Hochschauen

by Bücherstadt Kurier

Mor­gen ist ein gro­ßer Tag in der Enten­schule, denn die Küken sol­len erzäh­len, was sie ein­mal wer­den möch­ten. Das bringt Abwechs­lung in den Unter­richt, der sich ansons­ten meist ums Flie­gen, Schwim­men, Tau­chen und die hohe Kunst des Grün­delns dreht. Des­we­gen freuen sich schon jetzt alle beson­ders dar­auf, über ihre Zukunfts­wün­sche zu qua­ken – alle, bis auf das Qua­kerle, das weiß näm­lich noch nicht, was es über­haupt sagen soll. Sein flau­schi­ges Enten­brüst­chen ist klamm, ihm ist rich­tig bang, als es in sei­nem Nest­chen sitzt, über­legt und zu den Baum­wip­feln guckt, in denen sich Sing­vö­gel tum­meln. Und wie es da sitzt und schwitzt, kommt Tant­chen Quak­hilde geschwom­men. „Hallo, lie­bes Qua­kerle, was siehst du auch so bedrückt drein?“
„Oh Tant­chen, die Haus­auf­ga­ben für mor­gen sind’s“, fiept es trau­rig. „Die berei­ten mir Kummer.“
„Ja was? Dabei magst du die Schule.“ Erstaunt rudert Quak­hilde näher zum Nest­chen. „Na los, ver­rate der alten Ente deine Sor­gen wegen Mor­gen.“ Es zögert bloß kurz, dann beich­tet das Qua­kerle seine Rat­lo­sig­keit und je mehr es ver­rät, desto tie­fer und tie­fer sinkt sein Herz – unge­machte Haus­auf­ga­ben, sowas darf ein­fach nicht pas­sie­ren! Tant­chen Quak­hilde hört hin, nickt hier und da, bevor sie die Flü­gel streckt und erklärt: „Also, also, Qua­kerle, das ist nun gewiss kein Pro­blem.“ Sie unter­bricht das Geschnat­ter, deu­tet um sich herum und lacht sich krumm. „Der Teich ist vol­ler Enten, es wird sich bestimmt ein Vogel fin­den las­sen, der dir als Vor­bild dient. Deine Mama viel­leicht, oder der Papa, der Quak­fritz im Schilf oder die Quakanna beim Flüss­chen?“, schlägt das Tant­chen vor. „Los, watschle rum, von Ente zu Ente und du wirst sehen, das mit der Zukunft kann dir nicht lange aufs Gemüt gehen.“ Sie klopft dem Spröss­ling aufs Köpf­chen und schwimmt mun­ter von Dan­nen. Zurück bleibt das Kleine, das, neuen Mut geschöpft, seine Feder­chen auf­plus­tert und hoff­nungs­voll aus dem Nest­chen schlüpft.
Zuerst trifft es den Quakt­ohr, den bes­ten Gründ­ler des Sees, sein Hin­ter­ge­fie­der in der Höh, den Rest im seich­ten Was­ser. „Du, Quakt­hor“, piept das Qua­kerle klein­laut über den Gesang der edlen Fin­ken, als der Erpel Luft holt.
„Ja“, erwi­dert er mür­risch, das Gefie­der vol­ler Schlamm. „Was willst du?“
„Ich soll her­aus­fin­den, was ich spä­ter wer­den will“, beginnt es scheu und fügt an, nur wegen der Schule würde es den Gründ­ler stören.
„Aha. Und was habe ich damit zu tun?“ Er schüt­telt sich hef­tig, spritzt Dreck und See­bo­den­mo­der umher und das Qua­kerle weiß sofort, Gründ­ler wer­den will es nicht so sehr.
„Ach“, seufzt es ver­le­gen, „hat sich erle­digt“ und pad­delt rasch davon. Nein, nein, denkt es bei sich, der­ma­ßen dre­ckig will es nim­mer sein. „Ohne mich!“
