In elf Episoden zum Glück

by Bücherstadt Kurier

„Schon klar, das Leben kann ab und an und vor allem jetzt ver­lan­gen, unge­stüm gelebt zu wer­den. Aber des­we­gen musst du dich doch nicht tot stellen.“

In elf Epi­so­den beglei­tet der Leser von Judith Kuck­arts neus­tem Roman „Dass man durch Bel­gien muss auf dem Weg zum Glück“ die zumeist ziem­lich gewöhn­li­chen Prot­ago­nis­ten. Schein­bar zufäl­lig sind die in Dres­den, Ber­lin und Stutt­gart leben­den Figu­ren mit­ein­an­der ver­bun­den. Wie in einem Kri­mi­nal­ro­man begibt sich der Leser auf die Suche nach Zusam­men­hän­gen zwi­schen den Schick­sa­len der Prot­ago­nis­ten. Judith Kuck­art, die bereits 1990 mit ihrem ers­ten Roman „Wahl der Waf­fen“ als Schrift­stel­le­rin bekannt und viel­fach für ihre Romane aus­ge­zeich­net wurde, ist in die­sem Jahr für den Preis der Lite­ra­Tour Nord nomi­niert. Neben fünf wei­te­ren Autoren nimmt Sie an einer Lese­reise durch den Nor­den Deutsch­lands teil. Am 07.02.2016 wird sie im Café Ambi­ente in Bre­men aus ihrem aktu­el­len Roman lesen.

Ein Buch wie ein Film

Kuck­art, die neben ihren Roma­nen auch Thea­ter­stü­cke schreibt und als Regis­seu­rin tätig ist, offen­bart ihre Ver­bin­dung zu Kino und Film an vie­len Stel­len ihres Romans. Nicht nur Anspie­lun­gen auf Filme von Hith­cock, Tar­kow­ski oder Jim Jar­musch auch Ver­glei­che mit Schau­spie­lern tau­chen wie­der­holt auf. So wird die Schau­spie­le­rin Katha­rina, die bereits in der ers­ten Epi­sode eine wich­tige Rolle über­nimmt, mit der jun­gen Tilda Swin­ton ver­gli­chen. Auch der gut aus­se­hende Kla­vier­leh­rer Joseph, der von Stutt­gart nach Dres­den zieht und in meh­re­ren Epi­so­den des Romans am Leben der Prot­ago­nis­ten teil­nimmt, wird mit bekann­ten Schau­spie­lern ver­gli­chen. Er sehe aus wie eine Mischung aus Horst Buch­holz und Anthony Perkins.

Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum GlückKon­stru­ierte Verbindungen

Der Roman beginnt mit der Geschichte des acht­zehn­jäh­ri­gen VWL-Stu­den­ten Leon­hard. „Leon­hard war Jung­frau. Um genau zu sein, war Leon­hard dop­pelt Jung­frau.“ Er scheut sich, das Eltern­haus zu ver­las­sen und sich eine eigene Woh­nung zu suchen. Am Neu­jahrs­mor­gen liegt eine fremde Frau im Flur von Leon­hards Eltern­haus. Er ist allein mit der Unbe­kann­ten, Eltern und Geschwis­ter sind über Sil­ves­ter nach Bel­gien gefah­ren. Bei der Unbe­kann­ten han­delt es sich um die Schau­spie­le­rin und spä­tere Bäcke­rei-Ange­stellte Katha­rina. Ihre Schwes­ter Bea lebt mit ihrem Mann, dem Poli­zis­ten Sven nur einige Stra­ßen ent­fernt. Die Schwes­tern sind getrennt von­ein­an­der auf­ge­wach­sen und haben daher keine enge Bin­dung zueinander.
Nach­dem Leon­hard seine Jung­fräu­lich­keit an Katha­rina ver­lo­ren hat, wagt er den Absprung und zieht in eine eigene Woh­nung. Katha­rina hin­ge­gen arbei­tet zusam­men mit Wanda in einer Bäcke­rei in Ber­lin Char­lot­ten­burg. Wanda ist die erste Frau von Albert Abra­ham, der im glei­chen Haus wie der ehe­ma­lige Kla­vier­leh­rer Joseph von Bea und Leon­hard wohnt. Nach­dem Wanda einen Hirn­schlag erlei­det, sind sie und Albert Abra­ham zufäl­lig zur glei­chen Zeit im Kran­ken­haus. Albert Abra­ham besucht den Kla­vier­leh­rer Joseph, der einen Moto­rad­un­fall hatte. Dass seine erste Frau Wanda im Kran­ken­haus liegt, erfährt er nicht. Ver­bin­dun­gen die­ser Art zie­hen sich durch den gesam­ten Roman. Die Zufäl­lig­keit die­ser Ver­bin­dun­gen täuscht. Die Autorin muss viel kon­stru­iert haben, um die Geschich­ten mit­ein­an­der zu verbinden.

