Hinter den Kulissen von „Stolz und Vorurteil“

by Bücherstadt Kurier

Was pas­sierte eigent­lich im Hin­ter­grund, wäh­rend sich Eliza­beth Ben­net unsterb­lich in Mr. Darcy ver­liebte? Was mach­ten wäh­rend­des­sen die Haus­an­ge­stell­ten? Die­ses Gedan­ken­ex­pe­ri­ment hat die eng­li­sche Autorin Jo Baker gewagt und ent­stan­den ist dar­aus der Roman „Im Hause Long­bourn“. Worte­we­be­rin Annika hat nach­ge­le­sen, für wen er sich lohnt.

Über 200 Jahre ist es inzwi­schen her, dass Jane Aus­tens Roman „Stolz und Vor­ur­teil“ erschien und die Her­zen der Leser(innen) im Sturm eroberte, doch auch heute noch ist die gesell­schafts­kri­ti­sche Lie­bes­ge­schichte beliebt wie kaum eine andere. Neben zahl­rei­chen Ver­fil­mun­gen ist Aus­tens Klas­si­ker auch auf dem Buch­markt immer noch rele­vant. In Jo Bakers Roman „Im Hause Long­bourn“ geht es aller­dings nicht mehr pri­mär um Lizzy, Jane und ihre Schwes­tern, son­dern um die, die hin­ter den Kulis­sen ste­hen: Die Haus­mäd­chen, Köchin­nen, Stall­bur­schen und Diener.
Die Hel­din des Romans ist das Haus­mäd­chen Sarah, das schon seit Kin­der­ta­gen im Hause Long­bourn in Anstel­lung ist und sich mit den ande­ren Die­nern um die Wäsche, das Essen und den Haus­halt der Fami­lie Ben­net küm­mert. Eigent­lich aber sehnt sie sich nach der Frei­heit und einem Leben weit ab von Long­bourn. Als der neue Haus­die­ner James Smith auf­taucht, ist Sarah zuerst skep­tisch, denn er scheint ein dunk­les Geheim­nis zu hüten. Und auch James geht Sarah aus dem Weg, jedoch hat er andere Motive: Er ver­sucht, seine für die junge Die­ne­rin auf­kei­men­den Gefühle zu unter­drü­cken. Dies gelingt ihm aller­dings nicht und schließ­lich erkennt auch Sarah, dass sie mehr für James emp­fin­det. Alles könnte nun so schön sein, wäre da nicht noch James dunk­les Geheim­nis, das ihn und Sarah wie­der auseinandertreibt...

Roman­tik nach Schema F

Wer schon ein­mal einen Film von Rosa­munde Pil­cher oder Inga Lind­ström im Fern­se­hen ver­folgt hat, dem könnte das Mus­ter von Bakers Roman bekannt vor­kom­men: Ein jun­ges Mäd­chen trifft auf ihren Traum­prin­zen mit dunk­ler Ver­gan­gen­heit, die bei­den strei­ten sich ein biss­chen, fin­den dann doch zusam­men, aber wer­den durch einen Schick­sals­schlag wie­der getrennt, den sie nur über­win­den kön­nen, weil ihre Liebe zuein­an­der so stark ist. Im Falle von „Im Hause Long­bourn“ ist das ganze ein­mal in die Ver­gan­gen­heit kata­pul­tiert wor­den, so dass nun nicht mehr Bör­sen­crashs oder Auto­un­fälle dem Glück des Paa­res im Wege ste­hen, son­dern die Armee und das Dienst­ver­hält­nis der Prot­ago­nis­ten. Trotz­dem ist die Geschichte nicht weni­ger voraussehbar.
Das allein mag noch kein Pro­blem sein, schließ­lich funk­tio­nie­ren auch zahl­rei­che Lie­bes­ro­mane nach dem glei­chen Schema und wer­den trotz­dem begeis­tert ver­schlun­gen. Von einer Geschichte, die sich auf den Klas­si­ker „Stolz und Vor­ur­teil“ beruft und sich die­sen als Vor­bild nimmt, könnte man den­noch etwas mehr erwar­ten, als einen 08/15-Plot. Natür­lich muss man dem Roman zuge­ste­hen, dass der Ver­lauf der Geschichte schön aus­ge­ar­bei­tet ist und man, wenn man sich dar­auf ein­lässt, eine solide Geschichte gelie­fert bekommt. Nur den Ver­gleich mit „Stolz und Vor­ur­teil“ sollte man bes­ser meiden.

Ein gro­ßes Vorbild

Das gilt auch für die Spra­che. Jane Aus­tens Romane begeis­tern viele Leser wegen ihrer fas­zi­nie­ren­den und aus heu­ti­ger Sicht eher alt­mo­disch anmu­ten­den sprach­li­chen Gestal­tung und der gewitz­ten Erzäh­le­rin. Nichts davon fin­det sich bei Jo Baker. Mag sein, dass es heute nicht mehr modern wäre, so zu schrei­ben wie es Jane Aus­ten vor über 200 Jah­ren getan hat. Aber schön wäre es trotz­dem gewe­sen, jeden­falls für die­je­ni­gen, die das Vor­bild ken­nen und schätzen.
Eben­jene wer­den wohl auch über man­che Ent­hül­lung, die Baker über die Hel­din­nen aus „Stolz und Vor­ur­teil“ macht, nicht sehr begeis­tert sein. Wem Lizzy, Jane, Mr. Darcy und Kon­sor­ten ans Herz gewach­sen sind, der wird sicher­lich nicht gerne lesen, dass diese sich rück­sichts­los gegen­über ihren Dienst­bo­ten ver­hal­ten, eigent­lich viel ober­fläch­li­cher sind als gedacht und viel­leicht sogar eine Lei­che im Kel­ler lie­gen (oder halt ein unehe­li­ches Kind mit der Haus­häl­te­rin gezeugt) haben. Allein schon das kann eine eher nega­tive Grund­ein­stel­lung her­auf­be­schwö­ren, die es schwer macht, mit den Hel­den aus „Im Hause Long­bourn“ zu sympathisieren.

Unter­hal­tung für Romantiker(innen)

Trotz all den Beschwer­den muss man „Im Hause Long­bourn“ aber zuge­ste­hen, dass die Idee des Romans eine sehr schöne ist, näm­lich zu erzäh­len, was so alles im Hin­ter­grund abläuft, ohne dass die Herr­schaf­ten es bemer­ken. Auch, dass die Erzäh­lung sowohl am Anfang als auch am Ende über Aus­tens Vor­lage hin­aus­reicht, ist inter­es­sant. Beson­ders schön ist die Ein­bet­tung der ein­zel­nen Kapi­tel in das Ori­gi­nal: Als Kapi­tel­über­schrift dient jeweils ein Zitat aus „Stolz und Vor­ur­teil“, das es auch leich­ter macht, das Kapi­tel eben dort zu verorten.
Ins­ge­samt ist „Im Hause Long­bourn“ solide Unter­hal­tung für Romantiker(innen) und Fans des 19. Jahr­hun­derts. Für Fans von „Stolz und Vor­ur­teil“ hin­ge­gen scheint es eher weni­ger geeig­net, solange diese mit der Erwar­tung eini­ger Ent­hül­lun­gen oder gar einer zwei­ten Jane Aus­ten an die Lek­türe her­an­ge­hen. Wer hin­ge­gen die Geschichte für sich und eher unab­hän­gig von der Vor­lage betrach­tet, könnte in die­sem Roman auch eine recht ver­gnüg­li­che Lek­türe entdecken.

Im Hause Long­bourn. Jo Baker. Aus dem Eng­li­schen von Anne Rade­ma­cher. Knaus. 2014.

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frannym 11. Februar 2016 - 19:28

Ach, schade. Ich bin ein gro­ßer Fan von „Stolz und Vor­ur­teil“ und wollte die­sen Roman eigent­lich auch lesen. Aber Lie­bes­ro­mane nach Schema F sind über­haupt nichts für mich. Trotz­dem eine inter­es­sante Grund­lage, die sich die Autorin da aus­ge­sucht hat. 🙂

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worteweberinannika 13. Februar 2016 - 15:26

Ja, die Grund­lage fand ich auch super, aber hatte mir deut­lich mehr von die­sem Buch erwar­tet. Dann doch lie­ber noch ein­mal das Ori­gi­nal lesen 😉

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