Wenig spä­ter da kommt es bei Qua­kute vor­bei, die zupft Schilf, guckt hoch und flö­tet mit vol­lem Schna­bel: „Oh, Hallo.“
Ohne Umschweife fragt das Qua­kerle frech: „Was machst du da?“ Die Ange­spro­chene speit und spuckt, damit sie sich ja nicht ver­schluckt, dann meint sie gelas­sen: „Ich sammle Halme und Zeugs, für Nes­ter und Fut­ter. Willst du mal anfas­sen?“ Auch Quak­fritz stößt dazu, flat­tert fidel und gibt liebe Worte an die Mut­ter hinzu. „Deine Mama soll vor­bei­schauen, ich hab da ein Bün­del für sie. Komm her und wir zei­gen es dir.“ Die Neu­gier geweckt wagt sich das Qua­kerle ins grüne Ver­steck, doch nach weni­gen Minu­ten ist ihm klar, mehr als lang­wei­li­ges Gra­sen und Sam­meln geschieht im Schilf­wald nicht.
„Vie­len Dank, Qua­kute, auch dir danke, Quak­fritz, aber nun muss ich wei­ter“, sagt es freund­lich lächelnd, bevor es beglei­tet vom zwit­schern­den Sing­sang aufs offene Was­ser entschwindet.
Die Strö­mung wird stär­ker, je näher es dem Flüss­chen kommt, die­ses reißt Fische und Steine in den See und manch­mal auch Büschel von grün saf­ti­gem Klee. Wie Tant­chen pro­phe­zeite düm­pelt Quakanna direkt davor herum und sieht sich nach wert­vol­lem Treib­gut um. „Guten Tag, Quakanna“, holt das Kleine aus und sie ent­geg­net: „Na, wie geht’s dir, kleine Enten­maus? Was siehst du so trau­rig aus?“
„Mir geht’s gut, Quakanna, bloß etwas plagt mich, wie du merkst“, ächzt es auf den Was­ser­strom deu­tend und fährt fort: „Darf ich dir zuse­hen beim Ver­rich­ten dei­nes Werks?“ Die Enten­dame stimmt zu und das Qua­kerle pad­delt ans Fluss­ufer, um ihr Gesell­schaft zu leis­ten. Sie zerrt eif­rig wei­ter, treibt ihre Auf­räum­ar­bei­ten hei­ter und för­dert, man glaubt es nicht, leckere Würm­chen und Schne­cken ans Licht.
„Nimm dir ein Stück“, bie­tet sie an und ins Geplät­scher des Was­sers und des son­ni­gen Zir­pens mischt sich ihr fröh­li­ches Jauch­zen. Begeis­tert schnappt sich das Kleine die dar­ge­bo­te­nen Hap­pen, nur wer­den bald schon seine Füß­chen kalt, frie­ren in der Glet­scher­schmelze. Kein Bis­sen der Welt kann diese Eises­kälte wett­ma­chen, nicht mal Quakan­nas schö­nes Lachen, also hüs­telt das Ent­chen leise: „Ich ziehe mal wei­ter auf mei­ner Reise.“
Der Abend naht und das Nest­chen ruft, so geht das Qua­kerle zur Mut­ter zurück, die es begrüßt ganz ver­zückt. „Lie­bes, da bist du ja!“
„Mama, ich werd‘ noch ver­rückt“, jam­mert der Winz­ling und flüch­tet in ihre Schwingen.
„Die Haus­auf­ga­ben?“, will sie wissen.
„Ja, die sind total beschi…“
„Qua­kerle!“, fährt sie ihm dazwi­schen. Das böse Fun­keln ihrer Enten­au­gen weicht sogleich einem mil­de­ren Aus­druck, als sie des Spröss­lings Ver­zweif­lung ent­deckt. „Na, na“, brummt sie gelind, „Erzähl mir deine Sor­gen geschwind.“
Über­all sei es gewe­sen, fängt es bit­ter an. Ihm scheine es die Zukunft einer klei­nen Ente wie ihm, bestünde gerade mal aus Grün­deln im Schlamm und Lan­ge­weile im Schilf und Frie­ren am Fluss, das sei der reinste Über­druss. „Wäre ich ein Sing­vo­gel“, schwärmt das Qua­kerle selig ent­rückt, „das wäre mein größ­tes Glück!“
