Gesellschaftssatire mit philosophischem Gedankengut

by Bücherstadt Kurier

„Willst du nicht so gut sein, ein­mal dar­über nach­zu­den­ken, was dein Gutes täte, wenn das Böse nicht wäre, und wie die Erde aus­sähe, wenn die Schat­ten von ihr ver­schwän­den? Kom­men doch die Schat­ten von den Din­gen und den Men­schen. Da ist der Schat­ten mei­nes Degens. Aber es gibt auch die Schat­ten der Bäume und der Lebe­we­sen. Du willst doch nicht etwa den Erd­ball kahl­sche­ren, alle Bäume und alles Lebende von ihm ent­fer­nen und deine Phan­ta­sie kah­lem Licht ergöt­zen? Du bist dumm.“

Mos­kau Anfang des 20. Jahr­hun­derts. Der Teu­fel in der Iden­ti­tät des Aus­län­ders „Volands“ erscheint samt Gefolg­schaft in der Kar­wo­che. Der Zeit­punkt ist wohl erdacht und die Haupt­hand­lung eng mit dem Roman des Prot­ago­nis­ten, der sich Meis­ter nennt, ver­strickt, wel­cher von der Hin­rich­tung Jesu Christi han­delt. Doch wer glaubt denn tat­säch­lich, dass Jesus exis­tierte? Bul­ga­kow eröff­net den Roman mit eben die­ser Dis­kus­sion, wel­cher sich zwei Bür­ger hin­ge­ben – bis sich der Teu­fel dazu­ge­sellt und sich unge­fragt ein­mischt. Wie Domi­no­steine tippt er eine Men­schen­seele nach der ande­ren an und bringt sie zu Fall. Seine Gehil­fen stif­ten Unruhe, ver­wir­ren die Gemü­ter, tre­ten als Nar­ren in Erschei­nung, wel­che die Satire zur Spitze trei­ben, bis die Stadt eine reine Farce ist. Doch zwei Gestal­ten blei­ben ver­schont: der Meis­ter und seine Geliebte Margarita.

„Wer liebt, muss das Los des­sen tei­len, den er liebt.“

Das Lie­bes­paar ver­lor sich lange aus den Augen, die Zeit nagte an ihren Her­zen, Trau­er­fal­ten leg­ten sich wie Schleier über ihre ein­same Exis­tenz. Doch Voland gibt sei­nen all­jähr­li­chen Ball und benö­tigt eine Köni­gin – Mar­ga­rita schließt einen Pakt mit dem Teu­fel. Und wird belohnt.

„Horch, die Stille, horch und genieße das, was dir nie im Leben gege­ben war – die Lautlosigkeit.“

Bul­ga­kow zeich­net auf wit­zige, kari­ka­tive Art ein Bild des rea­len Mos­kaus Anfang des 20. Jahr­hun­derts. Doch kop­pelt er diese Gesell­schafts­sa­tire mit phi­lo­so­phi­schem Gedan­ken­gut über das Gute und Böse, Gott und Teu­fel, Leben und Tod und lässt von Zeit zu Zeit Par­al­le­len zu Goe­thes Faust auf­blit­zen. Des Teu­fels Taten zei­gen sich stets durch­dacht und die Spinne schnappt im Netz sei­ner Intri­gen zu: Es ist die größte Sünde die Feig­heit. Als roter Faden zieht sie sich durch den Roman und lässt die oft erst auf den zwei­ten Blick ersicht­li­che Gerech­tig­keit walten.
Mit jedem Satz, jeder Kon­ver­sa­tion müs­sen wir uns unwei­ger­lich ein­ge­ste­hen: Wir haben es mit einem Meis­ter­werk zu tun, mit einem Genie! An was glau­ben wir, wovor müs­sen wir zit­tern? An was glau­ben wir nicht und kön­nen uns auch dem­nach nicht zur Wehr set­zen? Lohnt es an etwas zu glau­ben, wofür uns das Sys­tem unter­drückt, wenn wir die­sen Din­gen einen Namen geben? Oder ist Feig­heit eine Bequem­lich­keit eigene beschränkte Inter­es­sen zu ver­fol­gen? In die­ser Spuk­ge­schichte fin­den wir die Antwort.

Bul­ga­kow erschafft Figu­ren, die in ihrer über­spitz­ten Dar­stel­lung ins Unreale abzu­drif­ten schei­nen, doch uns nach der Lek­türe im rea­len Leben nicht mehr los­las­sen. Wie ein Zeck sitzt der Teu­fel uns im Nacken, beob­ach­tet uns, ermahnt uns. Wir erschau­dern und wer­den still – und genie­ßen es still zu sein in die­ser lau­ten, star­ren Welt. Denn ist das wirk­lich real, was wir den­ken zu glauben?

Nicole
urwort​.com

Der Meis­ter und Mar­ga­rita, Michail Bul­ga­kow, Tho­mas Reschke (Über­set­zer), Samm­lung Luch­ter­hand, 2006
Ein Bei­trag zum Lese­pro­jekt “Rus­si­sche Literatur”.

Weiterlesen

4 comments

schifferw 28. September 2014 - 17:24

Das gibt es jetzt auch als Hör­spiel­be­ar­bei­tung durch Klaus Buh­lert und als Hör­buch, aber auf Basis der Neu­über­set­zung von Alexn­der Nitz­berg! Nur als Tipp für Interessierte...

Reply
Bücherstadt Kurier 28. September 2014 - 17:26

Vie­len Dank für den Hinweis! 🙂

Reply
Leseprojekt: Russische Literatur | Bücherstadt Kurier 11. Oktober 2014 - 13:07

[…] von Alex­an­der Pusch­kin „Wind – Die Chro­ni­ken von Hara“ von Ale­xey Pehov „Der Meis­ter und Mar­ga­rita“ von Michail Bul­ga­kow „Die Teu­fels­schau­kel“ von Fjodor […]

Reply
Tanja 14. Dezember 2014 - 19:22

Habe das Buch gerade zu Ende gele­sen – in Ori­gi­nal­spra­che – und bin sehr beein­druckt... Die Rezen­sion von Nicole hat auch meine Emp­fin­dun­gen ziem­lich gut getroffen.
Ein tol­les Buch!

Reply

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr