Hart, härter, das Leben

by Worteweberin Annika

Macht ein Wochen­ende im Tro­pi­cal Islands glück­lich, wenn einem die Pro­bleme über den Kopf wach­sen? Kön­nen Witze das Leben erträg­li­cher machen? Worte­we­be­rin Annika hat Giu­lia Beckers hoch­ge­lob­tes Debüt „Das Leben ist eins der Här­tes­ten“ gele­sen – zwar nicht im Tro­pi­cal Islands, aber im Sommerurlaub.

Vier Pro­vinz­ler machen sich aus dem beschau­li­chen Ost­west­fa­len auf den Weg ins ver­hei­ßungs­volle Erleb­nis­bad Tro­pi­cal Islands. Sie wol­len Frau Goe­bels letz­ten Wunsch erfül­len und all den gro­ßen und klei­nen Pro­ble­men ihres All­tags ent­kom­men. Silke stot­tert seit Jah­ren ihre Sozi­al­stun­den bei der Bor­ke­ner Bahn­hofs­mis­sion ab, weil sie im Zug die Not­bremse gezo­gen hat. Nach die­sem ein­ma­li­gen Akt des Auf­be­geh­rens und der Selbst­ver­wirk­li­chung ist sie immer für die ande­ren da; gerade ver­sucht sie das Geld für die Behand­lung eines krebs­kran­ken Obdach­lo­sen ein­zu­trei­ben. Willy-Mar­tin pflegt die Zucht­tau­ben des orts­an­säs­si­gen Gra­fen und sucht beim Online-Knif­fel nach etwas Nähe. Und die extro­ver­tierte Renate ist nach dem Tod ihres Schoß­hünd­chens dem Tele­shop­ping ver­fal­len und ertrinkt in Pake­ten voll prak­ti­scher Solar­leuch­ten, Vaku­um­ier­ge­rä­ten und Entsaftern.

Lachen ist nicht immer die beste Medizin

„Das Leben ist eins der Här­tes­ten“ ist wie ein Witz ohne Pointe. Wäh­rend Autorin­nen wie Sophie Divry dem Elend durch beson­dere sprach­li­che Gestal­tung etwas abge­win­nen kön­nen, macht Becker gro­tesk über­spitzte Witze über all das Schlimme im All­tag. Dar­über zu lachen, dass das Hünd­chen Man­da­rine Schatzi in der Punika-Fla­sche ertrinkt oder der neue Chef im Opti­mie­rungs­wahn ein Hips­ter-Café aus der Bahn­hofs­mis­sion machen will, scheint jedoch nicht immer weit zu führen.

Giu­lia Becker ist fes­tes Mit­glied im Autoren­team von Jan Böh­mer­mann und damit Profi darin, Witze zu schrei­ben. Natür­lich führt die Autorin ihren Lese­rin­nen und Lesern vor Augen, wie schief unsere Gesell­schaft gestrickt ist – aber würde diese Kri­tik nicht auch funk­tio­nie­ren, ohne bestimmte Figu­ren vor­zu­füh­ren? So ertrin­ken die intel­li­gen­ten Gedan­ken der Autorin und die zar­ten, tra­gi­schen Momente der Geschichte in unglaub­wür­di­gen Situa­tio­nen, genau wie der „Flat­ter­mann“ von Willy-Mar­tins hun­de­lie­ben­der Mut­ter in viel zu viel Alko­hol. Zurück bleibt in bei­den Fäl­len ein Brumm­schä­del, der nicht zwangs­läu­fig von Ein­sicht beglei­tet wird.

Ach, die­ses Leben

Der Auf­bau – eine unge­plante Reise als Zen­trum des Hand­lungs­ver­laufs – erin­nert an Road-Novels oder Initia­ti­ons­ge­schich­ten. Doch die Prot­ago­nis­ten blei­ben nach der Rück­kehr so ver­stockt, so vom Unglück ver­folgt, fast schon sol­che Witz­fi­gu­ren wie davor und so löst der Roman die­ses Ver­spre­chen nicht ein. Am Ende bleibt es für fast alle, wie es war, das Leben ist wei­ter­hin eins der Här­tes­ten, Silke noch immer nur für die ande­ren da, Willy-Mar­tin nun eben arbeits­lo­ser und unglück­lich ver­lieb­ter Tau­ben­züch­ter im Online-Knif­fel-Wahn und Renate sowieso hoff­nungs­los ver­lo­ren. Der Sehn­suchts­ort Tro­pi­cal Islands war dann irgend­wie doch nur ein Frei­zeit­park und nicht die Lösung aller Pro­bleme. Nur einem wurde nicht ganz so übel mit­ge­spielt, doch aus­ge­rech­net dem­je­ni­gen ist viel­leicht schon gar nicht mehr zu hel­fen. Klar, so ist es manch­mal, das Leben, doch dar­über wur­den schon bes­sere Romane geschrieben.

„Das Leben ist eines der Här­tes­ten“ wird Böh­mer­mann-Fans und all jenen gefal­len, die der­ben Humor und über­spitzte Gro­tes­ken schät­zen. Wer es sub­ti­ler mag, sollte bes­ser die Fin­ger von die­sem hoch­ge­lob­ten Debüt las­sen oder einen lan­gen Atem haben, um unter der Schicht Komö­die des Pudels Kern zu finden.

Das Leben ist eins der Här­tes­ten. Giu­lia Becker. Rowohlt Hun­dert Augen. 2019.

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