihren eige­nen Weg zu gehen, und das Bewusst­sein, dass es nicht so blei­ben muss, dass jeder Ein­zelne Ver­ant­wor­tung über­neh­men und etwas ver­än­dern kann, dass es das Gute in der Welt gibt – und zwar nicht irgendwo dort drau­ßen, son­dern in uns allen.

BK: Die Prot­ago­nis­tin im Roman fragt sich, was eigent­lich mit einer Geschichte pas­siert, wenn sie nicht gele­sen wird. Was glau­ben Sie selbst?

GS: Die­ser Gedanke wurde einst von Michael Ende auf­ge­wor­fen, der einen gro­ßen Ein­fluss auf mein Schrei­ben hat, vor allem durch seine phi­lo­so­phi­schen Texte und seine War­nung vor der Zivi­li­sa­ti­ons­wüste, in der wir uns inzwi­schen alle befin­den. Eine abschlie­ßende Ant­wort lässt sich auf die Frage ver­mut­lich gar nicht geben, denn sie hängt mei­nes Erach­tens auch immer von der Geschichte ab, über die man gerade spricht. Was meine Geschich­ten betrifft, bin ich ganz sicher, dass die Figu­ren jede Menge Aben­teuer erle­ben, sobald sich die Buch­de­ckel schlie­ßen. Ich mag den Gedan­ken, dass die Buch­sta­ben manch­mal viel­leicht ganz schön Mühe haben, noch recht­zei­tig wie­der an ihren ange­stamm­ten Platz zurück­zu­sprin­ten, wenn man das Buch aufschlägt.

BK: Und wird es tat­säch­lich für Emily und ihre Freunde wei­ter­ge­hen? Haben Sie eine Fort­set­zung geplant?

GS: Eine Fort­set­zung habe ich der­zeit nicht geplant, aber ich kann mir gut vor­stel­len, noch ein­mal in Emi­lys Welt zurück­zu­keh­ren, wenn sie mit der ihr eige­nen Vehe­menz an meine innere Schreib­zim­mer­tür klopft. Denn wie sagte eine Figur in einem mei­ner ande­ren Bücher ein­mal: „Alles ist mög­lich – eines Tages.“

BK: Was glau­ben Sie, warum gru­seln wir uns gerne?

GS: Das hängt ver­mut­lich mit dem freien Spiel der Fan­ta­sie zusam­men, dem wir in unse­rem All­tag nicht immer den Raum geben kön­nen, den es braucht. Es lässt uns auf spie­le­ri­sche Weise neue Erfah­run­gen sam­meln, treibt uns an unsere Gren­zen oder auch dar­über hin­aus und führt uns damit zu grö­ße­rer inne­rer Stärke. In Kon­fron­ta­tion mit unse­ren Ängs­ten ler­nen wir immer wie­der aufs Neue, was eigent­lich in uns steckt, und wie wir anfäng­lich schein­bar Unüber­wind­ba­res dann doch bezwin­gen kön­nen. Und dann ist es natür­lich auch ein Aben­teuer. Der Ner­ven­kit­zel macht Spaß, es ist span­nend, unheim­li­che Situa­tio­nen durch­zu­ste­hen, sofern wir uns ihnen frei­wil­lig aus­set­zen und in dem Bewusst­sein, dass alles gut für uns aus­ge­hen wird, z.B. in der Geis­ter­bahn – oder eben bei der Lek­türe eines gru­se­li­gen Buchs.

BK: Wie war das bei „Emily Bones“ – das Buch rich­tet sich ja an Kin­der ab zehn. Wie viel Gru­sel darf man denen zumuten?

GS: Ich glaube ja daran, dass es für jede Geschichte genau eine Mög­lich­keit gibt, sie zu erzäh­len – einen ein­zi­gen rich­ti­gen Weg. Wenn man ihr und ihren Figu­ren zuhört, wird sie nicht auf Abwege kom­men. So ist es auch bei Emily gewe­sen. Inso­fern habe ich mich wäh­rend des Schrei­bens nie gefragt, ob die­ses oder jenes für Kin­der zumut­bar ist oder nicht, son­dern ein­fach genau hin­ge­hört, was die Geschichte aus sich selbst her­aus gefor­dert hat.

„Emily Bones“ ist natür­lich hin und wie­der gru­se­lig, immer­hin spielt die Geschichte haupt­säch­lich auf einem Fried­hof, inklu­sive eini­ger mehr oder min­der düs­te­rer Bewoh­ner. Aber Gru­sel darf nie zum Selbst­zweck wer­den. Er ist für mich dann gelun­gen, wenn er dazu dient, meine Figu­ren – und damit auch meine jun­gen Leser – über sich selbst hin­aus­wach­sen zu las­sen, innere Stärke zu ent­wi­ckeln und eigene Gren­zen aus­zu­lo­ten. Und nicht sel­ten lehrt er uns, dass die Dinge oder Wesen, vor denen wir Angst haben, in Wahr­heit gar nicht zum Fürch­ten sind. So lernt auch Emily, dass es nicht der Schein ist, der zählt, son­dern das, was dahin­ter steckt. Diese Erfah­rung ist mei­nes Erach­tens gerade in der heu­ti­gen Zeit so wich­tig wie sel­ten zuvor.

BK: Sie sind nach dem Stu­dium ein Jahr lang durch Europa gereist. Was haben Sie auf der Reise erlebt?

