Immer wieder Wunderland

by Zeichensetzerin Alexa

Phoebe im Wunderland2

Hätte der bri­ti­sche Schrift­stel­ler Lewis Car­roll je gedacht, dass seine Geschichte um die kleine Alice, die in ein Wun­der­land fällt, so berühmt wird? Unzäh­lige Male wurde die­ses Werk adap­tiert: Thea­ter, Filme, Spiele und andere Medien bedie­nen sich noch heute die­ser Geschichte oder ver­wei­sen auf sie. Kurz vor dem Kino­start des neuen Films „Alice im Wun­der­land: Hin­ter den Spie­geln“ hat Zei­chen­set­ze­rin Alexa einem Film Auf­merk­sam­keit geschenkt, der zwi­schen Wun­der­land und Rea­li­tät springt.

Über­all Wunderland

„Phoebe im Wun­der­land“ heißt das 2008 erschie­nene Film­drama, das sich um das Mäd­chen Phoebe dreht. Der Film basiert kei­nes­falls rein auf der Buch­vor­lage, son­dern inte­griert diese in Phoebes Geschichte. Über­all ist Wun­der­land: in Phoebes Zim­mer, in der Dok­tor­ar­beit ihrer Mut­ter, im Schul­thea­ter – und schließ­lich auch in Phoebes Kopf. Das Mäd­chen sieht, was andere nicht sehen, sie spricht mit Figu­ren, die aus Wun­der­land kom­men. Natür­lich liegt es da nahe, dass Phoebe sich um die Rolle der Alice fürs Schul­thea­ter bewirbt und diese – wie kann es auch anders sein – tat­säch­lich bekommt.
Phoebe blüht im Thea­ter auf: Wäh­rend sie Alice spielt, ist es, als sei sie in einer ande­ren Welt. Alle Sor­gen sind sogleich ver­ges­sen; hier ist sie keine Außen­sei­te­rin mehr, die ihre Mit­schü­ler anspuckt, weil sie mit der Situa­tion nicht anders umzu­ge­hen weiß. Und hier spielt es keine Rolle, ob sie „selt­sam“ ist oder „nor­mal“.

Phoebe im Wunderland„Selt­sam“

„Selt­sam“ – tat­säch­lich wirkt Phoebe anders als ihre Schwes­ter oder ihre Mit­schü­ler. Doch mit einer Inten­si­tät, die bei einem ver­träum­ten, auf­ge­weck­ten Mäd­chen nicht wirk­lich auf­fäl­lig ist. Warum sollte sich ein Mäd­chen, das sich von ihren Mit­schü­lern bedrängt fühlt, nicht weh­ren dür­fen – und sei es durch Spu­cken? Wes­halb darf ein Kind keine ima­gi­nä­ren Freunde haben? Und aus wel­chem Grund ist es auf ein­mal „selt­sam“, wenn Kin­der aus­spre­chen, was andere ver­let­zen könnte?
Phoebes Ver­hal­ten wäre viel­leicht nicht son­der­lich auf­ge­fal­len, wären da nicht die besorg­ten Eltern und die stren­gen Leh­rer, die sie schein­bar unent­wegt im Auge haben. Es sind ihre Bemer­kun­gen und Dis­kus­sio­nen unte­rei­an­der, wel­che die Frage auf­wer­fen, was an die­sem Mäd­chen denn so „selt­sam“ sei.

Tourette-Syn­drom

Viel­leicht aber ist genau das die Stärke des Films: Den Zuschau­ern wird zunächst der Ein­druck ver­mit­telt, alles sei harm­los und Phoebe ein völ­lig nor­ma­les Kind. Aber sobald man näher an Phoebes Lebens­welt her­an­tritt, ent­deckt man ihr Zwangs­ver­hal­ten, das selbst­zer­stö­re­ri­sche Aus­maße annimmt. Sie muss sich mehr­mals am Tag und sehr lange die Hände waschen. Sie schürft sich die Knie auf, weil sie nicht auf­hö­ren kann, die Trep­pen­stu­fen hoch- und run­ter­zu­sprin­gen. Und irgend­wann ist sie so tief in ihrem eige­nen klei­nen Wun­der­land, dass sie unbe­dacht „springt“.
Zum Ende hin wird klar, wor­auf der Film anspielt: Das Mäd­chen hat das Tourette-Syn­drom, eine Ner­ven­er­kran­kung, die gene­tisch bedingt ist. Plötz­li­che Bewe­gun­gen oder unge­wollte Aus­rufe gehö­ren zu den Anzei­chen der Erkran­kung und lie­fern somit die Erklä­rung für Phoebes Ver­hal­ten: Das Spu­cken, das unab­sicht­li­che Aus­spre­chen von obs­zö­nen Aus­drü­cken und ihr Zwang, sich die Hände zu waschen.

Thea­ter im Theater

Erwäh­nens­wert ist neben dem zen­tra­len Thema die Umset­zung des Films als eine Art „Thea­ter im Thea­ter“. Die Dia­loge der Figu­ren wir­ken, als spiele sich die Geschichte auf einer Bühne ab. Durch den sinn­vol­len Ein­satz von rhe­to­ri­schen Mit­teln kommt die Dra­ma­tik des Films noch bes­ser zum Aus­druck. Und das nicht nur auf der Schul­bühne, auf der Phoebe die Alice spielt. Schau­spiel ist auf jeder Erzähl­ebene greif­bar – wie eine Tür zwi­schen den Wel­ten – und dadurch ist alles mög­lich: Wun­der­land ist überall.

Phoebe im Wun­der­land. Regie und Dreh­buch: Daniel Barnz. Schau­spie­ler: Elle Fan­ning (Phoebe Lich­ten), Feli­city Huff­man (Hil­lary Lich­ten), Patri­cia Clark­son (Miss Dod­ger), Ian Col­letti (Jamie) u.a. USA, 2008. Ab 6 Jahren.

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2 comments

Seitenkünstler Aaron 20. Mai 2016 - 15:07

Soweit ich mich erin­nere, besteht die­ser Film den Bechdeltest.

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27. Mai 2016 - 13:14

Stimmt! Es geht hier nicht nur um Männer! 😉

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