„Ein Sing­vo­gel?“, erkun­digt sich die Henne Mama und nimmt ihr Küken fest in den Arm.
„Ja, ein Vogel der singt und hoch oben im Baum, ihn jagen kann, sei­nen Traum.“ Wie zum Zei­chen des Wohl­ge­fal­lens pfeift ein win­zi­ger Spatz ein Lied­chen, da been­det das Qua­kerle sei­nen Satz: „Lei­der bin ich eine Ente und das ist für meine Sing­ka­riere schon das Ende.“ Die Mut­ter strei­chelt seine kur­zen Flü­ge­lein, zum Segeln durch die Lüfte tau­gen sie kaum – ist es wirk­lich aus mit des Qua­ker­les Traum?
Stun­den vergeh’n und der Abend wird zur tief­schwar­zen Nacht, in der die Mama plötz­lich erwacht. Eine Idee war ihr im Schlaf gekom­men und sie hat sie wei­ter­ge­spon­nen, sodass es ihr kei­nes­falls gelingt, das Qua­kerle bis zum Mor­gen in Unwis­sen­heit zu belas­sen. „Qua­kerle“, flüs­tert sie in freu­di­ger Auf­re­gung. „Lie­bes, werd‘ wach, ich weiß wie du’s machst!“
„Mama?“ Es plus­tert sich gäh­nend zur flau­schi­gen Kugel. „Ist bereits Morgen?“
„Nein, ich lass dich gleich schla­fen, will dir rasch berich­ten von den Gedan­ken, die mich im Schlum­mer tra­fen.“ Müde, den­noch vol­ler Inter­esse, rich­tet sich das Qua­kerle auf und lauscht ganz gespannt, was sie schnat­tert, die Mama im hübsch-brau­nen Feder­ge­wand. „Kei­ner, weder Geflü­gel, Fisch noch nächt­li­che Sche­men haben dir ver­bo­ten, dir statt Erpel und Ente nicht einen Sing­vo­gel zum Vor­bild nehmen.“
„Das ist rich­tig“, piept das Ent­chen nach­denk­lich und die Mut­ter erläu­tert: „Qua­kerle, ob du eines Tages hoch oben in Baum­kro­nen sin­gen und woh­nen wirst, das, mein lie­bes Enten­kind, ja das liegt alleine an dir.“
„Aber ich kann nicht sin­gen“, quietscht es hän­de­rin­gend. „Jeder Ton ist schief, kräch­zend, ros­tig, viel zu tief!“
„Oh Qua­kerle, das liegt ganz ein­fach daran, dass du zwit­schern willst wie ein Sing­vo­gel, anstelle davon, nach Kräf­ten zu qua­ken wie nur eine Ente das kann.“
„Wie soll ich denn Sing­vo­gel sein, wenn ich kein Sing­vo­gel werde?“, fragt es ver­wirrt, gerade als eine Libelle zwi­schen ihm und der Mama hindurchschwirrt.
„Ein Vor­bild ist kei­nes­wegs eine Scha­blone, viel­mehr ein Weg­wei­ser, der dir dei­nen ganz eige­nen Pfad zeigt. Der Rest der Arbeit liegt an dir, es geht nicht ohne.“ Da end­lich ver­steht das Qua­kerle, seine Zukunft ist offen, es darf sich freuen und hof­fen. Wenn es seine Rich­tung wählt, Ziele sucht, fin­det und ver­folgt, sei­nen Wil­len stählt, wäre ihm das Sin­gen­ten­glück hold.

Rahel Meis­ter (Clue Wri­ting, www​.clu​e​wri​ting​.de)

Illus­tra­tio­nen: Geschich­ten­zeich­ne­rin Celina (Küken), Buch­stap­le­rin Maike

Ein Bei­trag zum Pro­jekt #lit­kin­der. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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