Schwere Schick­sals­schläge

Doch nicht nur diese schein­bar zufäl­li­gen Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Haupt­fi­gu­ren, auch die Sehn­sucht nach Liebe und Gebor­gen­heit, nach kör­per­li­cher Nähe und Sex nutzt Kuck­art als Ver­bin­dung zwi­schen den Geschich­ten. Das Unglück über ihre eigene Kin­der­lo­sig­keit prägt die weib­li­chen Prot­ago­nis­ten des Romans. Wanda kann sich nach einem Hirn­schlag und eini­ger Zeit im Koma nicht an den Namen ihres Man­nes erin­nern, die Kin­der­lo­sig­keit ist jedoch unver­ges­sen. Katha­rina erfin­det aus Scham Geschich­ten und erzählt von ihrer zehn­jäh­ri­gen Toch­ter Ronja. „Am liebs­ten habe sie in den letz­ten Mona­ten an Bahn­hö­fen Stra­ßen­mu­sik gemacht mit ihrer Toch­ter Ronja, die zehn sei, hörte Katha­rina sich sagen, obwohl sie gar keine Toch­ter hatte.“
Und auch Katha­ri­nas Schwes­ter Bea, die mit ihrem Mann, dem Poli­zis­ten Sven, in der Bun­ga­low­sied­lung in Statt­gart-Frau­en­kopf lebt, ist kin­der­los. In dem „Fer­tig­haus mit dem Objekt­na­men Flair 113“ ist „das kleinste Zim­mer, kaum grö­ßer als eine Fisch­dose“, für ein Kind vor­ge­se­hen. Am schwers­ten trifft das Schick­sal aber Jenny. Nach­dem sich die junge Fri­seu­rin dafür ent­schei­det, Joseph zu ver­las­sen, weil sie Kin­der bekom­men will, stirbt sie bei einem Motoradunfall.

Nicht ergrei­fend, aber lesenswert

Tod, Mord, Selbst­mord, unglück­li­che Liebe und andere Schick­sale rei­hen sich in Kuck­arts Roman anein­an­der, doch die Unglücks­fälle ergrei­fen mich als Lese­rin nicht. Es stellte sich kein Mit­ge­fühl für die betrof­fe­nen Figu­ren ein. Pro­blem­los lässt sich das Buch in eini­gen Stun­den lesen. Auch die zuletzt nur grob ange­schnit­tene Ver­haf­tung des Kla­vier­leh­rers Joseph wegen Mor­des an eini­gen sei­ner Schü­le­rin­nen, ist, sobald das Buch zuge­schla­gen und weg­ge­stellt wurde, wie­der ver­ges­sen. Ins­ge­samt scheint das Buch eine Abfolge bereits bekann­ter Hand­lun­gen und Schick­sale zu sein. Und trotz­dem macht Kuck­art ihren neus­ten Roman durch ihre Schreib­weise, die an Kino­schnitte erin­nert, durch­aus lesenswert.

Mela­nie Trolley
Gast­au­torin

Dass man durch Bel­gien muss auf dem Weg zum Glück.
Judith Kuck­art. DuMont Ver­lag. 2015.

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1 comment

Mit dem „Traumschiff“ die letzte Reise antreten – Bücherstadt Kurier 25. September 2016 - 15:19

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