GS: Da könnte ich Bücher fül­len, um diese Frage zu beant­wor­ten, und selbst dann wäre ihr ver­mut­lich nicht Genüge getan. Ich bin an Orten gewe­sen, die ich mir nicht hätte vor­stel­len kön­nen, zum Bei­spiel am Tor zur Unter­welt in Grie­chen­land, in einer ein­sa­men Schlucht, in der es so still war, dass ich die Flü­gel­schläge eines Vogels hören konnte, auf einem nächt­li­chen Platz in Lis­sa­bon, auf dem Men­schen der unter­schied­lichs­ten sozia­len Schich­ten mit­ein­an­der getanzt haben, wort­los und mit einem Lächeln. Ich habe Geschich­ten gehört, die so ein­zig­ar­tig, fan­tas­tisch, wun­der­bar sind, dass ich sie für immer als fun­keln­den Schatz in mir bewah­ren werde, von den Men­schen, die mir begeg­net sind, ganz zu schwei­gen. Und ich habe etwas gelernt, das ich nie wie­der ver­ges­sen werde: Geschich­ten und Wun­der umge­ben uns über­all. Wir müs­sen nur hin­se­hen, und die Welt wird sich vor unse­ren Augen ver­wan­deln – und wir uns mit ihr.

BK: Ihre Bücher sind ja auch sonst mit, ich sage mal zwie­lich­ti­gen, Gestal­ten bevöl­kert: Gar­go­yles, der Sohn von Luzi­fer, Dra­chen… Woher kommt Ihr Inter­esse daran?

GS: Ich stelle die These auf: Es gibt keine leben­di­gen Figu­ren, die nicht in irgend­ei­ner Weise auch zwie­lich­tig sind – ob nun in einer Buch­welt oder in unse­rer rea­len Wirk­lich­keit. Das, was auf den ers­ten Blick düs­ter und unheim­lich erscheint, ist oft gerade das Gegen­teil, und das schein­bar Schöne birgt nicht sel­ten schreck­li­che Abgründe. Diese Viel­schich­tig­keit ist mir wich­tig, und sie spie­gelt sich in all mei­nen Geschich­ten. Meine Gar­go­yles sind keine fins­te­ren Dämo­nen, son­dern lie­bende, sehn­süch­tige, emp­find­same Geschöpfe, mein Teu­fels­sohn ist vor allem ande­ren ein Junge, der sei­nen Weg sucht, sich selbst treu blei­ben will und dabei bereit ist, sich selbst für seine Freunde zu opfern, und meine Dra­chen tra­gen mehr Poe­sie in sich als Feuer und Rauch. Und da sind wir auch schon bei einem mei­ner Leit­wör­ter: Poe­sie. Sie ver­birgt sich oft gerade dort, wo wir sie nicht erwar­ten, und nicht sel­ten ist es beson­ders das zunächst Fremde, bedroh­lich oder selt­sam Erschei­nende, das die größ­ten Wun­der für uns bereit hält.

BK: Was für Bücher lesen Sie denn eigent­lich selbst gerne?

GS: Auch hier könnte ich lange erzäh­len und würde trotz­dem kein Ende fin­den, des­halb sage ich: Am liebs­ten lese ich span­nende Geschich­ten. Dabei lasse ich mich weder von Gen­re­gren­zen noch von Alters­emp­feh­lun­gen beschrän­ken. Zwei mei­ner Lieb­lings­bü­cher sind „Der Spie­gel im Spie­gel“ von Michael Ende und „Wer die Nach­ti­gall stört“ von Har­per Lee.

BK: Sie wer­den wahr­schein­lich sehr oft danach gefragt, aber: Wie kommt es, dass Sie in einem Zir­kus­wa­gen leben? Und wie ist das so?

GS: Nach mei­ner Euro­pa­reise stand ich vor der Ent­schei­dung, mich an einem Ort nie­der­zu­las­sen, fand aber den Gedan­ken einer Woh­nung selt­sam been­gend, nach­dem ich ein Jahr lang voll­kom­men frei her­um­ge­fah­ren war. Bei Gesprä­chen mit Freun­den kam dann die Idee des Zir­kus­wa­gens auf, die mich nicht mehr los­ge­las­sen hat, und so habe ich mich ent­schlos­sen, das Expe­ri­ment zu wagen. Und ich finde es ganz wun­der­bar. Ich liebe es, dem Regen zuzu­hö­ren, wenn er auf das Dach pras­selt, ich mag das Knis­tern im Ofen im Win­ter und es gibt kaum etwas Schö­ne­res, als rings herum Bücher zu haben, die sich bis zur Decke sta­peln. Auch mein Zir­kus­wa­gen ist ein Teil mei­nes Kon­zepts – ein Stück Poe­sie in der Wüste unse­rer Welt.

BK: Dann habe ich noch unsere bei­den typisch bücher­städ­ti­schen Fra­gen: Wenn Sie ein Buch wären, wel­ches wäre das dann? Und aus wel­chem Grund?

GS: Ich wäre ver­mut­lich ein Buch mit lee­ren Sei­ten, weil meine Geschichte noch erzählt wer­den muss.

BK: Und gibt es eine Frage, die Sie sich schon immer für ein Inter­view gewünscht haben? Was wür­den Sie antworten?

GS: Ja, es gibt immer wie­der neue Fra­gen, die ich mir wün­sche. Aber ich werde sie nicht ver­ra­ten. Denn auch Inter­views sind Geschich­ten und damit Aben­teuer – und sie wären lang­wei­lig, wenn man schon wüsste, wann was passiert.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Todes­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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